
Berliner Philharmoniker im Portrait
Biografie
Der Auftakt
Frühjahr 1882: Als Benjamin Bilse den Mitgliedern seiner Kapelle für eine Konzertreise nach Warschau neben einem ohnehin schon mageren Honorar nur eine Bahnfahrt vierter Klasse spendieren will, ist für 54 seiner Musiker der Moment gekommen, sich als "Frühere Bilsesche Kapelle" selbständig zu machen. Doch das junge Ensemble hat anfangs noch mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen, und erst als 1887 der Berliner Konzertagent Hermann Wolff die Organisation übernimmt, wird ein stabiles Fundament für die Zukunft geschaffen: Er ändert den Namen in "Berliner Philharmonisches Orchester", macht eine umgebaute Rollschuhbahn zur ersten "Philharmonie" und besorgt den Musikern den besten Dirigenten ihrer Zeit.
Die großen Orchestererzieher
Hans von Bülow hat schon die Meininger Hofkapelle zu einem erstklassigen Ensemble geformt, als er nun die Arbeit mit den Berliner Philharmonikern aufnimmt. In nur fünf Jahren legt er die Grundlagen für jene außergewöhnliche Spielkultur, die man fortan mit dem Namen des Orchesters verbinden wird.
Die nach Bülow kommen, bleiben lange: Arthur Nikisch tritt 1895 sein Amt an, und für 27 Jahre prägt er den Orchesterstil entscheidend. "Es kann ohne Zögern behauptet werden, dass in einem erstrangigen Orchesterkörper ein jedes Mitglied die Bezeichnung ›Künstler‹ verdient", hat Nikisch einmal geschrieben, und mit diesem Credo trägt er bei den Berliner Musikern wesentlich zu dem "solistischen" Selbstverständnis bei, das bis heute eine der unverwechselbaren Qualitäten der Philharmoniker darstellt.
Waren Bülows Interpretationen von eher analytischer Brillanz, so sind Nikischs Aufführungen getragen von einer mit sparsamsten Gesten vermittelten klanglichen Pracht und Wärme und von einer rhapsodischen, wie improvisiert wirkenden Weite. Dementsprechend liegen seine Repertoireschwerpunkte bei Tschaikowsky, Berlioz, Liszt, Strauss, Mahler - und immer wieder Bruckner. Unter seiner Leitung gewinnt das Orchester international an Geltung, und alle Solisten von Rang und Namen kommen nach Berlin, um mit den Philharmonikern aufzutreten.
Als Nikisch 1922 stirbt, wählt das Orchester einstimmig den jungen Wilhelm Furtwängler zu seinem Nachfolger. Und dieser baut auf Nikischs Errungenschaften auf: Seine eigenwillige Schlagtechnik und sein leidenschaftliches, inspiriertes Musizieren fordern von den Musikern extreme Eigenverantwortlichkeit und Sensibilität. Furtwänglers Philosophie betont die Zeitlosigkeit großer Kunstwerke, und so bekennt er sich ganz bewusst zu den Meistern der Klassik und Romantik. Er und sein Berliner Orchester werden legendäre Interpreten der Werke Beethovens, Brahms' und Bruckners; gleichzeitig erweitert Furtwängler das Repertoire um zeitgenössische Stücke von Schönberg, Hindemith, Prokofjew und Strawinsky. Mit Auslandstourneen begründen die Philharmoniker ihren internationalen Ruf als eines der besten Orchester der Welt.
Kriegswirren
Die nationalsozialistische Diktatur und der Krieg richten in der deutschen Kulturlandschaft irreparable Schäden an. Dies betrifft auch die Berliner Philharmoniker. Durch den Rassenwahn der Machthaber verlieren sie wertvolle Musiker und geraten im weltweiten Austausch von Solisten und Dirigenten in die Isolation. Gleichzeitig wird versucht, das deutsche Vorzeigeensemble für die offizielle Kulturpolitik zu instrumentalisieren. Dennoch gelingt es Furtwängler und dem Orchester, die künstlerische Substanz über den Krieg zu retten.
Aber die vergleichsweise rasche Dirigentenfolge in den Nachkriegsjahren spricht für sich. Die Philharmoniker geben unter Leo Borchard schon am 26. Mai 1945 im Titania-Palast, einem umgebauten Kino, ihr erstes Konzert, doch im August wird Borchard irrtümlich von einem Besatzungssoldaten erschossen. Ein gänzlich unbekannter Nachwuchsdirigent, der Rumäne Sergiu Celibidache, wird praktisch von der Hochschule weg engagiert, und die Einschätzung des Orchesters erweist sich als richtig: Celibidache begeistert mit viel Temperament und großer Programmvielfalt, bis er die Leitung 1952 offiziell wieder an Furtwängler übergibt.
Die Ära Karajan
Im November 1954 stirbt Wilhelm Furtwängler. Im April des folgenden Jahres wählen die Berliner Philharmoniker jenen Mann zu ihrem Künstlerischen Leiter, der länger als jeder andere mit dem Ensemble verbunden bleiben wird: Herbert von Karajan. Er erarbeitet mit dem Orchester eine spezifische Klangkultur, eine Perfektion und Virtuosität, die es in dieser Form bislang nicht gegeben hat und die eine Grundlage bilden für den nationalen wie internationalen Siegeszug des Ensembles - im Konzert wie mit zahllosen Schallplattenaufnahmen.
Darüber hinaus versteht es Karajan, im Orchesterumfeld wesentliche Neuerungen umzusetzen. 1967 werden die Salzburger Osterfestspiele ins Leben gerufen, mit denen die Philharmoniker ihr eigenes international bedeutendes Festival bestreiten und sich auch als Opernorchester profilieren. Eine weitere Initiative ist die Orchester-Akademie der Berliner Philharmoniker, mit der in praxisnahem Unterricht begabte Nachwuchsmusiker auf die hohen Anforderungen eines Spitzenorchesters vorbereitet werden. In die Ära Karajan fällt auch der Bau der neuen Philharmonie: Seit Oktober 1963 residiert das Orchester in dem von Hans Scharoun entworfenen Konzertsaal (der 1987 um einen Kammermusiksaal erweitert wird).
Neue Töne - Claudio Abbado
Nach fast 35 Jahren als Künstlerischer Leiter, stirbt Herbert von Karajan im Juli 1989.Sein Nachfolger wird kein Unbekannter: Claudio Abbado dirigierte die Philharmoniker erstmals 1966 und hat sich seitdem die Hochachtung der Musiker erworben. Er ist kein Orchestererzieher im Sinne seiner Vorgänger, er beeindruckt durch Überzeugungskraft und künstlerische Präsenz.
Durch eine Zusammenführung von zeitgenössischem und traditionellem Repertoire in übergeordneten Konzepten setzt Abbado neue programmatische Akzente. Jeder Konzertzyklus hat nun eigene thematische Schwerpunkte wie zum Beispiel "Faust", "Der Wanderer" oder "Musik ist Spaß auf Erden". Dieser konzeptionellen Modernisierung entspricht eine deutliche Verjüngung der Philharmoniker: Weit über die Hälfte der Musikerinnen und Musiker der heutigen Besetzung werden in dieser Zeit neu in das Orchester aufgenommen.
Im Februar 1998 gibt Claudio Abbado bekannt, dass er seinen Vertrag nicht über die Spielzeit 2001/2002 hinaus verlängern wird, und im Juni des folgenden Jahres wählen die Berliner Philharmoniker mit großer Mehrheit einen neuen Chefdirigenten.
Zukunft@BPhil - Sir Simon Rattle
Mit der Ernennung von Sir Simon Rattle gelang es dem Orchester nicht nur, einen der erfolgreichsten Dirigenten der jüngeren Generation zu gewinnen, sondern wichtige Neuerungen einzuführen. Die Umwandlung des Orchesters in die öffentlich-rechtliche "Stiftung Berliner Philharmoniker" schuf zeitgemäße Rahmenbedingungen für neue Gestaltungsfreiräume und für die wirtschaftliche Kontinuität des Klangkörpers, der zur Zeit über 129 Planstellen verfügt. Gefördert wird die Stiftung durch das großzügige Engagement der Deutschen Bank als Hauptsponsor. Einen Schwerpunkt dieser Förderung bildet das mit dem Amtsantritt von Sir Simon Rattle ins Leben gerufene Education-Projekt Zukunft@BPhil, mit dem sich das Orchester breiteren und vor allem jüngeren Publikumsschichten zuwendet. Hinzu kommt die Unterstützung durch die Gesellschaft der Freunde der Berliner Philharmonie e.V.
In der Saison 2003/2004 veranstaltet die Stiftung Berliner Philharmoniker insgesamt 131 Konzerte, davon 86 Symphoniekonzerte mit den Philharmonikern. Doch darüber hinaus ist es Sir Simon Rattle und dem Orchester besonders wichtig, mit dem Education-Projekt "Zukunft@BPhil" neue Formen der Musikvermittlung und der musikalischen Bildung in eine breite Öffentlichkeit zu tragen. Sir Simon Rattle hat seine Intentionen so zusammengefasst: "Zukunft@BPhil soll uns daran erinnern, dass Musik kein Luxus ist, sondern ein Grundbedürfnis. Musik soll ein vitaler und essenzieller Bestandteil im Leben aller Menschen sein." In der mittlerweile 120-jährigen Geschichte der Berliner Philharmoniker bedeutet dies eine Erweiterung ihres kulturellen Auftrags, der sie sich mit dem für sie charakteristischen Engagement widmen.
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Portrait

"Bei der großen Musik ist es eine Frage auf Leben und Tod."
Der Pianist Herbert Schuch im Gespräch mit klassik.com.
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