Das Klavierduo Genova & Dimitrov feiert seinen 20. Geburtstag
"Es ist ein Gottesgeschenk, dass wir Musik haben!"
Das bulgarische Klavierduo Genova & Dimitrov feiert im Herbst sein 20-jähriges Jubiläum. Seit zwei Jahrzehnten gehört das Ensemble zu den international führenden Klavierduo-Formationen und tritt weltweit auf den bedeutendsten Bühnen und Festivals mit großem Erfolg auf, sowohl vierhändig als auch an zwei Klavieren. Bekannt wurde das Duo, nachdem es 1996 schon wenige Monate nach seiner Gründung den ARD-Musikwettbewerb in München gewann. Beide Musiker engagieren sich in der Nachwuchsförderung; sie leiten weltweit Meisterkurse und seit 2009 eine spezialisierte Klavierduo-Klasse an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover. Am Vortag unseres Gesprächs haben sie bis Mitternacht in der Musikhochschule Hannover unterrichtet. Es gelte, zwei Klavierduos für den ARD-Wettbewerb in München vorzubereiten. Die Vorbereitung ihrer Schüler nehmen sie offenbar sehr ernst, sie seien schließlich nicht nur Matrikelnummern. Vielfältig wie das Repertoire ist auch die Diskografie des Duos. Von der Musikkritik als richtungsweisend wurde eine Zusammenstellung mit Werken von Anton Arensky bezeichnet, die das Duo seinem verehrten, mittlerweile verstorbenen Lehrer Vladimir Krainev gewidmet hat. Dieser hat beim Unterrichten genauso wenig auf die Uhr geschaut wie seine Schüler es heute tun. Und auch im Interview stehen die beiden Pianisten klassik.com Autor Jan Kampmeier ebenso bereitwillig wie ausführlich Rede und Antwort, um die 20-jährige Geschichte sowie das Wichtigste beim Musizieren zu beleuchten.
1996 haben Sie den ARD-Wettbewerb gewonnen, die erste Stufe Ihrer Karriereleiter. Wann haben Sie denn zum ersten Mal von diesem Wettbewerb gehört?
Liuben Dimitrov: Als wir selbst noch klein waren, war Bulgarien kommunistisch. Damals gab es eine bestimmte Stelle, wo man sich über internationale Wettbewerbe informieren und dafür anmelden konnte. Dort haben wir uns über den ARD-Wettbewerb informiert. Diese drei Buchstaben ʺARDʺ klangen für uns sehr massiv, sehr etabliert. Als wir 1996 dort gewonnen haben, konnte niemand glauben, dass wir erst neun Monate lang ein Duo waren.
Wie erklären Sie sich diesen frühen Erfolg?
Dimitrov: Das bekräftigt nur unsere Theorie: Entweder stimmt bei einem Klavierduo die Chemie, das gewisse Etwas in der Kommunikation zwischen zwei Partnern, menschlich und dadurch auch künstlerisch auf Anhieb, oder eben nicht.
Aglika Genova: Natürlich kann man fast immer mit der Zeit ein Klavierduo aufbauen. Aber wir merken das in unserer Klasse: Es gibt Ensembles, bei denen es gleich passt, und es gibt Ensembles, die ein bisschen mehr Zeit brauchen. Da gibt es kein Rezept. Die eine Seite ist die unsichtbare Verbindung zum Partner, die andere Seite ist der ‚Pianismus‘, das Technische. Da können wir beide uns mehr als glücklich schätzen, weil wir schon als kleine Kinder so gut ausgebildet wurden, wie kaum ein Klavierduo weltweit es sich vorstellen könnte. Wir hatten tolle Lehrer, die noch bei Heinrich Neuhaus ausgebildet wurden. Und Neuhaus steht nicht nur für eine russische Klavierschule, sondern außer Technik auch für Dramaturgie, Klanggestaltung, Phrasierung und Pedalisierung. Mit neun Jahren haben wir unsere ersten Recitals als Kinder gespielt, mit zehn Jahren fingen wir mit den Etüden von Chopin und Liszt an. Wir haben das nach Moskauer Vorbild gelernt; unser Professor war in der gleichen Klasse wie Swjatoslaw Richter. Dann hatten wir noch das Glück, ein Aufbaustudium bei dem legendären Vladimir Krainev in Hannover zu machen. Es war schon eine harte Ausbildung in jedem Sinn. Jeder von uns hat 20 Solowettbewerbe hinter sich.
Die Grundlage für ein gutes Duo sind also zuerst einmal zwei sehr gut ausgebildete Solisten?
Dimitrov: Genau. Das sagen wir auch immer unseren Studenten: Um ein erfolgreiches Klavierduo zu werden, müsst ihr zuerst allein euer Instrument beherrschen und das Gefühl haben: Ich verfüge über fast alle Möglichkeiten. Damit dann ein Ohr offen bleiben kann für euren Partner. Wenn man zu sehr konzentriert auf die eigenen Probleme ist und man auf dem eigenen Instrument nicht sicher genug ist, hat man eben keine freien Gedanken, um mit dem Partner zu kommunizieren.
Genova: Wir üben auch viel mehr einzeln als zusammen. Erst zwei, drei Tage vor einem Konzert tun wir uns zusammen. Ich komme nochmal zurück zu dem ‚Pianismus‘. Warum ist das so wichtig? Es gibt Tage, an denen wir gar nicht zum Üben kommen. Das liegt nicht nur an der Lehrtätigkeit, sondern auch daran, dass wir viel unterwegs sind. Wenn man nicht so gute Grundlagen hat, muss man aber jeden Tag sechs Stunden üben. Wir lernen Stücke sehr schnell, das liegt an unserer Ausbildung. Es gibt natürlich auch andere Wege. Die Labèque-Schwestern zum Beispiel saßen schon mit vier oder fünf Jahren zusammen am Flügel mit Mozart-Sonaten. Das ist eine ganz andere Laufbahn. Sie haben eine Weltkarriere, aber sie haben das anders erreicht. Der Weg, den ich beschrieben habe, ist unser Weg. Wir sind sehr glücklich, dass wir weltweit akzeptiert werden, denn wir leisten auch enorme Arbeit. Und ob wir Bach spielen oder Gershwins ʺPorgy and Bessʺ, spielt keine Rolle. ʺPorgy and Bessʺ wird hier gefeiert, Bach in Amerika.
Sie präsentieren die Musik in Amerika oder Asien genauso wie bei Konzerten in Europa?
Genova: Ja, ohne Unterschied! Wir haben als Künstler eine Mission. Wir möchten nicht nur programmgestalterisch zeigen: Schauen sie mal, dieses Werk kennen Sie nicht, es wurde für zwei Klaviere von Soundso geschrieben - nein. Unsere Mission ist, die Herzen und die Seelen zu erfrischen, zur Liebe und zum Frieden zurückzubringen, all das, was unsere Zeit braucht. In diesem Sinne fühlen wir uns als Missionare. Wenn wir das erreicht haben, kommen die Menschen mit Tränen in den Augen.
Dimitrov: Es macht uns jedenfalls sehr glücklich, wenn wir das, was wir fühlen, bei einem Konzert auch realisieren und die Menschen zumindest für zwei Stunden und hoffentlich auch für später mit neuer Energie aufladen konnten - durch unsere Emotion und durch das, was die Komponisten vor so vielen Jahren geschrieben haben. Wenn die Künstler auf der Bühne ehrlich sind und ihre Seele dem Publikum öffnen, dann spürt das Publikum das auch. Eigentlich spürt das Publikum, das am wenigsten mit professionellen Musikern besetzt ist, emotional am besten. Die Zuhörer sind freier von Vorurteilen. Denn als Musiker ist man automatisch professionell: Man fängt an zu analysieren, und ein Nicht-Profi lässt sich einfach emotional mitreißen und ist dann in einer anderen Welt.
Seit wann unterrichten Sie in Hannover an der Hochschule?
Genova: 2009 haben wir begonnen, und jetzt ist die Klasse sehr groß. Jahrelang haben wir das abgelehnt und gedacht: Wir können neben den Konzerten nicht auch noch unterrichten. Und irgendwann haben wir mit den Kollegen geredet und die Idee ist geboren worden, dass wir tatsächlich die Leitung einer Klasse für Klavierduo übernehmen und etwas Seriöses, Professionelles in dieser tollen Hochschule aufbauen. Es war für uns eine Ehre, an dieser Hochschule eine Klasse für Klavierduo zu gründen, denn sie ist international bekannt für die Klavierausbildung. Kürzlich sollten wir für unsere Agentur eine Liste machen mit Preisträgern und wir haben in der kurzen Zeit schon fast 20 Preisträger-Duos gehabt. Bei allen möglichen Wettbewerben für Klavierduo waren unsere Studenten schon erfolgreich.
Dimitrov: Wenn man vertieft ist in die Arbeit, hat man gar keine Zeit, sich das so bewusst zu machen. Wenn man dann aber aufgefordert wird, das zu tun, sieht man auf einmal: Da haben wir ja tatsächlich etwas geschafft!
Solisten unterrichten Sie aber nicht?
Dimitrov: Nein, nur Klavierduos. Nach dem Tod unseres großen Lehrers Vladimir Krainev sind viele Studenten zu uns gekommen. Sie waren wie Waisenkinder und haben gesagt: Können Sie uns helfen? Die meisten waren Solisten, aber wir arbeiten ja am Duo-Repertoire, das ist groß genug. Beim Klavierduo arbeitet man auch am Solistischen, vor allem aber am Duospiel. So wie wir selber arbeiten, geben wir das auch an unsere Studenten weiter. Das braucht die doppelte, manchmal die dreifache Zeit, die ein Solist braucht.
Unterrichten Sie denn auch immer zu zweit?
Genova: Ich könnte es gar nicht alleine machen. Selbstverständlich gebe ich auch Anweisungen an das zweite Klavier, obwohl ich immer das erste spiele, und mein Mann gibt auch Anweisungen an das erste.
Dimitrov: Pedalnutzung und Phrasierung, das ist bei einem Solisten natürlich leichter zu beobachten und zu kontrollieren. Deswegen ist es so wichtig, dass beim Duo auch zwei Menschen zuhören, denn jederzeit kann etwas durchrutschen. Manchmal gibt es Duos, die laut Studienordnung nur ein Semester zu uns kommen sollten. Auf einmal kommen sie im nächsten Semester wieder und noch ein Semester, ihr ganzes Studium lang, mit verschiedenen Partnern oder immer mit demselben. Das sagt uns, dass einerseits das Genre des Klavierduos für Pianisten interessant ist, andererseits aber, dass unsere Lehrweise sie offensichtlich anspricht.
Wie läuft denn der Unterricht bei Ihnen ab?
Genova: Unser Zimmer ist immer geöffnet. Wir sagen immer: Kommt rein, wartet nicht draußen, hört zu. Jeder kann reinkommen und beim Unterricht zuhören.
Dimitrov: Das kommt noch aus unserem eigenen Studium. Uns wurde immer eingetrichtert: Man lernt eigentlich am besten beim Zuhören, nicht wenn man selber spielt. Deshalb: Hört zu! Geht zu Konzerten, aber auch zu den Unterrichtsstunden eurer Kollegen. Ihr hört von der Seite ganz anders als wenn ihr selbst am Klavier sitzt. Manche verstehen das sehr schnell, manche sind vielmehr unter dem Einfluss von anderen Kollegen, die nur mit ihrem Schüler alleine im Zimmer sein möchten, ohne Publikum.
Ist Ihr Unterricht auch in anderer Hinsicht so frei angelegt?
Genova: Ja, wir schauen nie auf die Uhr. Ich darf sagen, dass wir auch stolz darauf sind. Unser Unterricht bei Professor Krainev dauerte auch manchmal bis zwölf Uhr in der Nacht. Samstag, Sonntag, Ferien - das sind Fremdwörter für uns. Wenn der ARD-Wettbewerb vor der Tür steht, wie können wir als Lehrer dann einfach Sommerpause machen? Masterstudenten haben uns einmal gefragt: Wieso arbeiten Sie mit einem Nebenfachduo zwei Stunden? Die haben doch nur das Recht auf eine halbe Stunde. Aber wir sind hier an dieser Hochschule, um Musik zu lehren. Wir sind nicht daran interessiert, was uns bezahlt wird. Wir müssen unsere Arbeit zu Ende machen, schon aus Respekt vor Schostakowitsch oder Ravel - die gucken und hören uns alle zu. Wie kann ich da unterbrechen, bevor Schostakowitsch nicht gut klingt? Wir stellen die Musik an die erste Stelle, wir haben riesigen Respekt vor den Komponisten.
Dimitrov: Als dann die Masterstudenten dran waren, hatten die anstelle von eineinhalb Stunden dreieinhalb Stunden Unterricht. Das hat sich also ausgeglichen. Nur wenn wir auf Tournee gehen, wird nicht unterrichtet. Dann geben wir allen Ensembles Hausarbeit. Die haben genug zu arbeiten.
Konzertiert haben Sie in diesem Sommer aber doch auch neben der Akademie in Bulgarien?
Genova: Während der Akademie haben wir Saint-Saëns‘ ʺKarneval der Tiereʺ gespielt und danach sind wir buchstäblich für ein paar Stunden hier zu Hause gewesen, haben umgepackt, und am nächsten Tag ging es schon zum Chopin-Festival nach Duszniki. Dort wurde vor 70 Jahren das älteste Klavierfestival der Welt gegründet. Großartige Kollegen aus der ganzen Welt spielen dort. Wenn man nur das Programm sieht: tolle Namen, Löwen am Klavier. Für uns war es besonders ehrenhaft, dort beim Jubiläumsfestival zu spielen.
Dimitrov: Wir haben dort mit Chopins ʺRondoʺ begonnen, das einzige Stück von ihm für zwei Klaviere. Das ist wieder eine Verbindung zu unserem Sieg beim ARD-Wettbewerb 1996, denn das war das Pflichtstück damals. Daran sind viele Duos gescheitert, denn das Chopin-ʺRondoʺ erfordert natürlich Virtuosität. Aber es zeigt vor allem, ob man als Duo ein Gefühl hat, ein Werk dramaturgisch aufzubauen. Es ist ein ʺgefährlichesʺ Werk, denn es kann sehr naiv klingen, sehr oberflächlich, obwohl es sehr dramatisch ist. Es ist ein geniales Stück, aber als Ensemble auch sehr schwer.
Unser Gespräch findet aus Anlass des runden Duo-Jubiläums statt. Da ist natürlich die Frage nach den Anfängen obligatorisch. Wie ging es also los mit dem Duo?
Dimitrov: Wir haben uns als Solisten für einen Wettbewerb in Korea vorbereitet. Ein Pflichtstück für alle Teilnehmer war die Chopin-Etüde op. 25 Nr. 11 in a-Moll. Die ist selbst für Solisten natürlich ein dicker Brocken. An einem Freitag hatten wir Unterricht bei Krainev. Wir haben gewartet, der Mitschüler vor uns ist gegangen, und wir hatten einen kurzen Moment, nur ein paar Minuten, um uns ein bisschen warm zu spielen. Es gab zwei Flügel im Zimmer von Krainev. Daher kamen wir auf die Idee: Lass uns die Chopin-Etüde spielen. Dann fingen wir an, und es waren nicht nur die Sechzehntel in der rechten Hand, die da zusammen gepasst haben oder die Linie in der linken Hand, sondern das Gefühl, diese Harmonie, dieser voluminöse Klang, aber trotzdem diese Durchsichtigkeit. Man spielt ein schwieriges Werk, und man hört, dass man auch unterstützt und bereichert wird. In diesem Moment kam Professor Goetzke ins Zimmer, wollte mit Krainev sprechen und sagte: ʺWas spielt ihr da? Es gibt Duo-Repertoire!ʺ Und dann sagte er: ʺIn ein paar Monaten gibt es hier in der Hochschule einen Kammermusikwettbewerb. Und da gibt es gute Preise. Warum macht ihr nicht ein paar Duo-Stücke?ʺ Wir haben uns ja gerade auf einen Solisten-Wettbewerb vorbereitet - und jetzt auf einmal Duo? Dann haben wir geguckt, was es für Repertoire gibt. Professor Krainev hat uns auch ein paar Ideen gegeben von seinen Duo-Erfahrungen. Dann haben wir uns vorbereitet und den Hochschul-Wettbewerb gewonnen.
Wie ging es dann weiter?
Genova: Dann kam ein wichtiger Professor, Lutz Köhler, Dirigent und Vorsitzender der Jury, und hat mit Vladimir Krainev gesprochen und auch mit uns. Er sagte: ʺÜberlegt bitte, in neun Monaten ist der ARD-Wettbewerb in München. ʺ Der interne Hochschulwettbewerb war im November 1995. Anfang Dezember war unser erster internationaler Wettbewerb in Italien, der Bellini-Wettbewerb in Sizilien. Den gibt es leider nicht mehr, damals war er eine große Adresse. Da haben wir auch den ersten Preis gewonnen. Dann sind wir Anfang Januar 1996 nach Tokio gegangen und haben da auch den ersten Preis gewonnen. Bei der Preisträgerzeremonie für den internen Wettbewerb in Hannover sagte der Präsident der Musikhochschule, Klaus Becker, damals: ʺLiebes Publikum, glauben sie bitte nicht, dass diese beiden zwei Monate einfach gewartet haben seit unserem Wettbewerb hier. Die haben in der Zeit noch zwei weitere Preise gewonnen. ʺ Bis September waren noch acht weitere Monate, dann kam der ARD-Wettbewerb, ein Jahr später Miami. Wir hatten gar keine Zeit nachzudenken, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Wir waren einfach auf dem Weg.
Das heißt, Sie haben nach diesem Wettbewerb hier in der Hochschule nur noch Duo gemacht und in dem Moment aufgehört, eine Solistenkarriere zu verfolgen?
Genova: Ja, das war nicht anders möglich.
Dimitrov: Alle solistischen Anstrengungen haben wir einfach in das Duo gesteckt, miteinander synchronisiert und verschmelzen lassen. Kollegen von Ihnen fragen manchmal: ʺVermissen sie nicht das Solistische? ʺ- Niemals! Wir erleben uns im Duo immer noch als Solisten, und ich glaube, das wird auch immer so bleiben.
Zu dieser Zeit waren Sie schon ein Paar. Wie haben Sie sich denn kennen gelernt?
Dimitrov: Als kleine Kinder haben wir uns in Bulgarien beide für einen Wettbewerb angemeldet. Wir sind in zwei verschiedenen Städten aufgewachsen, die etwa 300 km voneinander entfernt liegen und kannten uns damals nur vom Namen. Ich dachte zum Beispiel: Wenn Aglika aus Plowdiw teilnimmt, heißt das, ich muss noch mehr üben als sonst. Damals haben wir gegeneinander gekämpft. Bis wir Studenten in Sofia waren, kannten wir uns also als Namen auf der Liste von Wettbewerbsgewinnern.
Genova: Und am Ende haben wir uns den ersten Preis geteilt. Wissen sie, was das heißt bei kleinen Kindern, wenn man sich bei einem Wettbewerb als Konkurrenten kennenlernt? Man gibt sich nicht die Hand, man guckt sich nur von der Seite an. Ich habe mich in Liuben verliebt, als er in Sofia in unserer Klasse eine Sonate von Skrjabin gespielt hat. Ich weiß noch, was er für ein Shirt anhatte, was für eine Jeans, und er hat toll Skrjabin gespielt. Gerade da kam ich in seinen Unterricht und habe gedacht: Aha, das ist Liuben Dimitrov, den ich noch aus Kindertagen kenne. Da gab es aber noch kein Duo. Wir haben erst die Ausbildung in Sofia abgeschlossen. Dann hat Krainev uns beide in seine Solistenklasse geholt.
Wie ist es denn zur Zusammenarbeit mit dem Label cpo gekommen?
Dimitrov: Nach unseren Wettbewerben waren wir beim Südwestrundfunk zu Aufnahmen eingeladen. Und am Ende der Produktion sagte die Produzentin: Denken sie vielleicht daran, ihre Aufnahmen bei einem Label erscheinen zu lassen? Für uns war das alles so neu und unbekannt. Wir wussten nicht einmal recht, was das Wort ʺLabelʺ bedeutet.
Genova: Sie wollte wissen, ob wir eine Live-Aufnahme von einem Wettbewerb gemacht haben. Tatsächlich hatten wir das Concertino von Schostakowitsch bei einem Wettbewerb in Tokio aufgenommen. Diese Aufnahme hat Herr Schmilgun von cpo gehört. Dann hat er sich telefonisch gemeldet und eine Weltpremiere vorgeschlagen: Schostakowitschs Gesamtwerk für Klavierduo. Er sagte: ʺWarten wir ein paar Monate und lassen die Pläne im Kopf reifen. Wir treffen uns dann mal unverbindlich.ʺ Dann haben wir mit der Nordwestdeutschen Philharmonie und Ari Rasilainen Mozarts Konzert für zwei Klaviere und Orchester gespielt. Nach dem Konzert klopfte jemand an der Tür: ʺHallo, guten Tag, Schmilgun ist mein Name.ʺ Burkhard Schmilgun von cpo, unserem vielleicht zukünftigen Label? Was macht der denn hier? ʺIch spiele in den Geigen mit.ʺ Da sitzt er also neben uns im Orchester und sagt kein Wort! Dann sind wir also das Schostakowitsch-Projekt angegangen. Seitdem sind wir sehr zufrieden mit der Zusammenarbeit.
Sie können bei cpo offenbar wirklich besondere Projekte machen. Sie haben eine Platte mit Wladigerow aufgenommen, eine mit Arenskij, ein Konzert von Casadesus. Das sind ja nun wirklich nicht die Komponisten, die jeder kennt. Woher kommen die Ideen?
Dimitrov: Unsere Ideen kommen meistens sehr spontan. Auf der Schostakowitsch-Platte war zum Beispiel eine Zugabe von Wladigerow. Als Herr Schmilgun das hörte sagte er: ʺHat dieser Wladigerow noch mehr für Klavierduo geschrieben?ʺ Wir wussten es auch nicht. Wir haben als Solisten Wladigerow gespielt; er ist ja der größte bulgarische Komponist, da war es fast schon eine Pflicht. Aber dann, als wir uns vertieft haben: 500 Seiten Manuskripte, die er in seinen letzten Jahren von seinen wichtigen Werken für Klavierduo bearbeitet hat, alles, was ihm wichtig war. Gedruckt war das noch nicht. Inzwischen ist alles erschienen, denn nach unserer Aufnahme ist das Interesse sehr stark gestiegen. Wir bekommen immer noch zehn, zwölf Emails pro Monat mit Anfragen, wo es die Noten gibt. Eine weitere CD mit Johann Christian Bach hat das Label vorgeschlagen. Unsere Zusammenarbeit mit cpo hat sich so entwickelt, dass von beiden Seiten die Ideen kommen. Wir diskutieren und tauschen uns aus. So kommt ein Projekt zustande.
Genova: Viel kommt von uns, aber immer auch viel von cpo. Arenskij verdanken wir allerdings unseren Studenten, und zwar Nebenfach-Studenten. Die hatten für eine Kammermusikprüfung die zweite Suite von Arenskij entdeckt und ausgesucht. Selbstverständlich kannten wir den Komponisten Arenskij, aber wir wussten nicht, dass er auch für Klavierduo geschrieben hat. Wir waren fasziniert von dieser Musik und haben daran so gerne mit unseren Studenten gearbeitet. Dann haben wir gedacht: Wenn es eine zweite Suite gibt, muss es ja mindestens noch eine erste geben, und vielleicht auch noch mehr! Die Arenskij-CD war das letzte, woran wir mit Krainev gearbeitet haben. Er war schon todkrank und wusste, dass er stirbt, wir aber nicht. Er hat bis zuletzt mit uns an dieser CD gearbeitet, denn auch nach unserem Studium haben wir ihm regelmäßig vorgespielt. Bevor die CD herauskam, verstarb er und wir haben ihm die CD gewidmet. Als nächstes erscheint eine CD mit Bruch, das Konzert für zwei Klaviere und Orchester und als Weltpremiere eine Fantasie, dann ein Konzert von Victor Babin. Der hat mit seiner Frau vor dem Zweiten Weltkrieg eines der besten Klavierduos der Welt gegründet und dafür dieses Konzert komponiert.
cpo ist eben ein Entdecker-Label, wo unheimlich viele wirkliche Raritäten erscheinen …
Genova: … das stimmt. Unsere aktuelle Platte mit Werken für zwei Klaviere von Franz Liszt ist auch eine Rarität, denn diese Musik wird kaum gespielt, obwohl es wunderbare Werke sind. Musik von Liszt für zwei Klaviere, stellen Sie sich das einmal vor! Sein ʺConcerto pathetiqueʺ ist ein Vulkan. Aber nicht nur an Virtuosität, sondern auch an Tiefe, an Nuancen und Emotionen. Liszt ist ein unglaublich tiefgründiger Komponist, das wollten wir zeigen.
CDs zu verkaufen, wird immer schwieriger. Dafür wächst die Bedeutung des Internets. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Dimitrov: Die Verkaufszahlen bei cpo sind immer noch sehr gut. Wir sprechen, ich weiß es nicht genau, über 4000 oder 5000 Stück von unseren CDs. Natürlich spielt aber das Internet eine große Rolle, und daher gibt es die meisten unserer CDs auch bei Diensten, bei denen man auch einzelne Titel kaufen kann. Ich glaube aber, das eine wird das andere nicht verdrängen. Das Internet und der mediale Vertrieb von CDs oder auch Büchern wird Bücher oder CDs selbst nicht überflüssig machen.
Genova: Ich verstehe wenig von Technik und will keine Voraussagen machen, aber für mich persönlich bleibt eine CD gültig. Sie ist ein Gegenstand, man kann sie anfassen und man kann sie ja auch nicht nur im Wohnzimmer, sondern auch im Auto hören. Und auch das Booklet, gerade bei cpo! Wir sind immer sehr glücklich über die Cover mit einem Bild aus der Epoche der Werke. Die Texte sind oft sehr amüsant geschrieben, und man kann mehr über die Künstler und die Komponisten erfahren - und man hört, was man weiß!
Nutzen Sie das Internet, zum Beispiel zur Kommunikation?
Genova: Wir nutzen ein soziales Netzwerk, aber nicht privat, sondern nur professionell. In dem Sinne, dass unsere Fans, Freunde und Familie informiert werden, was wir tun. Ich nutze die sozialen Medien aber nicht dazu, zu zeigen, was ich in diesem Moment trinke.
Sie bekommen in der Mehrzahl sehr positive Kritiken bekommen. Ich selbst habe in der Vergangenheit für klassik.com über eine Platte und ein Konzert von Ihnen geschrieben, andere Platten haben bei meinen Kollegen großen Anklang gefunden. Ich habe allerdings auch eine Kritik gefunden über Ihre Johann Christian Bach-Platte, die von einem Kritiker-Kollegen komplett verrissen wurde …
Genova: … ja: ʺGeschmacklose Etüdenʺ!
Das ist schon zwölf Jahre her, aber Sie können sich offenbar noch erinnern. Wie geht man damit um?
Genova: Wir haben mit cpo darüber gesprochen, weil es die einzige negative Kritik war. Man kann ja nichts machen, der Mann ist eben kein Fan von uns. Aber Kritik muss auf jeden Fall manchmal sein. Wir sind ja nicht fehlerfrei, und Musik hat sowieso kein Ende.
Dimitrov: Wir freuen uns über konstruktive Kritik, wenn Menschen sich vertieft haben in unsere Musik. Sie unterstützen uns dabei, dass wir beim nächsten Projekt dem Publikum etwas noch Besseres präsentieren können. In diesem Fall klang es aber nicht konstruktiv. Wir haben mit dem Kritiker nie gesprochen und haben die Kritik einfach als Einzelfall beiseite gelegt.
Ihre Vita endet mit dem Hinweis, sie lebten heute in Sofia, Hannover und Miami. Wieso diese drei Stützpunkte?
Dimitrov: Das sind die drei Punkte, wo wir uns am wohlsten fühlen, unsere ʺHomebasesʺ sozusagen. Bulgarien ist unsere Heimat, Deutschland ist unsere Wahlheimat, wir sind auch deutsche Staatsbürger. Und Miami ist unsere Lieblingsstadt in den USA. Logistisch ist es ebenfalls gut platziert zwischen Nord- und Südamerika. Man landet dort, erholt sich ein bisschen, und weiter geht's zu Konzerttourneen egal wo in Amerika.
Genova: Bulgarien ist das Land unserer Kindheit. Dort sind unsere Eltern und viele Erinnerungen. Ich kann mir nicht vorstellen, dort ins Hotel zu gehen. Daher haben wir in Sofia eine Wohnung und gehen in den Bergen gerne wandern. In den USA haben wir auch überlegt, in Washington oder New York, wo wir Bekannte haben, zu leben, aber Miami war seit dem Wettbewerb 1997 ʺunsereʺ Stadt. Da haben wir gar nicht diskutiert. Wir haben seit dem Wettbewerb dort auch einen großen Freundeskreis.
Wie entscheiden Sie, was Sie spielen und wie Sie spielen? Sind Sie sich immer einig?
Dimitrov: Beim Programmaufbau: je nachdem, wer die Idee hat. Bei der Arbeit: Wir sind natürlich zwei Persönlichkeiten, und das möchten wir auch gerne beibehalten. Jeder für sich allein bildet sich zuerst seine Meinung, und wenn wir zusammentreffen, haben wir natürlich sehr oft verschiedene Gesichtspunkte. Aber wir haben dieselben Grundsätze, musikalisch gesehen. Dann tauschen wir unsere Ideen aus, und manchmal kracht es selbstverständlich auch. Aber dann kommt diese klärende Kraft der Musik. Nach einem Tag oder ein paar Stunden Arbeit am Klavier erinnert man sich nicht mehr, worüber man überhaupt gestritten hat.
Die Musik hilft Ihnen, Streitigkeiten und Probleme zu überwinden?
Genova: Musik säubert. Egal, was für Probleme ein Künstler im Alltag erlebt - wenn ich mich ans Klavier setze, bin ich in einer anderen Welt. Es ist ein Gottesgeschenk, dass wir Musik haben. Die Musik ist eine andere Welt. Es ist nicht immer leicht, aber ein Geschenk.
Dimitrov: Man stellt sich manchmal vor, dass man die Batterie, die sich im Alltag entleert, einfach wie ein Elektroauto an die Steckdose anschließt. Durch das Erleben der Emotionen lädt man sie wieder auf. Dann ist man natürlich trotzdem müde von der Arbeit, aber erfüllt.
Das Gespräch führte Dr. Jan Kampmeier.
(10/2015)
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