Die Cellistin Sol Gabetta über Gestaltungsmöglichkeiten, Kontraste und Vermittlungen
"Die Freude überträgt sich auf das Publikum"
Die Cellistin Sol Gabetta zählt zu den jungen Berühmtheiten ihres Instruments. 1981 im argentinischen Villa María geboren hat sie in den letzten Jahren durch eine Vielzahl von Einspielungen und Konzerten in den großen Häusern auf sich aufmerksam gemacht. In dieser Saison ist Gabetta Artist in Residence am Berliner Konzerthaus und wird sich in der Hauptstadt, wo sie keine Unbekannte mehr ist, mit einer Reihe von Konzerten präsentieren. Mit klassik.com-Autor Tobias Roth sprach die Cellistin über die Möglichkeiten eines Artist in Residence und über das Programm des Recitals, das Gabetta im Februar in Berlin geben wird. Neben berühmten Sonaten aus der Feder Beethovens und Mendelssohns wird auch die wenige bekannte ‚Fantaisie sur deux Airs Russes‘ op. 13 von Adrien-François Servais erklingen
Frau Gabetta, Sie waren in den letzten Jahren immer wieder in Berlin zu Gast, im Konzerthaus zuletzt als Kammermusikpartnerin von Fazil Say, dem sie als Artist in Residence nachfolgen. Worin unterscheidet sich Ihrer Meinung nach eine Residency am stärksten vom gewöhnlichen Gastspiel?
Artist in Residence zu sein, öffnet eine ganz neue Tür für mich. Ich habe ganz andere Freiheiten bei der Programmzusammenstellung. Natürlich muss man auch darauf achtgeben, was das Konzerthaus oder der Dirigent braucht und will, aber die Möglichkeiten sind hier sehr groß. Grundsätzlich hat man als Solist natürlich nirgends hundertprozentige Freiheit – aber das ist auch gut so, denn ein Konzert ist immer auch eine Zusammenarbeit. Das Konzerthaus Berlin war sehr offen meinen Ideen gegenüber, und ich bin sehr glücklich mit dem, was dabei entstanden ist. Auf der anderen Seite ist es auch so, dass man sich selbst mehr Freiheit zugestehen kann. Normalerweise muss man bei der Planung immer aufpassen, was man in dieser Zeit noch spielt, welches Repertoire eine Tournee bestimmt. In solch einer Residency hat man vielmehr die Möglichkeit, Kontraste zu bilden und zu präsentieren, größere Zusammenhänge aufzubauen.
So ein Aufenthalt bildet also auch einen gewissen Ruhepol?
Ja, natürlich. Bei mir ist zwar das Repertoire nie so fixiert auf eine Handvoll Stücke, dass ich in einem bestimmten Monat etwa nur einen bestimmten Komponisten spiele. Da muss man immer eine Balance finden, einerseits flexibel zu sein, andererseits nicht zu viel zu machen. Denn man muss das ja auch alles in den Kopf kriegen (lacht).
Die Thematik des Zusammenhangs und Kontrastes wiederholt sich ja in Ihrem Kammermusikabend im kleineren Maßstab: Beethoven schreibt seine Sonate in A-Dur op. 69 noch ‚für Klavier und Cello‘, Mendelssohn seine Sonate in D-Dur op. 58 schon ‚für Cello und Klavier‘. Sehen Sie diese kontrastierende Linie auch so deutlich in der Musik?
Das Interessante ist für mich, dass Mendelssohns Sonaten in der romantischen Literatur die klassischsten sind. Natürlich kann man es mit Beethoven nicht vergleichen, aber diese Leichtigkeit…! Ich würde allerdings sagen, dass das Klavier bei beiden Komponisten eine sehr große Rolle einnimmt. Der Klavierpart ist bei beiden sehr virtuos. In diesem Sinne hat sich da meiner Meinung nach gar nicht viel verändert. Das Cello hat gleichsam cellistisch bei Mendelssohn eine noch stärkere Position eingenommen, aber das Klavier hat seine wichtige Stellung behalten und sorgt nach wie vor für die Dichte der Harmonie. Bei Beethovens dritter und Mendelssohns zweiter Sonate gibt es eine ganz ähnliche Ansprache, Leichtigkeit und Brillanz. Aber schon bei einer späteren Beethoven-Sonate ist es etwas anderes. Beethoven hat in seinem Leben eine unglaubliche Entwicklung in drei Phasen durchgemacht. Ich glaube, in der Betitelung zeigt sich eher eine neue, eine romantische Interpretation, in der das Cello tatsächlich eine andere Bedeutung in der Musik und im Musikleben erlangt hat.
Also wäre diese Verschiebung eher eine Geste als eine Aussage über die Musik?
Wahrscheinlich ja, denn vor allem gegenüber dem Cello gab es eine Tendenz der Aufwertung als Soloinstrument. Natürlich ist etwa auch der Cellopart im Tripelkonzert von Beethoven unglaublich delikat und virtuos, und es lässt sich mit Blick auf dieses Konzert nicht sagen, dass das Cello in klassischer Zeit nur als Begleitinstrument gesehen worden wäre. Aber es fungiert in der Klassik noch deutlich als harmonisches Instrument. Bei Beethoven bahnt sich da schon eine kleine Revolution an. Wenn ich mir das vorstelle: damals mit Darmsaiten das Tripelkonzert zu spielen… Das muss unglaublich schwer gewesen sein. Aber wir wissen es nicht. Vielleicht hat es auch nicht funktioniert und katastrophal geklungen (lacht). Aber die Entwicklung ist unverkennbar, und spätestens mit Schumann hat sich das Cello die Melodie ‚erobert‘, könnte man sagen.
Es ist ja auch noch ein Unterschied zwischen schwerer und virtuoser Musik. In Beethovens Tripelkonzert merkt der Hörer vielleicht gar nicht, wie schwer das für den Cellisten ist, wohingegen Stücke wie die von Adrien-François Servais, die auch in Ihrem Recital erklingen werden, eine deutliche und demonstrative Virtuosität verfolgen.
Klar, das sind ganz unterschiedliche Herangehensweisen. Beethoven hatte vielleicht nicht im Sinn, eine besonders schwere Cellostimme zu schreiben, sondern hatte reine Strukturen im Kopf, die Musik werden sollten – ohne daran zu denken, wie schwer das für den einzelnen Musiker werden kann. Er wollte die Musik also nicht durch technische Probleme begrenzen, auch wenn die Technik erst erschaffen werden musste. Bei Servais, der ja selbst ein Cellovirtuose war, ist es eine ganz andere Geschichte. Servais hat die Oper unheimlich geliebt und viele Stücke auch arrangiert. Wie er mit den Themen umgeht und welche instrumentalen Schwierigkeiten er einbaut – das ist manchmal schlichtweg verrückt. Das ist schlimmer als alle Etüden von Popper (lacht). Das ist eine extrem repräsentative Virtuosität. Für das Recital habe ich diese Stücke aber aus einem anderen Grund ausgewählt: Servais hat einfach unglaublich schöne Melodien geschrieben. Und gerade die ‚Fantaisie sur deux Airs Russes‘ erinnern mich persönlich sehr an meine Kindheit. Dass die Interpretation solch eines Werkes dann etwas Spielerisches bekommt, ist ja eine sekundäre Sache. Natürlich gibt es immer wieder Leute, die solche Musik nicht mögen, bei denen die musikalische Konzeption und Architektur im Vordergrund steht, sodass Virtuosität leicht als unnützes Beiwerk erscheint. Man darf aber bei Servais nicht suchen, was es dort gar nicht gibt, etwa das Konzept und die Tiefe eines Beethoven. Selbstverständlich kann man nicht zweieinhalb Stunden Servais spielen; das wird für das Publikum, aber mehr noch für den Solisten sehr anstrengend. Aber als Schlusspunkt eines vielfältigen und konzeptionellen Programms ist es eine Erleichterung und ein Genuss. Und für mich ist es ein Spaß, das Stück zu spielen. Es ist ein bisschen wie im Zirkus, ein Tanz auf dem Drahtseil. (lacht) Wissen Sie, das Leben ist kurz und lang gleichzeitig – aber doch zu kurz, um sich immer zu begrenzen. Ich denke, man muss machen, was man will und sich diese Freiheit erhalten, vor allem in den Interpretationen. Wenn ich die Möglichkeit habe, ein Recital zusammenzustellen, dann will ich auch etwas spielen, was mir Freude macht. Denn diese Freude überträgt sich auf das Publikum.
Sie moderieren im Fernsehen eine Musiksendung und vermitteln auch im Gespräch diese Freude und Begeisterung. Nutzen Sie auch das Internet als Sprachrohr in diesem Sinne? Wie schätzen Sie da die Möglichkeiten ein?
Ich glaube, dass die Menschen das Internet immer mehr nutzen und auch vom Internet abhängen. Im Bezug auf das Fernsehen kenne ich keine genauen Zahlen, aber ich weiß, dass viele Leute durch die Sendungen begeistert und animiert werden, ins Konzert zu kommen. Mir wird oft gesagt, dass jemand auf solche Anregungen und Vermittlungsarbeiten hin zum ersten Mal überhaupt ein klassisches Konzert besucht hat – und ich höre das von Menschen aller Altersklassen. Wenn das gelingt, hat man unglaublich viel gewonnen. Egal, ob es sich um ältere oder junge Leute handelt. Deshalb finde ich es wichtig, hier eine breite Öffentlichkeit zu schaffen und auch das Internet einzusetzen. Ich bemerke es auch bei mir selbst, dass ich zuerst ins Internet gehe, wenn ich etwas wissen will, teilweise auch, um meine eigene Sendung zu sehen. Da kann man schnell etwas erfahren und sich ein Bild machen. Aber ich glaube fest, dass die Kommunikation irgendwann persönlich sein und im Konzert stattfinden muss. Was man einem Menschen menschlich gibt, sei es im Konzert oder im Gespräch, das kann durch kein Medium ersetzt werden. Wenn man sich zum Beispiel ein Konzert im Fernsehen ansieht, bei dem man auch live im Publikum saß, dann ergeben sich zwei ganz unterschiedliche Empfindungen. Denn die Empfindung, die man zu Hause vor dem Bildschirm hat, bricht irgendwann ab. Natürlich kann man beeindruckt werden, es schön oder interessant finden, aber das wirkliche seelische Ereignis geschieht immer zwischen Menschen. In einem Konzertsaal kann man eine Brücke bauen – und schon das ist schwierig genug. Dass die Menschen durch die Medien Lust bekommen, ins Konzert zu gehen – darum geht es.
Das Gespräch führte Tobias Roth.
(02/2012)
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