Das Verdi-Quartett im Gespräch mit klassik.com
"Das ist ein wenig wie eine Broadway-Show"
Die Verdis, das sind Susanne Rabenschlag und Matthias Ellinger (Violine), Karin Wolf (Bratsche) und Zoltan Paulich (Violoncello). Das musikalische Profil des 1985 gegründeten Kammermusik-Ensembles ist vielseitig. "Vielsaitig" heißt auch das Festival, das von den experimentierfreudigen Musikern seit 2003 in Füssen organisiert wird. Miquel Cabruja traf die beiden Damen des Verdi-Quartetts in einem kleinen griechischen Restaurant in Köln.
Die Frage hören Sie sicher nicht zum ersten Mal, aber wie kommt man als Streichquartett ausgerechnet auf den Namen Verdi?
Wolf: Die Frage hören wir wirklich häufig. (lacht herzlich) Natürlich ist es ungewöhnlich, sich als Kammermusiker nach einem Opernkomponisten zu nennen, vor allem, wenn dieser nur ein einziges Streichquartett geschrieben hat. Aber der Name Verdi ist international gut auszusprechen und war ganz einfach frei.
Rabenschlag: Und es gibt noch einen weiteren Grund: Hätten wir uns Schubert- oder Schostakowitsch-Quartett genannt, müssten wir ewig deren Quartette jederzeit komplett im Repertoire haben.
Da hat man es ja mit Verdi einfacher. Wie oft spielen Sie sein Quartett?
Rabenschlag: Anfangs haben wir es unglaublich oft gespielt. Inzwischen tun wir es nur noch auf Anfrage.
Verdi äußerte sich sehr kritisch über diese Komposition. Wie beurteilen Sie das als Musiker?
Wolf: Für die Interpreten ist es nicht nur verflixt schwierig, sondern auch recht undankbar. Man merkt, dass Verdi kein Instrumentalkomponist war. Der letzte Satz mit seinem Falstaff-Zitat ist so etwas wie eine Fingerübung - Verdi hat oft Fugen geschrieben, um musikalische Themen auszuprobieren und kompositorisch in Form zu bleiben. Dabei ist er durchaus ein wenig steif. Aber in den ersten Sätzen gibt es viel zu entdecken, vor allem da, wo der Opernkomponist durchkommt.
Kennengelernt haben sich die Gründungsmitglieder des Verdi-Quartetts an der Kölner Musikhochschule.
Rabenschlag: Das war 1985. Karin und ich sind von Beginn an dabei. Seit drei Jahren spielen wir mit dem Cellisten Zoltan Paulich zusammen. Auf ihn sind wir über das Melos-Quartett aufmerksam geworden. Anfang 2008 kam dann noch Matthias Ellinger zu uns. Wir empfinden das als eine wirkliche Bereicherung und Erweiterung unseres musikalischen Horizontes. Die Gefahr der Stagnation ist geringer, dafür ist das Wechseln nervenaufreibender.
Wechsel sind in der Kammermusik keine Seltenheit. Die Gründungsformation Ihres Quartetts lernte beim Amadeus-Quartett. Was ist davon geblieben?
Wolf: Wir sind immer noch sehr durch Amadeus geprägt. Gerade arbeiten wir an Beethovens Großer Fuge. Das letzte Mal haben wir das Stück mit dem Amadeus-Quartett durchgenommen und ich weiß heute noch genau, was die einzelnen Mitglieder zu welcher Frage gesagt haben. Interessant ist, dass sich die Fragestellungen auch nach 20 Jahren nicht geändert haben. Die Antworten sind inzwischen unsere eigenen, aber die Wege, auf denen wir sie suchen, haben wir von Amadeus gelernt.
Mannheim, Stuttgart und Rostock: Sie unterrichten alle in unterschiedlichen Städten. Wie organisiert man da gemeinsame Proben?
Rabenschlag: Wir müssen flexibel sein. Glücklicherweise können wir unsere Studenten ein wenig um das Quartett herum organisieren. Daneben proben wir einfach so oft, wie wir können. Manchmal sehen wir uns länger nicht, aber dann sind wir dafür ein ganzes Wochenende oder fünf Tage zusammen - vor allem in den Semesterferien geht das gut.
Gleichwohl bleibt noch Zeit für das Festival „Vielsaitig“, das Sie 2003 in Füssen gegründet haben. Was hat Sie ausgerechnet ins Allgäu verschlagen?
Wolf: Der Zufall. Wir haben oft in der Füssener Fürstensaal-Reihe gespielt und eines Abends gedacht: Es ist doch ein Ding, dass es in Füssen nichts Derartiges gibt, obwohl dort die Wiege des europäischen Geigen- und Lautenbaus steht.
Rabenschlag: Die Veranstalter und wir fanden, dass es an der Zeit wäre, dort etwas zu schaffen. Von städtischer Seite gab es zunächst große Bedenken. Vor allem befürchtete man, dass sich nie Sponsoren finden würden. Aber wir haben ein Konzept entwickelt, das sich bis heute trägt, mit Unterstützung durch die Stadt und mittlerweile sogar mit einigen Sponsoren.
Welche Bedeutung hat Füssen heute noch für den Geigenbau?
Rabenschlag: In der Bekanntheit hat das italienische Cremona Füssen den Rang abgelaufen. Dabei gibt es einige hervorragende ansässige Geigenbauer, die alle Entwicklungen genau beobachten und engagiert arbeiten.
Gewissermaßen ein Geheimtipp?
Rabenschlag: Durchaus.
Spielt der Geigenbau eine Rolle im Festival?
Wolf : Eine bedeutende Rolle. Die Geigenbauer veranstalten im Rahmen von „Vielsaitig“ Symposien, in denen sie ihre Instrumente vorstellen. Das ist uns wichtig, weil dort Instrumentenbauer und Musiker die Gelegenheit haben, gemeinsam zu diskutieren und nachzudenken: Was mögen wir an den Instrumenten, was wünschen wir uns, wie gut liegen sie in der Hand? Dadurch lernen wir alle sehr viel.
Inwiefern trägt das Festival Ihre Handschrift?
Rabenschlag: Wir sind selbst Teil des Programms und für die künstlerische Leitung verantwortlich. Wir überlegen uns, welche thematischen Schwerpunkte wir setzen wollen und welche Gäste dazu passen.
Wolf: Wir wollen aber auch die Umgebung von Füssen mit der Landschaft und den touristischen Sehenswürdigkeiten miteinbeziehen. Rund um Füssen gibt es Berge und Seen und wunderschöne Naturgebiete. Dementsprechend heißt das Thema dieses Jahr „Gipfel“, 2003 haben wir mit „Wasser“ begonnen.
Wie reagieren Sie in Ihrem Programm auf landschaftliche Sehenswürdigkeiten?
Wolf: Ursprünglich wollten wir zu jedem Thema eigens Kompositionsaufträge vergeben. Das lässt sich leider nicht immer realisieren, ist aber ein wahnsinnig spannendes Konzept. Zum Thema Wasser beispielsweise hat uns die in Köln lebende Spanierin Maria de Alvear ein Stück komponiert, das auf einem See gespielt werden sollte. Auf einem eigens gebauten Floß sind wir auf einen See in der Nähe von Füssen hinausgefahren, der von lauter Bergen umgeben ist. Es war wundervolles Wetter. Nur die Mücken haben uns zugesetzt, und als die Sonne unterging, wurde es verdammt kalt. Zum Glück dauerte das Konzert nur eine Stunde.
Wie sehr unterscheidet sich Ihr Konzertleben - abgesehen von solchen Aktionen - von Ihrer Aufnahmetätigkeit?
Wolf: Die Interpretation bleibt eigentlich immer gleich, aber das Spielgefühl ist ein völlig anderes. Man kann sich nicht völlig verausgaben, weil man weiß, dass man noch den ganzen Tag spielen muss. Im Konzert spielt man einmal und hat dann im besten Fall alles gegeben. Im Studio muss man haushalten.
Ihre Aufnahmen sind Spiegel Ihrer Konzerttätigkeit?
Wolf: Ja. Dabei kommt uns zu Hilfe, dass wir grundsätzlich sehr viel durchspielen. Eigentlich nehmen wir immer eine Gesamtfassung auf und korrigieren dann erst Details.
Rabenschlag: Und zum Schluss wird noch eine Fassung eingespielt. Meist ist es dann auch diejenige, die mit ein paar Korrekturen auf CD erscheint. Endlose Aufnahmesitzungen mit endlos vielen Takes, wie meist üblich, finde ich schrecklich. Man kann doch nicht immer wieder auf den Zug aufspringen.
Sie wollen keine Laboratoriumssituation?
Wolf: Auf keinen Fall. Deshalb ist es auch wichtig, dass wir in einem richtigen Konzertsaal aufnehmen. Das ist etwas anderes als ein Studio, wo man gegen vier Wände anspielt und sich den Hall dazudenken muss. Unsere Aufnahmen reflektieren immer auch den Raum, in dem wir gespielt haben.
Sie machen viele Hauskonzerte. Das ist gewissermaßen der Ursprung der Kammermusik…
Rabenschlag: … und eine wunderbare Übung. Ich bin vor Hauskonzerten aufgeregter als vor „richtigen“ Konzerten. Das Publikum ist einem viel näher und oft genug sitzen unsere Freunde im Raum. Da bekommt man natürlich sofort ziemlich ungefiltert Rückmeldung.
Wolf: Andererseits kann man da vieles ausprobieren und überprüfen, wie Dinge, die man sich überlegt hat, im Konzert wirken. Es ist wie mit einem Gedanken, der oft anders wirkt, sobald man ihn ausgesprochen hat. Deshalb bereiten wir Stücke gern in Hauskonzerten vor. Das ist ein wenig wie bei einer Broadway-Show. Die tingelt auch erst einmal zwei Jahre an der Westküste herum, bis alles einfach stimmt: Konzept, Choreographie, Licht, Perfektion der Sänger und Tänzer. Dann erst kommt sie nach New York.
Die meisten Ensembles spezialisieren sich in eine bestimmte Richtung. Wie sieht Ihr Profil aus?
Wolf: Ich würde sagen, wir stehen für Vielseitigkeit. Wir haben bewusst Crossover-Projekte gesucht, als es das Wort noch nicht gab. Wir machen gerne Programme, die den Horizont erweitern. Konzerte, die Sprache, Tanz, Schlager, Bewegung auf die Bühne bringen. Wir sind neugierig und probieren gerne aus.
Gehört dazu auch Ihr Engagement für den Komponisten Ernst Toch?
Rabenschlag: Toch galt den Nazis aus „rassischen Gründen“ als „entartet“, ging 1933 ins Exil und war danach fast vergessen. Solche Aspekte sind uns natürlich wichtig. Zum 60. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz haben wir in der Kölner Musikhochschule ein Projekt gemacht, in dem wir Musik von Schulhoff und jiddische Lieder aus dem Warschauer Ghetto mit Texten von Paul Celan und Thomas Manns Aufzeichnungen aus dem kalifornischen Exil kombiniert haben. Das Thema beschäftigt uns seit langem.
Wolf: Bei Toch spielte seine geringe Bekanntheit auch aus anderem Grund eine wichtige Rolle für uns. Heute muss man sich gewissermaßen Nischen suchen, wenn man noch etwas aufnehmen will. Angesichts der riesigen Diskographie, die es inzwischen gibt, wollen nur noch wenige Labels die ganzen „Klassiker“ neu herausbringen.
Immerhin haben Sie bei Hänssler eine beeindruckende Schubert-Reihe aufgenommen.
Rabenschlag: Das war eine großartige Geschichte. Friedrich Hänssler haben wir in Eugene/Oregon beim Bach-Festival kennen gelernt. Er hat uns gar nicht gehört, aber offensichtlich über uns gehört, kam aber am Ende des Festivals zu uns und fragte: „Was wollt ihr für mich aufnehmen?“ Ich habe wie aus der Pistole geschossen geantwortet: „Schubert!“ Und da hieß es: „Gut, dann nehmt ihr halt alle Schubert-Quartette auf.“ Als ich im Flugzeug saß, war ich immer noch ganz bewusstlos. (lacht) Aber auch Wolf Werth, der Kammermusikchef von Deutschlandradio hat uns in dieser Angelegenheit unglaublich gefördert. Da wir wunderbar mit Hänssler zurechtkamen, hat er für uns vermittelt, und so haben wir noch die gesamte Streicherkammermusik von Brahms und die CD mit Verdi und dem dritten Streichquartett von Britten aufgenommen. Vor allem haben uns aber seine programmatischen und inhaltlichen Anregungen enorm vorangebracht.
Ihre Schubert-Aufnahmen klingen hochromantisch und verweisen eher auf den frühen Bruckner, als dass Verbindungen zu Beethoven hörbar werden.
Rabenschlag: Als wir den Schubert eingespielt haben, waren wir einfach so. Ich stehe heute noch voll hinter den Aufnahmen, bin mir aber sicher, dass wir heute manches anders machen würden. Strukturell und klanglich würden wir einiges neu bewerten und auch noch deutlicher unsere Erkenntnisse der historischen Aufführungspraxis einfließen lassen.
Macht das nicht jeder im Moment?
Rabenschlag: Wir werden natürlich nie so spielen wie das Quatuor Mosaïque, schließlich musizieren wir ja auch auf modernen Instrumenten. Aber es kann ja nur fruchtbar sein, wenn man sich in alle Richtungen umsieht. Auch das ist Vielseitigkeit.
Das Gespräch führte Miquel Cabruja.
(08/2008)
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