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Sonntag, 2. April 2023

Adrianne Pieczonka, die neue Bayreuther Sieglinde

Eine glückliche Karriere


Sie wirkt einfach glücklich und das strahlt sie auch aus. Die gewisse Unbekümmertheit, die viele Menschen aus Kanada und den USA kennzeichnet, prägt ebenfalls Adrianne Pieczonkas Wesen. Und die Sängerin hat auch viele Gründe glücklich zu sein, ihr Lebenslauf scheint ohne Kurven und Engpässe zu verlaufen. Aufgewachsen in der Nähe von Toronto in einer harmonischen Familie, hatte sie anfangs eigentlich keinen Kontakt zur Welt der Oper und dachte auch nie daran, Sängerin zu werden. Natürlich war sie fasziniert von den Broadway Shows und den Musicals, im Besonderen von Julie Andrews. Als Kind erhielt sie - wie alle ihre Geschwister - Klavierunterricht, was sie aber nicht sehr begeisterte. Lieber spielte und sang sie bei Schulaufführungen und muss schon damals Talent gezeigt haben, denn auf Anraten einer Lehrerin bekam sie dann privaten Gesangsunterricht. Doch es brauchte noch einige Jahre, bis sie sich endgültig dazu entschloss, Sängerin zu werden.

Danach ging eigentlich alles recht schnell. Am Anfang ihrer Laufbahn sang Adrianne Pieczonka nur kurz an kleineren Häusern in Kanada, ging 1988 mit einem Stipendium nach England, gewann einen Wettbewerb und wurde zu einem Vorsingen nach Wien eingeladen. Daraus ergab sich ein Engagement an der Wiener Volksoper, doch bald darauf sang sie schon in der Wiener Staatsoper die Gräfin in Mozarts ‚Hochzeit des Figaro’ und die Tatjana in Tschaikowskys ‚Onegin’; sehr schnell gastierte sie auch auf internationalen Bühnen. „Wien war schicksalhaft für mich, denn dort habe ich viel gelernt“, erklärt die Sängerin. So habe sie sich die Basis für ihre Mozart-, Strauss- und Wagnerpartien in Wien erarbeiten können. Am Anfang ihrer Gesangskarriere dachte Adrianne Pieczonka überhaupt nicht daran, dass Wagner und Strauss für sie einmal zum Kernrepertoire gehören könnten. „In Kanada war man damals noch mehr auf das französische Fach fokussiert, die deutsche Tradition war nicht so stark vertreten. Meine erste Begegnung als Sängerin mit Wagner war Freia und mit jeder weiteren Wagnerpartie wuchs dann meine Liebe zu diesem Komponisten.“

Mittlerweile wird die kanadische Sängerin schon als ‚Lotte Lehmann unserer Tage’ bezeichnet und in diesem Sommer debütiert sie mit der Sieglinde in Bayreuth, in der neuen Ring-Produktion, Regie: Tankred Dorst. Sie hofft, dass der ‚Denker’ Dorst in seinem Konzept auch Raum für eine Entfaltung der musikalischen Seite des Werks zulassen wird. „Es ist für mich eine große Ehre und Chance in Bayreuth zu singen, ich schätze die familiäre Atmosphäre auf dem grünen Hügel und ganz besonders beeindruckt mich das engagierte, professionelle Arbeitsklima im Festspielhaus und natürlich freue ich mich auch auf die Zusammenarbeit mit Christian Thielemann“, erklärt sie, „ich werde auch nicht nur für meine drei Auftritte anreisen, sondern während der ganzen Festspielzeit vor Ort bleiben, ich möchte gerne auch die Region kennen lernen.“ Die Sängerin gönnt sich immer wieder ‚Auszeiten’, sie braucht diese Ruhephasen, um dann gestärkt ihr künstlerisches Schaffen weiter auszubauen. „Eine schnelle Karriere, wie man es heute allzu oft sieht, wäre nichts für mich.“

Copyright Johannes Ifkovits An der Metropolitan Opera in New York hat sie die Partie der Sieglinde schon mit großem Erfolg gesungen. Die Kritiker lobten den expressiven klaren Gesang sowie das darstellerische Talent. In der Tat beeindruckt auf der neuen CD der Künstlerin, die Arien von Richard Wagner und Richard Strauss enthält, die Erzählung der Sieglinde ‚Der Männer Sippe’ aus dem 1. Akt der ‚Walküre’. Adrianne Pieczonka überrascht mit einem warmen und farbigen Timbre, mit einer ausdrucksstarken Mittellage und einer strahlenden Höhe. Diese Partie scheint der Sängerin perfekt in der Kehle zu liegen, die Stimme klingt gänzlich entspannt und gelöst. „Ja, ich habe eine starke Mittellage und eigentlich auch eine kraftvolle Stimme“, bestätigt sie. Doch Angebote für eine Isolde oder gar für eine Brünnhilde lehnt sie erst einmal ab. Allerdings kann sie sich eine Isolde besser vorstellen als eine Brünnhilde. „Singe ich die Isolde, dann kann ich nicht mehr zurück zu den schönen Strauss-Partien wie Arabella oder die Marschallin, auch die Lohengrin-Elsa würde ich sehr gerne noch einige Jahre singen, denn Elsa ist für mich reinstes Belcanto. In fünf Jahren bin ich dann vielleicht neugierig auf eine Isolde. Schauen Sie, Elisabeth Schwarzkopf hat nie Wagner gesungen, aber viel Strauss. Der filigrane, mädchenhafte Straussgesang wird dann wohl auf der Strecke bleiben, wenn ich Brünnhilde singen werde. Dann gibt es keinen Weg mehr zurück. Deshalb singe ich auch keine Elektra oder Salome im Moment.“

Copyright Johannes Ifkovits Nach 18 Jahren in Europa lebt Adrianne Pieczonka jetzt wieder in Toronto. Die Nähe zur Familie ist ihr sehr wichtig geworden. Litt sie früher unter Jetlag, so macht es ihr jetzt gar nichts mehr aus, über den Teich für ein Engagement fliegen zu müssen. Auch unterrichtet sie gerne und hat einige Schülerinnen, obwohl sie selbst auch heute noch in Toronto mit ihrer Gesangsprofessorin regelmäßig arbeitet. In Kanada ist die Sängerin sehr bekannt und beliebt, so wird sie auch zur Eröffnungsgala für das neue Opernhaus in Toronto schnell für einige Tage nach Hause fliegen, um dort aufzutreten. Danach aber ist sie exklusiv erst einmal in Bayreuth und freut sich nach dem Premierenstress auf etwas Urlaub im schönen Oberfranken.

Das Gespräch führte Midou Grossmann.
(08/2006)

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