Isabelle Faust - eine Künstlerin zwischen Nische und Populärem
Das Offensichtliche nehmen
Nein, eine Wunderkindkarriere hat sie nicht gemacht. Kontinuierlich und mit viel Geduld entwickelte sich Isabelle Faust von der ambitionierten Jung-Kammermusikerin zur gestandenen, preisgekrönten Virtuosin. Heute gehört die gebürtige Schwäbin zu den gefragtesten Geigerinnen ihrer Generation, die darüber hinaus in keine der gängigen Schubladen des Musikbusiness zu passen scheint. Ihr weitgefächertes Repertoire, innerhalb dessen die heiß geliebte Kammermusik stets viel Platz einnimmt, und ihre einzig der Musik verschriebenen unprätentiösen Interpretationen machen Isabelle Faust zu einer der spannenden Künstlerpersönlichkeiten unserer Tage. Ihre neueste Einspielung mit Violinsonaten Franz Schuberts erscheint dieser Tage bei harmonia mundi France. klassik.com traf an einem verschneiten Dezembernachmittag die Neuberlinerin in einem mediterranen Feinkostgeschäft zum Gespräch.
Frau Faust, seit vielen Jahren gehören Sie nun zur kleinen aber feinen Spitze der international gefragten Violinvirtuosinnen, geben Ihr musikalisches und technisches Knowhow auch an den Nachwuchs weiter. Wie kam es dazu, dass ein junges Mädchen aus der schwäbischen Provinz zu einer der gefragtesten zeitgenössischen Violinistinnen wurde?
Musik war bei uns zu Hause immer sehr präsent. Meine Mutter ist Schulmusikerin, mein Vater war Gymnasiallehrer mit dem Schwerpunkt Sprachen, der im Alter von 30 Jahren aus Liebe und Passion zur Musik noch begann Geige zu lernen. Auch meine Mutter nahm zeitgleich Cellostunden. Das war eine Art musikpraktischer Startpunkt, eine Initialzündung für die ganze Familie. Erst sollte ich Klavier lernen. Scheinbar war kein guter Lehrer in der Umgebung aufzutreiben, so dass ich gefragt wurde, ob ich nicht das gleiche wie der Papa lernen wolle. Wir gingen dann auch gemeinsam zum selben Lehrer. Da war ich fünf Jahre alt und konnte keine Noten lesen. Zwei Jahre lang geigte ich nach Gehör das nach, was mir mein Vater vorspielte. Danach wurde mein Bruder vom gleichen Schicksal ergriffen, der auch anfing Geige zu lernen. Als ich elf war, kam durch die Eltern die Initiative Quartett zu spielen. Jedoch nicht mit ihnen zusammen. Mein Vater hat damals bei uns im Umkreis von Stuttgart sehr gezielt zwei andere Musiker in ungefähr unserem Alter gesucht, die mit uns zusammen als Streichquartett musizierten. Das war ein großes Glück für uns. Wir haben fünf Jahre lang sehr intensiv Kammermusik gespielt. Mein Bruder musste damals gegen seinen Willen auf die Bratsche umsteigen und ist auch dabei geblieben. Heute ist er Solobratscher der Bremer Philharmoniker. Ich spielte die zweite Geige, was speziell mein Verständnis für harmonische Strukturen geschult, mir Kammermusik aus einem ganz speziellen Blickwinkel nahgebracht hat.
Man kann durchaus behaupten, dass diese Quartettarbeit schnell zählbare Erfolge einbrachte...
... wir haben ‚Jugend Musiziert’ gewonnen, später auch den internationalen Rundfunkwettbewerb ‚Concertino Praga’, wo wir in den drei Wochen der Veranstaltung als dreizehnjährige auf Kammermusiker aus ganz Europa trafen. Eine sehr prägende und spannende Erfahrung. Unterrichtet wurden wir vom Spanier Antonio Perez, der damals beim Bartholdy Quartett Primarius war, komischerweise in unserem kleinen Kaff bei Stuttgart wohnte und an der Jugendmusikschule unterrichtete. Er hatte sehr fundierte Quartetterfahrung und war für uns ein großer Glücksfall. Darüber hinaus hatten wir Kurse beim Melos Quartett und beim La Salle Quartett. Letzteres hat uns besonders die Musik Alban Bergs näher gebracht. Diese fünf Jahre war für mich angehenden Teenager, ich denke auch für die anderen drei, eine unglaublich intensive und formende Zeit; rückblickend sind sie ein sehr großer Schatz, vom dem ich bis heute zehre.
Wie kam es dann zur Herauslösung aus diesem Kammermusikverbund, wie zur Solistenkarriere?
Es gab verschiedene Auffassungen darüber, wie es beruflich mit dem Quartett weiter gehen sollte, ob die Schule beendet werden müsse oder nicht. Ich war erst fünfzehn und die anderen Quartettmitglieder hatten zum Teil die Schule schon abgeschlossen, mussten sich jetzt beruflich orientieren. So kam es, dass wir getrennte Wege gingen. Im gleichen Jahr (1987) passierte es, dass ich völlig unerwartet meinen ersten internationalen Solo-Violin-Wettbewerb gewann, den ‚Leopold Mozart Wettbewerb’ in Augsburg . Und damit war natürlich eine neue Tür aufgestoßen. Die Kammermusik war erst einmal in den Hintergrund gerückt. Plötzlich spielte ich mit großen Orchestern das gängige Violinrepertoire von Mozart über Mendelssohn bis Dvorak. Übrigens begleitet mich das Dvorak-Konzert, das ich ja jüngst auch für harmonia mundi einspielen durfte, seither als eine Art Kontinuum durch meine Kariere. Es ist ein sehr schwieriges und äußerst Delikates Stück, dass zwar häufig, aber nur selten wirklich überzeugend eingespielt wurde. Die Zusammenarbeit mit Jiri Belohlavek und seinem Orchester war dabei außergewöhnlich fruchtbar. Er, sein Orchester und mein Spiel passten einfach perfekt zusammen.
Man kann also sagen, dass der Weg zur Solokarriere früh feststand?
Sicher war es für mich mit fünfzehn Jahren sehr früh, um eine Entscheidung zu treffen in welche Richtung sich meine musikalische Zukunft bewegen wird. Doch mit diesem großen Sprung, plötzlich Preisträgerin eines internationalen Geigenwettbewerbs zu sein, wird dann die Idee einer Solistenlaubahn schon sehr konkret. Natürlich war es bis dahin mehr ein kühner Traum, der jetzt realisierbar schien. Dass ich mein Geld mit dem Geigenspiel verdienen würde, war mir jedoch schon viel früher klar. Was blieb mir auch übrig: ich hatte nicht sonderlich viele Talente, die für eine berufliche Kariere gereicht hätten, ohne mich nun als ausgesprochene‚Niete’ in anderen Bereichen bezeichnen zu wollen. Mein Bruder war z.B. sehr gut in Mathematik und Physik. Der brauchte länger, um sich für den Musikerberuf zu entscheiden. Bei mir war das deutlichste Talent eben die Musik. Und das hat mir gefallen. Ich bin nicht so ein Typ, der es sich sehr kompliziert macht. Ich nehme die offensichtlichen Dinge so wie sie sind; ich folge dem Weg und versuche nicht so viele Umwege zu gehen. Das hat eigentlich bisher ganz gut funktioniert.
Wie wurden sie zu diesem Zeitpunkt unterrichtet - hatten Sie privat Unterricht oder waren Sie Teil eine Lehreinrichtung?
Zu diesem Zeitpunkt war ich schon an der Hochschule. Daheim im Schwäbischen wurde ich von Kurt Schumann und Friedrich Rüsting unterrichtet. Dann ging es als Jungstudentin erst nach Saarbrücken zu Ulrike Dierick und schließlich kurz vor dem Ende des Abiturs nach Detmold zu Christoph Poppen, bei dem ich auch mein ganzes Studium verbracht habe. Er war mein zentraler Lehrer. Obwohl ich auch ganz wichtige Einflüsse durch den ungarischen Geiger Denes Zsigmondy erfuhr, den ich auf Sommerkursen kennen lernte und bis heute sehr schätze. Durch ihn habe ich die Musik Bela Bartoks besonders lieben gelernt. Mit elf Jahren begann ich mit Zsigmondy den letzten Satz der Bartok Sonate zu erarbeiten, was dann über Jahre hin bis zur ganzen Sonate geführt hat. Er hat mir einen ungemein emotionalen Zugang zu Bartok ermöglicht, was ja nicht selbstverständlich ist. Schließlich gilt Bartok nicht selten als spröde und schwer zugänglich. Zsigmondy kannte Bartok noch persönlich und verband die musikalische Arbeit häufig mit Anekdoten aus den gemeinsamen Zeiten. Und plötzlich wird diese vermeintlich spröde Musik unglaublich blumig, gefühlvoll, unter die Haut gehend. Es hilft immer, gerade als junger Mensch, wenn man Komponisten auf solch emotionale Weise kennen lernt. Man erkennt so, dass auch ein Mensch, ein Charakter hinter den geschriebenen Noten steckt. Sicher hat das alles Zeit gebraucht. Man ist ja mit elf Jahren vom Intellekt her noch gar nicht in der Lage, die Tragweite dieser Musik voll zu erfassen. Jedoch lernt man in diesem Alter so unglaublich schnell...
Fast scheint es mir so, als sei Denes Zsigmondy, so wie sie ihn beschreiben, durchaus auch ein bereichernder Kontrapunkt zu Christoph Poppens musikalischer Herangehensweise.
Unbedingt! Beide haben sich wunderbar ergänzt. Zsigmondy war es übrigens der mich zu Christoph geschickt hat. Er war vom Cherubini-Quartett sehr angetan, was nicht zuletzt seine Universalität als Geiger zeigt. Trotzdem waren sie beide sehr unterschiedlich in Ihrer Herangehensweise. Sie wollten das Gleiche, hatten jedoch absolut gegensätzliche Methoden dies musikalisch auszudrücken. Vieles bei Christoph war für mich neu. Ich musste mich stark konzentrieren, immer wieder umdenken und gegenüber Zsigmondys Schule vieles entschlacken, teilweise strukturierter angehen. Diese Wechsel waren in dem Alter nicht immer einfach für mich zu vollziehen. Dass es bei beiden im Grunde um die gleichen Dinge geht, sieht man dann häufig erst aus großer Distanz und mit viel Erfahrung Jahre später. Übrigens verbindet mich mit beiden bis heute eine enge Freundschaft, mit Poppen darüber hinaus auch eine künstlerisch enge Partnerschaft.
In Ihrer jungen Kariere haben Sie zwei Violinwettbewerbe gewonnen. 1987 den schon erwähnten ‚Leopold Mozart Wettbewerb’ in Augsburg, der eine Schlüsselrolle in Ihrer Karriereentwicklung einnimmt, und, als erste Deutsche überhaupt, den ‚Premio Paganini’ 1990 in Genua, der für Sie keinen wesentlichen Fortschritt auf dem internationalen Konzertmarkt bedeutete. Für wie sinnvoll erachten Sie Wettbewerbe heute noch, da sich ja eine gewisse Wettbewerbskultur im Musikbusiness breit gemacht hat?
Ich finde diese unzähligen Wettbewerbe haben heute nicht mehr sehr viel Sinn - ganz einfach weil es zu viele davon gibt. Es ist nichts besonderes mehr, einen Wettbewerb gewonnen zu haben. Häufig werden erste Preise vergeben, weil es fürs Wettbewerbsimage wichtig ist, ohne das aber die Qualität der Preisträger stimmt. Ich selbst habe in der Jury des Salzburger Mozart Wettbewerbs gesessen und eben genau diese Situation erlebt. Es gibt nur noch sehr wenige dieser Veranstaltungen, nach deren Gewinn man wirklich gesteigerte Chancen auf eine Solistenkarriere hat - ich denke einzig der Königin Elisabeth Wettbewerb in Belgien ist noch ein echtes Karrieresprungbrett.
Mittlerweile sind sie auf dem Tonträgermarkt ausgesprochen präsent - oft mit musikalischen Raritäten. Was steht für Sie bei Plattenproduktionen im Vordergrund: Repertoirearbeit oder Marktpräsenz.
Beides ist enorm wichtig. Ich habe großes Glück mit einer wirtschaftlich stabilen und künstlerisch intelligenten Plattenfirma verbunden zu sein, die mir jedes Jahr ein bis zwei, dieses Jahr sogar drei Produktionen ermöglicht, bei denen ich das Repertoire sogar selbst bestimmen kann. Wenn ich da meine Kollegen so sehe, ist dies schon sehr ungewöhnlich, qualitativ und quantitativ. Ich habe es selbst gemerkt, wie hilfreich die Präsenz auf dem Plattenmarkt für eine rege Konzerttätigkeit ist. Meine erste CD mit harmonia mundi France im Jahr 1997, die später auch den Grammy Award gewann, hatte beispielsweise zur Folge, dass ich speziell in Frankreich verstärkt für Auftritte angefragt wurde.
Dann gehen Sie also gerne ins Studio?
Platten aufzunehmen ist eine ganz spezielle Arbeit, die man erst erlernen muss. Inzwischen genieße ich wirklich diese drei oder vier Tage im Studio. Gerade in der Formation zu zweit oder zu dritt hat man so unwahrscheinlich viele Möglichkeiten auszuprobieren und bis an die Limits zu gehen. Hinterher geht man in die Regie und schaut wie das wirklich ankommt. Diesen Effekt, dass man spielt und gleichzeitig das eigene Publikum sein darf hat man ja sehr selten. Gerade in kleinen Gruppen genießt man dann häufig den Luxus, ohne Zeitdruck zu korrigieren und ausprobieren zu können. Da sind Produktionen mit großen Orchestern ganz anders und für mich viel stressiger.
Hören Sie sich Ihre Platten nach Erscheinen auch selbst an, oder gehören Sie eher zur Sorte Künstler, der sich für seine Interpretationen im konservierten Zustand nicht interessiert?
Ich hör sie schon ab und zu mal an. Allerdings ist es schon so, dass der Hauptteil der Arbeit mit der Vorbereitung und der Durchführung der Produktion getan ist. Dann lässt sich halt nichts mehr ändern.
Wie steht es eigentlich um das Verhältnis zu anderen Musikern ihres Ranges? Beobachten Sie einen Verdrängungseffekt zwischen Solistenkollegen - beäugt man das Tun des anderen kritisch?
Ich habe ein so unglaubliches Glück es mir leisten zu können, mich nicht um das zu kümmern, was um mich herum diesbezüglich passiert. Vielleicht ist dies auch mein Erfolgsrezept: Ich versuche an meine Sache zu glauben. Ich genieße Musik mehr und mehr ... ich genieße die Konzerte mehr und mehr. Was sicher auch damit zu tun hat, dass meine Laufbahn sich ganz kontinuierlich entwickelt hat und nicht alle Agenturen und Künstlermanager nach den Wettbewerbssiegen in Augsburg und Genua auf mich einstürzten. Ein Wunderkind war ich nie. Ich hatte ausreichend Zeit mich musikalisch und persönlich zu entwickelt, einen Schritt nach dem anderen zu machen.
Auf dem Plattenmarkt sind Sie bisher vor allem mit eher selten eingespielten Werken vertreten - vom Dvorak-Konzert einmal abgesehen. Ist dies Kalkül oder dem persönlichen Geschmack geschuldet?
Nun, es ist sicher ein wenig Zufall dabei. Auch ich habe meinen Brahms und Beethoven im Petto, die ich auch regelmäßig und mit großer Begeisterung spiele. Aber das ist sicherlich nicht das, was sofort für CD aufgenommen werden muss. Überhaupt bekommt man ja über das eingespielte Plattenrepertoire schnell einen Stempel im Klassikbusiness aufgedrückt, der sich dann leicht in die Konzerttätigkeit übertragen kann. Als ich die beiden Bartok-Platten gemacht hatte, galt ich gleich als ausgemachte Expertin für seine Musik. Dabei wollte ich speziell für meine erste CD etwas auswählen, dass ich besonders gut kannte und noch nicht viele vor mir eingespielt hatten. Schon für die zweite Bartok-Produktion, wie auch für die folgenden Platten mit Szymanowski, Janacek und Lutoslawski musste ich Werke komplett neu lernen, hatte sie teilweise zuvor noch gar nicht gespielt. Ich versuche durchaus dem Publikum etwas zu bieten, das nicht schon 50 mal auf dem Markt ist. Natürlich kommt dann irgendwann der Punkt, wo man sich sagt: so, ich habe viel von diesen nicht alltäglichen Werken aufgenommen, jetzt möchte ich etwas präsentieren, mit dem ich Farbe bekenne - ganz nach dem Motto: das ist schon 50 mal auf dem Markt, und ich kann das auch! Und dann hat sich dieser schöne Zufall mit Jiri Belohlavek ergeben. Das war die Gelegenheit ein großes romantisches Konzert nach all diesen Recitals aufzunehmen. Antrieb war aber auch hier nicht zuletzt die Tatsache, dass es mit Belohlavek künstlerisch so wunderbar zusammen passte. Hätte ich nicht den Eindruck gehabt, wir könnten zusammen für den Plattenmarkt mit unserer Dvorak-Sicht eine Bereicherung sein, hätte ich diese Produktion sicher nicht gemacht.
Wie sieht denn im Vergleich dazu Ihr Konzertrepertoire aus?
Oh, ganz gemischt. Ich mache alles. Das klingt jetzt sehr wahllos, aber mich interessiert alles an guter Musik aus jeder Epoche. Ich spiele jetzt auch mehr und mehr auf Darmsaiten - etwas, was heute ja schon gar nicht mehr außergewöhnlich ist, weil es fas alles Kollegen machen. Die historisierende Aufführungspraxis war ja leider noch nicht sonderlich integriert in mein Studium, auch wenn Christoph Poppen meinen Kopf teilweise dafür geöffnet hat. Mittlerweile habe ich den Anfängerstatus auf diesem Feld längst verlassen, habe Projekte mit Andreas Staier, arbeite mehr und mehr mit dem Concerto Köln zusammen. Ich spiele Haydnkonzerte mit Ton Koopmann im Februar in Paris. Sobald man aufhört neugierig zu sein, sich weiter zu entwickeln und zu suchen, kann man einpacken! Auch auf dem Feld der Neuen Musik bin ich weiter tätig. Selbst das Aufführen von Neukompositionen, die sich in der Praxis schnell als nur mittelmäßig erweisen, schult ungemein den Blick für qualitativ hochwertige Musik. Es ist noch gar nicht so lange her, dass ich anfing Ligeti und Feldman zu spielen. Komischerweise fällt man heute mehr auf, wenn man dieses zeitgenössische Repertoire aufführt, als mit Mendelssohn oder Brahms. Trotzdem spiele ich diese auch - ganz sicher auch mit größter Freude. Ich habe ganz einfach das große Glück, für so viele verschiedene Dinge angefragt zu werden - und ich kann auch nur ganz schlecht nein sagen.
Das klingt nach einem vollen Terminkalender!
Ganz sicher sogar. Derzeit gebe ich gut und gerne über 70 Konzerte im Jahr. Und es kommt eher selten vor, dass ich das gleiche Programm mehrmals hintereinander mit verschiedenen Orchestern spielen kann. Da bleibt manchmal nur zu wenig Zeit für meine Familie. Und meine Studenten warten gelegentlich auch ganz verzweifelt auf ihren nächsten Unterricht.
Sie haben es gerade erwähnt: Mittlerweile gehören Sie auch zur Gruppe der unterrichtenden Musiker, haben seit zwei Jahren eine Professur an der Universität der Künste in Berlin. Was macht das Unterrichten so reizvoll für Sie?
Es ist für mich als Mensch und Musiker eine sehr bereichernde Tätigkeit. Ich profitiere viel von dieser neuen Herausforderung. Das Unterrichten ist auch eine Sache, die meine gesamte Musikkarriere abrundet, nicht zuletzt weil es irgendwann einfach dazugehört, den musischen Nachwuchs zu fördern. Viele Dinge werden mir zwangsläufig viel klarer: Der Kopf muss sich gut ordnen. Sachen, die man sonst intuitiv tut, müssen eine Struktur bekommen. Auch eigene Fehler werden einem viel bewusster. Dabei versuche ich möglichst alles von mir Preis zu geben, was ich musikalisch und methodisch zu sagen habe. Es ist aber auch ein hart zu erlernendes Metier - einen Studenten bis zum Diplom als Lehrer konsequent und strukturiert zu begleiten. Eine einzelne Stunde ist schnell gegeben. Aber auf lange Sicht den Überblick über das zu erlangen, was ein Schüler noch braucht, wo seine individuellen Stärken und sein Förderpotential liegen, ist ein zeitintensiver Lernprozess, dem ich mich gerade unterziehe. Meine sechs Schülerinnen, alles ausgesprochen starke Charaktere mit viel Talent, großem Willen und ebensolcher Zähigkeit, haben sich gezielt für mich entschieden, weil sie sich von mir vor allem musikalisch neue Ansichten versprochen haben. Dieses gemeinsame Ziel fördert die Stimmung innerhalb der Klasse ungemein und macht das Anliegen für mich auch sehr persönlich. Es hat mich emotional viel mehr gepackt als ich dachte.
Verraten Sie uns doch abschließend noch kurz etwas zu anstehenden neuen Projekten. Mir ist zu Ohren gekommen, dass die angekündigte Zusammenarbeit mit Andreas Staier dieses Jahr in Salzburg erlebbar werden soll.
Oh ja, wir machen in Salzburg bei den Festspielen einen Mozart Abend. Wie erwähnt, haben zwar noch nie zusammengearbeitet, kennen uns aber trotzdem sehr gut, haben gegenseitig Konzerte des anderen intensiv gehört und auch, nur zum privaten Spaß, zusammen gespielt. Konzerte haben sich bisher trotz langer Planung noch nicht realisieren lassen. Das ändert sich ja jetzt endlich.
Treffen da nicht zwei recht verschiedenen Interpretationswelten aufeinander?
In diesem Fall hoffe ich sehr von ihm zu profitieren. Ich finde seine Mozart-Aufnahmen absolut genial. Seine Interpretationen sind auch vom Fachwissen her absolut fundiert. Vielleicht kann ja auch er in einem anderen Repertoirefeld, beispielsweise bei Bartok eines Tages von mir profitieren.
Das Gespräch führte Frank Bayer.
(01/2006)
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