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Samstag, 1. April 2023

Photo: Alvaro Yanez

Andreas Staier über "Hommage à Bach"

"Fugen sind Charakterstücke höchster Art"


Ein Schumann-Progamm als Hommage an Johann Sebastian Bach? Mit seiner neusten CD beleuchtet Staier die intensive Beziehung, die Schumann zu seinem großen Vorbild pflegte und geht auf die Suche nach den Spuren, die Schumanns Auseinandersetzung mit Bach in seinem Klavierwerk hinterlassen hat. Der Experte für historische Tastenmusik Andreas Staier beleuchtet nicht nur die frühen Kompositionen Schumanns, sondern wagt sich auch in dessen Spätwerk vor. Aufhorchen lassen die Tempi, denn Staier hat sich bewusst an den Metronomangaben von Schumann orientiert.

Eine Schumann-CD als Hommage an Bach. Wie kommt man darauf?

Eigentlich liegt der Gedanke auf der Hand. Schumann hat sich sein ganzes Leben lang mit Bach auseinandergesetzt. Man könnte im Grunde 90 Prozent seines Klavierwerks unter dem Titel rechtfertigen. Mir ging es jedoch darum, die vielen Facetten seiner Auseinandersetzung mit Bach zu zeigen. Schumann ist da nämlich keineswegs immer offensichtlich.

Beispiel „Kinderszenen“?

Schumann hat seine Bachverehrung oft in Anspielungen verborgen. In den „Kinderzenen“ sind alle Titel kindheitsbezogen. Nur der erste Titel „Von fremden Ländern und Menschen“ sowie das letzte Stück „Der Dichter spricht“ haben nichts mit dieser Kinderwelt zu tun. Sie bilden einen Rahmen, der auf E.T.A. Hoffmanns „Kreisleriana“ bezogen ist. Dort tritt ein Mensch auf, der wie ein Fabelwesen beschrieben wird...

...ein „unbekannter, stattlicher Mann“, heißt es da, „seltsamlich gebildet und gekleidet“.

Damit kann nur Bach gemeint sein. Entsprechend hört man bei Schumann zu Beginn des ersten Stücks das B-A-C-H-Motiv - ein typisches Beispiel für die esoterische Denkweise Schumanns. Er hat oft Chiffren in seine Musik eingearbeitet und mit Buchstaben- und Zahlenspielen hantiert. Vieles von dem, was er in seinen Stücken verborgen hat, konnten wohl nur er und seine Frau Clara entschlüsseln. Anderes ist eindeutiger wie das berühmte Zitat aus Beethovens Lied „An die ferne Geliebte“, das in der Zweiten Sinfonie oder der großen Klavierfantasie in C-Dur auftaucht.

Eine sehr persönliche Ebene.

Schumanns musikalische Chiffren sind immer sehr persönlich. Das gilt auch für seine Beschäftigung mit Bach. Hunderte von Zitaten belegen das. Neben dem romantisch-verborgenen Spiel mit literarischen Quellen gibt es auch die direkte Beschäftigung mit der Polyphonie, wie Schumann sie in den späten Fughetten betrieben hat.

Schumann ging es um mehr als nur das Fugenschreiben.

Bach war für Schumann stets so etwas wie ein Kompositionslehrer. Immer wieder hat er die Fugen aus dem 'Wohltemperierten Klavier' analysiert und studiert. Wenn Schumann schreibt: ‚Fugen sind Charakterstücke höchster Art’, dann drückt er sehr treffend aus, dass es ihm darum geht, ein Stück zu schreiben, das sich selbst rechtfertigt und aus sich heraus eine Grundstimmung entwickelt. Es geht ihm nicht nur um Polyphonie, sondern auch um die Prägnanz der Affekt-Darstellung.

Wie passen die „Waldszenen“ dazu?

In den „Waldszenen“ - einem der bekanntesten Spätwerke - gibt es mit 'Verrufene Stelle' und „Vogel als Prophet“ zwei geradezu psychedelisch übersteigerte Barock-Stilkopien, die auf französische Ouvertüren zurückzuführen sind. Obwohl das erste Stück vordergründig homophon wie ein romantisches Charakterstück klingt, verarbeitet Schumann darin winzige Motive, die eigentlich fugiert sind. Opus 32 ist da viel eindeutiger. Schon der Titel „Scherzo, Gigue, Romanze und Fughette“ verweist auf barocke Formen. Dabei ist es interessant, wie Schumann ironisch mit den Begriffen spielt: Denn die Gigue ist fugiert, während die Fughette witziger Weise gar nicht polyphon ist. Die Gigue ist also viel eher eine Fughette als die Fughette selbst. (lacht schelmisch)

Copyright Eric Manas

Sie beginnen Ihre CD mit einer Auswahl aus dem „Album für die Jugend“.

Damit wollte ich einen Rahmen schaffen. Ich beginne mit dem Choral aus dem Album für die Jugend und schließe mit 'Der Dichter spricht' aus „Kinderszenen“. Beide Stücke sind Choräle und stehen in G-Dur. Dieser Choral kehrt in F-Dur transponiert noch einmal im 'Album für die Jugend' zurück. Dort tritt er als figurierter Choral mit Umspielungen auf, der sicher von Bachs „Wohltemperiertem Klavier“ inspiriert ist und abermals mit dem B-A-C-H-Motiv spielt. Allerdings scheint Schumann dort das Motiv nicht finden zu können. Wann immer die Intervalle stimmen, ist es transponiert, so dass die Töne nicht stimmen. Wenn es die korrekten Töne sind, dann sind sie durcheinandergeschüttelt. Erst ganz zum Schluss hört man einmal B-A-C-H und sofort ist das Stück am Ende angelangt.

Ein Kreisen um Bach.

Umso mehr, wenn man bedenkt, dass das Stück den bemerkenswerten Titel „Thema“ trägt. Dabei hat das Stück keine Gestalt, die man als Thema bezeichnen könnte. Schumann wollte den Interpreten sicher dazu anregen sich zu fragen, wieso das Stück den Titel „Thema“ trägt, obwohl es gerade kein konsistentes und wieder erkennbares Thema verarbeitet. Es ist eher die ununterbrochene Variierung einer Keimzelle. Das ist aber das genaue Gegenteil eines Themas. Es ist ein Prozess.

Bach als Lebensthema?

Ein Thema, das Schumann sein ganzes Leben lang beschäftigt hat, ausgedrückt im Spiel mit dem B-A-C-H-Motiv.

Bachs Musik ist auch voller Andeutungen.

Bei Bach findet man so etwas ständig, beispielsweise im e-Moll-Chor der Matthäuspassion, wo die Bassnote 41-mal wiederholt wird. 41 entspricht dem Ergebnis, das man erhält, wenn man die Zahlenwerte der Buchstaben des Namens J.S. Bach addiert. Schumann war, was das angeht, ähnlich veranlagt, und ich glaube, dass ihn Bachs spätmittelalterliche Zahlenmystik genau so interessiert hat wie handwerkliche Fragen.

Copyright Alvaro Yanez

Inwieweit wollte Schumann, dass man seine Andeutungen versteht? Hatte er die Sehnsucht, erkannt zu werden?

In seiner Musik betreibt Schumann ein Versteckspiel, in dem auch sicher eine Sehnsucht nach Erkanntwerden enthalten ist. Wenn er an Clara so etwas schreibt wie: „Du weißt ja, in diesem Stück ist sehr viel von dir“, kann man das nicht immer auflösen. Oftmals handelt es sich dabei um gemeinsame Erlebnisse, die nicht überliefert sind. Schumann geht sehr unterschiedlich mit seinen Hinweisen um: Manche Andeutungen lässt er halboffen in seiner Musik liegen, so dass Gutwillige sie finden können. Anderes legt er sehr viel tiefer ab. Und dann gibt es eine persönliche Ebene, aus der Hinweise und Andeutungen kaum mehr geborgen werden können.

Ihre CD wird einige Zuhörer überraschen. Sie haben sich an die Metronomangaben von Schumann gehalten. Die meisten Interpreten ignorieren diese. Wieso?

Sie halten sie für falsch. Und das hat lange Tradition. Clara legte dafür den Grundstein, als sie Schumanns Werk herausgab. Dabei hat sie sich als treu sorgende Witwe viel Mühe gemacht und fabelhafte Arbeit geleistet. Mit den Metronomangaben von Schumann scheint sie aber Schwierigkeiten gehabt zu haben. Clara hat 1855, als ihr Mann schon in der Anstalt war, geschrieben, dass sein Metronom leider fehlerhaft gewesen sei und man seinen Angaben nicht trauen könne. Allerdings hat sie diese Aussage neun Jahre danach wieder revidiert. Später ist sie in ihrer Ausgabe der Schumann-Werke dennoch stark von seinen Vorgaben abgewichen. Sie hat zum Teil 50 Prozent schneller oder langsamer als Schumann metronomisiert.

Wie erklären Sie sich das?

Sie hat es nicht aus Beliebigkeit getan und sich lange mit der endgültigen Entscheidung gequält. Zu diesem Thema sind seitenlange Korrespondenzen mit Brahms erhalten. Sie wollte es hundertprozentig richtig machen.

Mit Ihrer CD wollten Sie zeigen, dass Schumanns Metronomangaben Beachtung verdienen?

Ich finde es einfach unlogisch, Schumanns Metronomangaben abzulehnen. Viele sind der Meinung, dass Schumann am Ende seiner Karriere einfach schon zu verrückt war, um die richtigen Tempi anzugeben. Tatsächlich findet in seinem Spätwerk eine Verlangsamung statt. Man bekommt den Eindruck, er hätte einen Tunnelblick bekommen. Ohnehin hat er nur noch in a-Moll und d-Moll geschrieben. Trotzdem hat es für mich keinen Sinn zu sagen: ‚Komponieren konnte Schumann 1853 schon noch. Aber zum Metronomisieren war er zu verrückt.’ Das passt nicht zusammen.

Copyright Eric Manas

Waren Schumanns Metronomangaben eine Herausforderung für Sie?

In den „Kinderszenen“, die ja viele Hörer kennen, spiele ich die berühmte „Träumerei“ nach Schumanns Metronomangaben viel schneller, als man sie normalerweise hört. Wilhelm Kempff ist gerade einmal halb so schnell wie von Schumann gefordert. Dabei finde ich gerade hier das schnelle Tempo sinnvoll. „Kuriose Geschichte“ ist dafür sehr langsam, während „Bittendes Kind“ oder „Am Kamin“ wieder ein schnelleres Tempo vorlegen. Dadurch werden die Stücke dichter, wirken wie ein Satz. Für die späten Fughetten, die ich unbedingt auf die CD bringen wollte, habe ich mir anderthalb Jahre Zeit gelassen. Ich habe die Stücke zuerst ohne Metronom am Klavier erarbeitet und erst danach mein Tempo überprüft. Ich habe festgestellt, dass ich hier in einigen Stücken mehr als doppelt so schnell wie Schumann war. Das zeigt, wie stark Schumann in seinem Spätwerk verlangsamt hat.

Eine Entwicklung, die man immer wieder auf den Wahnsinn Schumanns zurückgeführt hat.

Der Wahnsinn ist für Schumann immer sehr nah gewesen. Deshalb ist es falsch, anzunehmen, die Spätwerke seien von einem halb Wahnsinnigen geschrieben worden. Denn halb wahnsinnig war er vorher schon. Die Jahre vor dem Zusammenbruch waren für ihn nicht schwieriger als die Jahre danach.

Sie spielen auf einem historischen Erard-Flügel aus dem Jahre 1837. Inwieweit unterscheidet sich dieses Instrument von modernen Flügeln?

Mit Erard beginnt im Grunde der moderne Flügelbau. Seine Mechanik entspricht weitgehend der heutiger Klaviere. Allerdings ist dieses Instrument, wie es nachweislich oft von Clara Schumann auf Konzertreisen gespielt worden ist, weicher und transparenter im Klang als heutige Instrumente. Ansonsten kann man alles mit ihm machen, was man auf einem Steinway tun kann.

Wir haben über Schumanns Beziehung zu Bach gesprochen. Welche Beziehung haben Sie zu Schumann?

Schumann hat auf geradezu exhibitionistische Weise über sich geschrieben. In seinen Selbstzeugnissen und seiner Musik erscheint er mir immer als ein wirklich interessanter, ausgesprochen besonderer und irgendwie auch sehr nobler Mensch. Er hatte ganz sicher viele Fehler. Aber in der Auseinandersetzung mit ihm gewinnt man Schumann einfach sehr lieb.

Das Gespräch führte Miquel Cabruja.
(11/2008)

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