Ein Gespräch mit der Mezzo-Sopranistin Bernarda Fink
Zum Weinen schön
Als sie jüngst mit dem Österreichischen Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst ausgezeichnet wurde, sagte der Österreichische Bundeskanzler Schüssel über die Sängerin: "Bernarda Fink ist für uns die Personifizierung eines globalen Kunstverständnisses". Dem möchte man unwidersprochen zustimmen. Ihre persönliche und musikalische Biographie gibt entscheidende Hinweise darauf, wie die gebürtige Argentinierin diese außergewöhnliche Entwicklung nehmen konnte, was die "globalisierte" Künstlerin Fink zu der Persönlichkeit machte, die sie heute ist. Klassik.com traf Bernarda Fink auf einen Tee in Wien.
Es ist einer dieser grauen Frühlingstage, die Mitteleuropa heuer so sehr prägen. Warum sollte es den Österreichern besser gehen als den Deutschen? Hier in Wien regnet es wie aus Kannen, arktische Temperaturen helfen dabei, zügig voran zu kommen und die historischen Sehenswürdigkeiten um mich herum zu ignorieren. Dankbar rette ich mich in das Operncafe, gleich hinter dem barocken Prunkbau, der die Wiener Staatsoper beherbergt. Es scheint der einzige Ort zu sein, den die Touristen zum Aufwärmen gemieden haben. In einem abgeschiedenen Separee warte ich auf meine Trocknung und meinen Gesprächsgast. Dick eingepackt in einen langen Mantel und das Haar mit einer schicken Mütze verhüllt, erscheint Bernarda Fink überpünktlich. Ihre Miene gleicht zunächst dem Wetter. Ich freue mich, dass auch andere Menschen sich nach Licht und etwas Wärme sehnen. Der grüne Tee macht die Unannehmlichkeiten schnell vergessen und Bernarda Fink entpuppt sich als aufgeschlossene, äußerst unterhaltsame Persönlichkeit, der man ihren Beruf beim ersten Betrachten nie anmerken würde. Wir hätten die 90 Minuten sicher auch über Literaturgeschichte, europäische Außenpolitik oder die anstehende Fußball Weltmeisterschaft sprechen können, langweilig währe es nie geworden. Doch wir wollen über die Sängerin Bernarda Fink reden; ein Portrait soll es werden.
Seit vielen Jahren gehört sie zu den weltweit gefeierten Mezzo-Sopranistinnen. Sie ist ein stiller Star, jemand, der sich langsam und stetig seinen Platz als Stern am Sängerhimmel erarbeitet hat, ohne dabei gesteigerten Wert auf die persönliche Außenwirkung, das Image zu legen. Ihr unprätentiöses Wesen, ihre immer wieder durchschimmernde Demut vor dem Werk anderer - Komponisten, Dirigenten, Kollegen - ist von grundehrlichem Charakter, nichts wirkt hier gewollt. Das mag viel mit dem Umfeld zu tun haben, in dem Bernarda Fink groß wurde. Geboren in Buenos Aires, ist sie die Tochter slowenischer Einwanderer. Ihre Eltern, beide gläubige Katholiken und entschiedene Gegner des kommunistischen Regimes, flohen 1945 zunächst nach Italien, und entgingen wohl so dem Massenmorden, dem über 12.000 junge Slowenen in jener Zeit zum Opfer fielen. Nach zwei Jahren in einem italienischen Flüchtlingslager, wo Finks ältester Bruder geboren wurde, ging es für die junge Familie nach Argentinien. Buenos Aires wurde zur neuen Heimat. Das Emigrantenleben entpuppte sich als kein leichtes, vor allem für den Vater, der als studierter Jurist nun in einer Betonfirma die Buchhaltung führte, um die Familie zu ernähren. Doch bewahrte Familie Fink stets ihre kulturelle Identität: Zuhause wurde slowenisch gesprochen, und vor allem die Musik diente allen als Ventil und Energiequelle zugleich. ‚Mein Vater sang zu Hause, vor allem Schubert und Schumann; begleitet von meinem Onkel, der Pianist und Komponist war. Und drei Schwestern meines Vaters, die ebenfalls mit nach Argentinien geflüchtet waren, bildeten ein Gesangstrio, das zuvor im slowenischen Radio eine wöchentliche Show hatte. Sie traten auch in Argentinien zusammen auf, produzierten sogar eine Schallplatte dort, auf der auch mein Vater mitwirkte.’ So entwickelte auch die junge Bernarda eine Vorliebe für Musik, speziell für Gesang. Die sonntäglichen Darbietungen des Vaters der Lieder von Franz Schubert haben sie schon in jungen Jahren enorm berührt. ‚Ich erinnere mich, dass ich oft heimlich geweint habe, weil mich die Musik, ihre Schönheit so sehr berührte’, gesteht sie heute, wo sie längst zu den außergewöhnlichen Liedinterpretinnen gehört und ihre Hörer selbst ein ums andere mal zu Tränen rührt.
Doch sollte ihr musikalischer Werdegang nicht ohne Hindernisse sein. Auf den Schulabschluss folgten zunächst vier Jahre Studium der Erziehungswissenschaften an der örtlichen Universität. ‚Als ich dann mit nur zwei vorbereiteten Arien - ‚Porgi, amor’ und ‚E Susanna non vien!’ aus Mozarts Figaro - einen Studienplatz am ‚Instituto Superior de Arte del Teatro Colón’ in Buenos Aires erhielt, war das einfach unglaublich. Ich hätte mich wirklich nie als Lehrerin vor einer Klasse stehen sehen wollen. Singen zu können war ein großes Glück, ein Traum.’ Zunächst als Sopran wenig glücklich ins Studium gestartet, wird ihre Mezzo-Stimme nach fast drei Jahren Ausbildung endlich erkannt und gefördert. Von hier an ging es stetig bergauf. Nach Studienende und dem Gewinn des ersten Preises beim Wettbewerb ‚Nuevas Voces Líricas’ kam Bernarda Fink 1985 nach Europa; zunächst nach Genf, wo sie ihren späteren Ehemann, einen österreichischen Diplomaten, der zur slowenischen Minderheit Österreichs gehört, kennen lernte. Dem Berufe des Gatten geschuldet, folgten sechs Jahre in der goldenen Stadt Prag, die sich für die junge Sängerin zu einer künstlerisch und kulturell prägenden Zeit entwickelten. Hier kam sie intensiv mit der slawisch-böhmischen Musik in Kontakt, lernte diese zu schätzen und lieben und konzertierte mit vielen tschechischen Künstlern und Orchestern. Auch ihre beiden Kinder wuchsen in Prag auf - das tschechische Kindermädchen dieser Tage steht bis heute mit der Familie in engem Kontakt, und Tschechisch ist eine stets präsente Sprache im Hause Fink.
In diese Zeit fällt auch Bernarda Finks erste Berührung mit Alter Musik und der historischen Aufführungspraxis, einem Bereich, der sie während des Studiums nie streifte. Schuld hieran ist René Jacobs, der sie nach dem Ausfall einer Sängerin für seine Plattenproduktion von Händels ‚Flavio’ engagierte. ‚Ich habe damals die ganze Rolle mit ihm zusammen am Cembalo gelernt. Er hat wie ein kleiner Mozart am Instrument gesessen und mir geduldig alle Kadenzen, Verzierungen und Phrasierungen vorgesungen, die ich dann nachsang. Ich habe Barockmusik also durch pures Imitieren erlernt.’ In der Zwischenzeit ist Jacobs weit mehr als ein Mentor geworden. Er ist einer ihrer wichtigen musikalischen Partner; kaum eine Produktion des belgischen Spezialisten, bei der sie nicht beteiligt ist. Und nicht von ungefähr zählt Bernarda Fink Claudio Monteverdi und Johann Sebastian Bach zu ihren absoluten Favoriten. Doch Barockmusik überhaupt bildet heute einen gewichtigen Part im Repertoire der Sängerin. Die Bach’sche Matthäuspassion bezeichnete sie einmal als ihr Traumstück schlechthin, trotzdem es keine echte Altpartie ist. Sie fühlt sich eben der sakralen Musik stark verbunden. ‚Nikolaus Harnoncourt hat gesagt, die Musik sei eine Nabelschnur zu Gott. Ich habe das auch immer so empfunden. Hier werden schmerzvolle Erfahrungen auf atemberaubend schöne Weise ausgedrückt.’
Und wie steht es mit der Oper? ‚Nun, ich mache ab und an auch Opernproduktionen, doch nicht all zu oft. Ich mag die Begleiterscheinungen der Opern nicht so gerne: man ist lange Zeit in einer anderen Stadt, weit weg von der Familie, dann die langen und manchmal wenig erquicklichen Proben... und ich habe auch eine gewisse Angst vor Regisseuren und ihren manchmal skurrilen Ideen. Ehrlich gesagt bevorzuge ich konzertante Opernaufführungen und natürlich Oratorien, die ja nicht selten einen opernhaften Charakter haben.’
Wer nun glaubt, Bernarda Fink sei auf ein barockes Repertoire festgelegt, der täuscht sich gewaltig. Natürlich spielen Monteverdi, Bach, Händel und Gluck eine gewichtige Rolle im künstlerischen Schaffen der Sängerin. Doch finden sich hier auch alle wichtigen Komponisten der Romantik und Moderne, natürlich weniger im Bereich der Oper. Zwei andere Felder stehen hier im Vordergrund: das begleitete Sololied und das Orchesterlied. Bei letzterem vorwiegend die französische und deutsche Romantik, was vor allem an der besonderen Bedeutung liegt, die Bernarda Fink dem Text zumisst. ‚Für mich muss Text etwas starkes sein - literarisch und emotional. Deshalb fühle ich mich speziell den romantischen französischen Werken - also ‚Shéhérazade’, ‚Nuits d’été’, Berlioz und Duparc - aber auch den deutschen Vertreter wie Wagners Wesendonk-Liedern, Brahms Altrhapsodie etc. besonders nahe.’ Auch das Werk Gustav Mahlers nimmt einen immer wichtigeren Part ihres Repertoires ein; seine Orchesterlieder ebenso wie die Sinfonien.
Längst hat Bernarda Fink sich auch als Liedinterpretin einen großen Namen gemacht. Ihr besonderes Verhältnis zum Sololied, das anfangs schon Erwähnung fand und einen wichtigen Anteil daran hat, dass die Argentinierin überhaupt zur Musik fand, hat sie auf einer Vielzahl von teils ergreifenden, teils berückend schönen Recitals live und auf Platte dokumentiert. Es brauchte jedoch den besonderen Antrieb des Pianisten Roger Vignoles, der Fink dazu brachte, ihre Liedinterpretationen einer breiten Öffentlichkeit vorzuführen. Zu wenig überzeugt war sie davon, dass sich jemand für Ihre Recitals interessieren könnte. Seit nunmehr sechs Jahren arbeiten die beiden überaus erfolgreich zusammen. Zwei Projekte dürfen als exemplarisch für die fruchtbare Zusammenarbeit der beiden Künstler gelten: Robert Schumanns ‚Frauenliebe und -leben’ zusammen mit den Lenau-Liedern und eine Produktion mit Liedern Antonin Dvoraks (beide erschienen bei harmonia mundi france). Vor allem mit der Dvorak-Platte hat Fink eine wichtige Lücke im Liedrepertoire geschlossen. Selten genug finden sich diese Werke Dvoraks auf den Programmzetteln großer Sänger. Doch war es ihr auch eine Herzensangelegenheit, diese Produktion zu machen. Nicht zuletzt als Reminiszenz an ihre Zeit in der Tschechischen Republik. ‚Prag war für mich eine enorm wichtige Station in meinem Leben. Ich habe die Menschen, die tschechische Mentalität schätzen und lieben gelernt. Und ich mag diese Lieder Dvoraks ganz besonders. Sie sind so beseelt und in einer positiven, manchmal geradezu infantilen Art naiv.’
Doch nicht nur für ihre tschechischen Nachbarn bricht die in Österreich lebende Bernarda Fink eine Lanze. Ihre neueste Platte ist ein ganz besonderer Beitrag für die Musik ihres Heimatlandes. Zusammen mit ihrem Bruder Marcos und der Pianistin Carmen Piazzini hat sie 25 Lieder aus der Hand argentinischer Komponisten zusammengestellt, die hierzulande kaum einem Musikfreund bekannt sein dürften. Das ist wunderbare Musik mit viel Seele und großem Herz, die weit mehr ist, als eine bunte Ansichtskarte aus einem der europäischen Kultur sehr fernen Land. ‚Und es gibt noch eine riesige Menge an Liedern, die in Europa, ja teils in Argentinien selbst vollkommen unbekannt sind.’, gibt Bernarda Fink schon heute Aussicht auf eine Fortführung dieses Projekts und ihre Augen leuchten freudig erregt. Man merkt, dass diese Musik etwas ganz besonderes für sie ist; für eine Künstlerin, die in Europa heimisch geworden ist und doch in ihrem Herzen Argentinierin bleibt. Einmal im Jahr fliegt sie mit der ganze Familie nach Südamerika und besucht dann für einen Monat alle Verwandten und Freunde.
Man kann Bernarda Fink stundenlang zuhören, beim Singen und beim Erzählen. Ihre unprätentiöse und fesselnde Art lässt die Zeit wie im Fluge vergehen. Die Schlagbohrmaschine aus dem Nachbarraum, die ihre Mittagspause beendet hat, mahnt uns jedoch, ein Ende zu finden, und wir kommen diesem akustisch stichhaltigen Argument nach. Schnell hat sie noch ihr neustes Opernprojekt angesprochen. Ein weiterer Traum ist für Bernarda Fink in Erfüllung gegangen und auf CD gebannt (ab Ende Mai im Handel). Sie hat den Sesto in Mozarts ‚La clemenza di Tito’ gesungen. Natürlich wieder zusammen mit René Jacobs, der einmal zu ihr gesagt hat: ‚Niemand kann so schön weinen beim Singen wie Du.’ Der Himmel scheint dieses Kompliment aus gewichtigem Munde zu respektieren. Als wir das Cafe verlassen stoppt der Regen.
Das Gespräch führte Frank Bayer.
(04/2006)
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