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Sonntag, 2. April 2023

Photo: Frank Walka

Cornelius Hauptmann, Initiator der "Wiegenlieder"-Aufnahmen, wiegt sich in Freude über deren Erfolg

"Plötzlich war die Lawine losgetreten!"


Wer hätte gedacht, dass Wiegenlieder, die noch vor Jahrzehnten zum Repertoire von Eltern und Kindern gehörten, zu einem Verkaufsschlager werden? Nach der im vergangenen Herbst bei Carus erschienenen "Wiegenlieder"-CD steht nun die zweite Folge zur Veröffentlichung bereit. Hinter diesem Mammut-Projekt steckt eine Menge Arbeit und viele Gespräche, wie uns der Initiator Cornelius Hauptmann, selbst international geschätzter Sänger, berichtet. 52 der bedeutendsten deutschsprachigen Sänger haben sich bereiterklärt, ohne Gage bei diesem Projekt mitzuwirken, von dessen Erlösen ein Teil der Stiftung Herzenssache e.V. zugutekommt. Dass Wiegenlieder nicht nur für Kinder geeignet sind, mit ihnen die Angst vor Krokodilen vertrieben und mit dieser Arche Noah die Sehnsucht nach Bewährtem gestillt werden kann, hat Cornelius Hauptmann klassik.com-Autor Tobias Pfleger erzählt.

Wie kommt man als international hoch geschätzter Sänger dazu, ein „Wiegenlieder“-Projekt ins Auge zu fassen? Was war der konkrete Anstoß?

Der Auslöser war, dass ein befreundeter Musiklehrer an einem Stuttgarter Gymnasium mir erzählt hat: Du, stell Dir vor, ich habe heute meine Schüler gefragt, wer das Lied „Der Mond ist aufgegangen“ kennt. Und er hat nur ratlose Blicke geerntet. Das Lied kannte niemand! Darüber haben wir uns furchtbar aufgeregt, dann habe ich mit anderen Leuten geredet und erfahren, dass die heute zwischen 10 und 15jährigen solche Lieder überhaupt nicht mehr kennen, weil weder die Kindergärtnerin noch die eigenen Eltern oder die Lehrer mit den Kindern gesungen haben. Die Kinder haben anscheinend nur noch ‚Deutschland sucht den Superstar‘ im Kopf, aber selber singen sie nicht. Und nachdem man sich dann Gedanken darüber gemacht hat, sagt man: Aufregen kann man sich immer, das ändert aber nichts. Wir Sänger könnten da eigentlich doch was machen.

Und dann haben Sie anschließend bei Ihren Sängerkollegen leise angeklopft, um deren Bereitschaft für ein „Wiegenlieder“-Projekt abzuschätzen?

Ja, anschließend habe ich mit meinen Kollegen, die ich schon lange und gut kenne, geredet, zum Beispiel Christoph Prégardien. Und er erwiderte: Du, mach das, ich bin dabei – gar keine Frage. Aber wie willst Du denn das machen? An der Beantwortung dieser Frage und daran, Sänger nach ihrer Mitwirkung zu fragen, habe ich ein Jahr lang gearbeitet. Ich hatte natürlich das Privileg, dass ich von den 52 Sängern, die dieses Projekt tragen, 45 persönlich kenne.

Und die Reaktionen Ihrer Kolleginnen und Kollegen waren durchweg positiv?

Ja, durchweg gut! Was ich auch ganz toll fand: Dass ich solche Leute wie Peter Schreier treffe. Peter Schreier hat mich dirigiert, aber ich habe mit ihm auch schon gesungen. Es war fraglich, ob ich ihn – mittlerweile ist er 74 – dazu kriege, ein Wiegenlied zu singen. Seine erste Antwort war: Nein, ich singe nicht mehr. Ich habe ihm aber positiv zugesprochen und ihn gebeten, nochmal darüber nachzudenken. Nach einiger Zeit habe ich ihn nochmal angerufen, und dann wann er doch dabei. Er sagte: Wir sind die letzten, die noch sowas machen können. Und er ist der Älteste von allen. Er ist nämlich ein Jahr älter als Kurt Moll. (lacht) Er war unser Senior.

Ist es für Sänger vielleicht sogar eine wohltuende Abwechslung, relativ einfache Lieder ohne affirmativen Kunstgestus zu singen, sozusagen mit einem semplice-Charakter?

Ja, absolut. Weil die Sänger jetzt auch von sich selbst reden! Aber es ist ja auch so: Je einfacher das Lied ist, desto besser muss der Sänger sein. Denn das erfordert wirklich allerhöchstes Können. Eins kommt noch hinzu: Wenn man sich mal anschaut, wer da singt – das sind ja normalerweise Konkurrenten im Geschäft. Die Sopranistinnen stehen in Konkurrenz, und die Tenöre sowieso. Aber sie sagten alle: Das ist uns egal, wir machen hier gemeinsame Sache. Einige Kollegen haben mir auch geschrieben, es sei unglaublich, welches Familiengefühl plötzlich unter uns Sängern da ist. Christoph Prégardien sagte: Wir sind nicht alle im gleichen Boot, sondern wir sind eine Arche Noah! So ein Gefühl ist unter den Sängern entstanden. Es gab ein ganz solidarisches Einhaken: Lasst uns das machen! Meine Kolleginnen und Kollegen singen diese Lieder mit großem Engagement, weil sie das für wichtig halten und selbst auch schön finden. Denn wir haben das ja alle in unserer Kindheit gesungen. Auf der anderen Seite muss ja auch sehen, dass das die Eitelkeiten eines jeden Sängers bedient. Da schließe ich mich ein.

Copyright Monika Paulick

Wurden Ihnen als Kind am Abend Wiegenlieder vorgesungen?

Ja, ich bin damit groß geworden, absolut. Als ich in die Schule gekommen bin, hat unsere Lehrerin mit uns jeden Tag gesungen. Ich war als Kind auch im Kinderchor und habe dann eine Menge Schlaflieder gesungen. Deswegen kenne ich die Lieder natürlich auch alle. Mein Vater war Thomaner, mein Onkel war Sänger, meine Tante war Sängerin, und ich habe mit meinen Geschwistern als Kinder, wenn wir Angst hatten, dass das Krokodil unterm Bett rauskommt, immer gesungen. Damit haben wir uns vor drohenden Krokodilen getröstet. (lacht) Das ist natürlich eine ganz persönliche Geschichte. Aber es ist erwiesen, dass Musik Gutes tut. Das galt vor 500 und vor 150 Jahren und die nächsten 200 Jahre wird es auch gelten. Musik ist einfach ein nonverbaler Tranquilizer ohne Nebenwirkungen. (lacht) Es sei denn, der Vater singt so schlecht, dass das Kind ihn bittet, aufzuhören… Roman Trekel, der auch auf der „Wiegenlieder“-CD zu hören ist, hat als junger Vater den Fehler gemacht, seinen Kindern Schuberts „Erlkönig“ vorzusingen, worauf die Kinder nicht geschlafen haben, und er zwei Stunden erklären musste, warum am Ende das Kind tot war.

Deswegen haben die Wiegenlieder einen meist beruhigenden Text…

…das ist wohl so. Aber oft ist auch viel Bedrohliches drin. Auch, dass der Tod da offen angesprochen wird: Der Tod war ein Teil des Lebens. So eine Liedzeile wie „Morgen früh, wenn Gott will, wirst Du wieder geweckt“, könnte bedrohlich wirken. Aber es ist einfach die Wahrheit und hat auch etwas Tröstliches: Man hat es nicht in der Hand, es entscheidet noch jemand anders darüber, ob du wach wirst oder nicht. Das kann man Kindern auch schon sagen. Aber es gab schon einige Diskussionen, ob wir z.B. einzelne Strophe weglassen sollten.

In den letzten Jahren wurde von wissenschaftlicher Seite die positive Wirkung von Musik auf Kinder ja stark betont.

Soziologen und Hirnforscher sagen, dass es sehr wichtig ist, Kinder musizieren zu lassen. Dass die Kinder intelligenter werden, ist die eine Sache. – Aber man muss nun ja nicht die Kinder intelligent züchten… Zudem verändert sich auch die Empathiefähigkeit, die Aufmerksamkeit, sogar das Sozialverhalten: Kinder, die gesungen haben, verhalten sich anders. Dazu gibt es schon zahlreiche Untersuchungen. Aber das war eigentlich nicht der Auslöser für mich. Ich habe mich einfach geärgert, dass Kinder die Lieder nicht mehr kennen. So hat das alles angefangen.

Wie ging die Auswahl der Lieder vonstatten? Haben Sie Lieder vorgeschlagen oder die Sänger gebeten, ihre Lieblings-Wiegenlieder zu singen?

Das war eine sehr interessante Geschichte. Ich hatte eine Liste von etwa 70 Liedern, obwohl es noch viel mehr gegeben hätte, die dafür infrage gekommen wäre. Christoph Prégardien habe ich die Liste zuerst gezeigt, und er hat sich „Der Mond ist aufgegangen“ reserviert. Damit war dieses Lied schon mal weg. Natürlich hätte jeder andere Sänger das Lied auch gern gesungen, aber dann hätten wir zwei CDs mit 52 Versionen von „Der Mond ist aufgegangen“. Es kamen auch einige Sänger mit der Frage auf mich zu, ob ihr Lieblingslied schon vergeben sei. Christian Gerhaher z.B. wollte unbedingt „Nun ruhen alle Wälder“ singen. Aber die grobe Auswahl der Lieder habe im Wesentlichen ich gemacht. Ich habe jedem Sänger so zwei, drei Lieder vorgeschlagen, weil ich deren Stimme ja kenne. Ich habe natürlich überlegt, welches Lied zu welcher Stimme passt. Und dann habe ich einige Lied-Vorschläge gemacht. Es gab sehr unkomplizierte Kollegen wie z.B. Michael Volle, der alles gesungen hätte, was ich ihm vorschlug. Aber es gab natürlich auch ein paar etwas komplizierte Fälle, bei denen eine gute Rhetorik gefragt war, damit man alle mit ins Boot holen kann. Das ist sehr gut gelungen. Es gab natürlich auch Aufnahmen, die hat man abgehört, und dann gesagt: Das war jetzt nicht so gut. Der Rundfunk hat auch bei zwei Personen nochmal Neuaufnahmen gemacht, weil es dann doch nicht zufriedenstellend war.

Wie nahm das Projekt dann langsam Gestalt an?

Wir hatten die Vorbereitungen getroffen und mussten nun einen Verlag finden, der ein solches Projekt veröffentlichen könnte. Ich kannte den Carus-Verlag, der von mir auch schon Platten veröffentlicht hat, und einige Pianisten, bei denen schon abzusehen war, dass sie mitmachen würden. Herr Dr. Johannes Graulich, Chef des Carus-Verlags, erwiderte, dass er das „Wiegenlieder“-Projekt gerne machen würde, aber mit großen Bauchschmerzen. Denn das Risiko war einfach riesengroß: Es sind über 100 Mitwirkende, und die Sänger und Pianisten bekommen ja alle keine Bezahlung. Das könnte man auch gar nicht. Wie will man etwa Jonas Kaufmann für ein Wiegenlied bezahlen? Aber auch das hat funktioniert. Hinzu kam, dass manche der Sänger Exklusivverträge haben, etwa mit der Deutschen Grammophon oder Sony. Aber die Kollegen haben alle gesagt: Das nützt auch uns, da machen wir mit. Sogar Agenturen von sehr wichtigen Sängern haben uns unterstützt. Und dann kam der Rundfunk dazu, anschließend sind unter anderen DIE ZEIT und der Reclam-Verlag eingestiegen. Und plötzlich war die Lawine losgetreten! Rasch habe ich gemerkt, dass für ein solches Projekt die Türen weit offen stehen. Ich musste nur noch mit dem kleinen Finger dagegen drücken, eigentlich nur dagegen hauchen – eine riesengroße Begeisterung, das war wirklich unglaublich! Auch die Verantwortlichen beim SWR – alle waren begeistert. Das war vollkommen verrückt. Aber dass das dann natürlich eine Lawine an Arbeit nach sich zog, die dann vor allem auch beim Carus-Verlag und beim SWR hing, ist klar. Und glücklicherweise konnten wir Frau Bundeskanzlerin Merkel als Schirmherrin gewinnen. Es ist wichtig, dass die Politik sagt: Das ist eine wichtige Sache, wir unterstützen das.

Dahinter stand sicherlich ein riesiger organisatorischer und logistischer Aufwand, von der Arbeitszeit ganz zu schweigen…

…oh, ja! Der SWR hat seine Tonmeister quer durch Deutschland geschickt, um die Lieder aufzunehmen: in Berlin, Köln, Dresden, Stuttgart usw. Und auch der Österreichische Rundfunk hat ein paar Sachen aufgenommen. Es gibt ein Lied auf der zweiten CD: „Der Wächter tutet in sein Horn“. Da dachte ich mir: Wenn da schon von einem Horn die Rede ist, sollten wir ein Alphorn einsetzen. Ein normales Horn ginge natürlich auch, aber wieso eigentlich nicht ein Alphorn? Nun sind Alphörner alle in G oder F gestimmt. Das Lied aber ist in Es. Es gibt aber hier in Deutschland einen Alphornbauer, der ein einziges Alphorn in Es hat. Ich habe ihn breitgeklopft, damit er das Alphorn ausleiht, habe es der Hornistin gebracht und dann sind wir mit dem Es-Alphorn nach Baden-Baden ins Studio gegangen. Dort hat sie einfach nur ein paar Signale in Es aufgenommen, die zu dem Lied passen – kling grandios. Aber man hört dem Lied natürlich nicht an, welcher Aufwand dahintersteckt. (lacht) Daran habe ich jetzt mein stilles, triumphales Vergnügen.

Mittlerweile ist die CD ja sogar in den Klassik-Charts…

…ja, auf Platz 15. Unglaublich!

Es scheint ja ein richtig großes Interesse, vielleicht sogar Bedürfnis für eine solche Liedzusammenstellung zu geben. Waren Sie von der Reaktion überrascht?

Ja, absolut. Dass das einige Leute ganz gut finden, hatte ich mir schon gedacht. Aber dass es ein solcher Erfolg werden würde, war nicht abzusehen. Ich habe auch ganz viel Post, E-Mails und Anrufe bekommen, vor allem von älteren Leuten! Das Ziel des Projekts ist eigentlich, dass Kinder wieder zum Singen kommen. Und natürlich auch, dass eine gewisse deutsche Liedtradition und das Volkslied bewahrt werden, nicht verloren gehen. Zu meiner Überraschung kommen jetzt aber die 60, 70 und 80jährigen und sagen: Mein Gott, das sind Lieder, die ich in meiner Kindheit gesungen habe, wunderschöne Sachen! Gott sei Dank kann ich das mal wieder hören. Vor allem nicht mit irgendwelchen elektronischen Instrumenten verkitscht oder irgendwie aufgepoppt, sondern die ganz echten alten Sätze. Die positiven Reaktionen vom Publikum sind schon wirklich unglaublich. Wir hatten hier in Stuttgart im Dezember eine Wiegelieder-Gala in der Stuttgarter Oper: 1200 Leute im Opernhaus, von jeder Altersstufe. Die Leute haben mich belagert mir gesagt, sie seien so dankbar für die Zusammenstellung dieser Lieder. Die Menschen sind zutiefst angerührt und angesprochen. Mich freut das sehr. Ich habe eine befreundete Ärztin, die sagt: Wenn ich abends aus der Klinik komme und geschafft bin, dann höre ich Wiegenlieder, und bis ich zuhause bin, bin ich wieder ‚unten‘. Vor allem für Leute, die die Lieder noch kennen, haben die Wiegenlieder einen sehr großen therapeutischen Effekt: ‚runterzukommen‘, den Stress zu verlieren.

Copyright Frank Walka

Die Wiegenlieder sind also nicht nur für Kinder geeignet, sondern auch für Erwachsene und Ältere…

Ich habe auch Kontakte zu Menschen, die Sterbende betreuen. Die spielen diese „Wiegenlieder“-Platte sterbenden Menschen vor. Damit macht man keine Werbung, das ist vollkommen klar. Aber nach dem Goetheschen Zitat „ Ein kleiner Ring begrenzt unser Leben“ – dass Leben schließt sich da mit Liedern der Kindheit. Ich hatte einmal einen Liederabend in einem Altenheim, wo z.B. auch Demente dabei waren. Als Zugabe habe ich „Guten Abend, gut Nacht“ von Brahms gesungen, da fing plötzlich der ganze Saal an, mitzusummen – ein seltsames Gefühl für einen Sänger, der auf der Bühne steht. Anschließend kam eine ältere Dame mit ihrem Mann am Arm und sagte zu mir: Herr Hauptmann, das ist mein Mann; er kennt mich nicht mehr – aber das Lied hat er erkannt! Bei diesem Mann sind, bildlich gesprochen, die Türen und Fenster zu. Und für einen Augenblick geht ein Fenster auf, und man sieht, dass da noch Licht brennt, und dann geht es wieder zu. Das sind schon sehr besondere Momente. Und mit den Wiegenliedern ist das ähnlich.

Nun hat eine solche CD, die sich zum Ziel setzt, Kinder zum Singen anzuregen, ja auch den Hintergrund, Kinder – in einem nächsten Schritt – an die klassische Musik heranzuführen, und damit das Konzertpublikum für Morgen zu bilden, Stichwort ‚Audience Development‘…

…das macht der öffentlich-rechtliche Rundfunk hier sehr stark, und auch ich selbst als Sänger und im Vorstand der Hugo Wolf Akademie, einem Verein für Liedkunst bzw. Kunstlied. Ich war etwa kürzlich bei Abiturienten und habe dort etwas über Oper erzählt und dann auch gesungen. Viele waren fassungslos, dass man mich gehört hat – ohne Mikrophon. Dann habe ich erklärt, dass ich schon in der Opera de Bastille mit 2700 Plätzen gesungen habe oder in der Royal Albert Hall vor 4500 Leuten, ganz ohne technische Verstärkung. Das können die Schüler gar nicht fassen. Es gibt immer ein oder zwei, die sich das merken und die dann vielleicht einmal in die Oper gehen. Man erreicht eh nur 2,5 bis 5 Prozent der Kinder, aber das hat sich dann schon gelohnt. Die anderen finden es exotisch und lachen sich kaputt.

Es ist aber doch fraglich, ob eine CD wirklich Kinder zum Singen anregt. Denn meistens wird sie ja einfach in den Player gelegt und abgespielt.

Eben deshalb hat der Carus-Verlag dieses Doppelprojekt auf die Beine gestellt. Es wurde ein Buch herausgebracht mit einer eingelegten CD zum Mitsingen. Auf dieser eingelegten CD sind die gleichen Liedsätze, die auch die Sänger singen. Aber eben gespielt von einer Geige mit Klavierbegleitung. Sie sind alle so transponiert, dass sie Kinder mitsingen können.

Kennen Sie auch die Resonanz auf dieses Begleitbuch gegenüber den Verkaufszahlen der CD?

Das Buch verkauft sich wahnsinnig gut, ebenso die CD. (lacht) Manchmal denke ich: Leute, seid ihr verrückt? Aber es freut mich ja… Dass es so einen Absatz findet, hätte wirklich keiner gedacht. Es gibt eine Plattenfirma, eine der weltgrößten Plattenfirmen, die wohl die Absicht hat, auf dieses Boot aufzuspringen. Sie plant, dasselbe mit Volksliedern zu machen. Dasselbe Konzept, nur auf Volkslieder übertragen. Da werden sie aber Pech haben, denn bei den Aufnahmesitzungen haben wir die Sänger schlauerweise nicht nur Wiegenlieder singen lassen, sondern auch Kinder- und Volkslieder. Es gibt also Kinder- und Volkslieder, aufgenommen von denselben Sängern. Da ist zum Beispiel Kurt Moll dabei mit „O du lieber Augustin“.

Das heißt, ein Folgeprojekt ist schon in der Pipeline?

Ja, und viele Leute wollen auch, dass wir das Gleiche mit Weihnachtsliedern machen. Bei Weihnachtsliedern gibt es natürlich eine viel größere Auswahl. Aber die Volks- und Kinderlieder werden vermutlich im Herbst rauskommen.

Es ist ja schon eine interessante Tendenz, dass ganz offensichtlich ein Bedürfnis da ist, traditionelles Liedgut, das zum Teil Jahrhunderte zurückgeht, zu bewahren.

Das ist absolut richtig. Ich habe das Projekt vor zweieinhalb Jahren angefangen, da gab es keine Krise auch keine anderen derart auffälligen sozialen Ereignisse. Nachdem solche Dinge passiert sind, und nachdem die Leute immer mehr Zukunftsangst haben, besinnt man sich auf das, was man kennt: auf das Traditionelle, auf das man sich verlassen kann, das einem das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit gibt. Ich glaube, da stehen bei vielen Menschen ein paar mehr Türchen offen als noch vor einigen Jahren. Aber es ist natürlich Zufall, dass dieses Projekt genau in diese Zeit stößt.

Nun steht die zweite Folge der „Wiegenlieder“ in den Startlöchern…

…eine wahnsinnig gute CD! Es ist für mich schon ein besonderer Moment, wenn ich die CD dann in den Händen halte. Und die ist sowas von toll und exzellent gesungen! Vor allem auch vielfarbig: Es sind ein paar andere Instrumente dabei, zum Celesta und Cembalo. Ich habe festgestellt, dass bei diesen Liedern jeder so seine fünf, sechs Lieblingslieder hat, die er immer wieder hört. Und diese Auswahl der Lieblingslieder unterscheidet sich von Hörer zu Hörer: Was der eine nicht gut findet, findet der andere toll – so wie es im Leben und auch bei den Frauen ist, so ist es auch bei den Liedern (lacht).

Haben Sie denn für Nebenprojekte momentan überhaupt noch Zeit?

Nun, ich singe ja noch Opern. In Salzburg am Landestheater gerade einen ‚Freischütz‘, dann bin ich demnächst in Bordeaux und Paris, es wird Konzerte mit der ‚Missa solemnis‘ geben und auch Liederabende. Zudem bin ich hier noch bei der Hugo Wolf Akademie involviert, wo es einen Gesangswettbewerb geben wird – ich bin also ganz gut beschäftigt.

Copyright Frank Walka

War es Ihnen von vornherein ein Anliegen, Teile des Erlöses gemeinnützigen Projekten zu Gute kommen zu lassen?

Ja, absolut. Teile der Gelder, die mit dem Projekt erzielt werden, gehen in die Stiftung Herzenssache e.V., das ist eine Stiftung von Sparda-Bank und SWR. Das Geld geht in Projekte für das Singen mit Kindern. Bei der Gala in Stuttgart konnten wir der Stiftung einen Scheck mit 98.000 Euro überreichen – nur aus dem Erlös der verkauften CDs und Bücher innerhalb von drei Monaten. Bei einer Gala der Stiftung Herzenssache in Mainz im Dezember kamen 450.000 Euro zusammen. Es gibt also offensichtlich Leute, die sagen: Da sind wir dabei. Ich weiß natürlich, dass ich damit die Welt nicht verändere. Aber zumindest für das Glück und das Wohlbefinden von ein paar Menschen kann ich beitragen; das finde ich schon ganz wertvoll. Vielleicht kommen manche Eltern auf die Idee, ihren Kindern nun was vorzusingen. Und wenn ein paar hundert oder tausend Menschen durch die „Wiegenlieder“ fröhlicher werden, ist das ja auch nicht schlecht. Ich selbst bin es auf jeden Fall.

Das Gespräch führte Dr. Tobias Pfleger.
(03/2010)

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