Gautier Capuçon, Langschläfer und aufgeweckter Cellist, schwärmt für Paris, Jazz-Improvisation und gibt Auskunft über den körperlichen Ausdruck beim Spielen.
"In erster Linie bin ich Musiker, in zweiter Linie Franzose"
Der 28 Jahre alte Cellist Gautier Capuçon hat sich innerhalb weniger Jahre einen festen Platz auf den Podien der Welt erspielt. Ob im Duo mit seinem geigenden Bruder Renaud oder als Solist vor großem Orchester, Capuçon zählt zu den aufregendsten jüngeren Cellisten. Mit Thomas Vitzthum sprach er über seine Lehrmeister, exotische Konzertorte und das tägliche Drama eines Langschläfers.
Guten Morgen, Monsieur Capuçon!
Ach herrje, so gut ist der Morgen noch nicht, selbst um 11 Uhr bin ich noch nicht richtig wach. Ich bin überhaupt kein Morgenmensch.
Dann danke ich natürlich, dass Sie sich unseretwegen so früh erhoben haben. Sie leben in Paris. Ist das der Ort, wo ein französischer Künstler leben muss?
Ich liebe Paris über alles. Ich würde hier nicht wegziehen wollen. Vor ein paar Jahren dachte ich darüber nach, nach New York zu gehen für ein paar Jahre. Das habe ich dann aber doch nicht durchgezogen. Paris ist aber nicht mehr die Stadt des 19. Jahrhunderts, als alle wichtigen Künstler hier lebten und hier leben mussten, damit aus ihnen überhaupt etwas werden konnte. Heute ist es vor allem ein praktischer Ort für einen Künstler. Es gibt viele Konzerte und von hier aus kann ich gut auf Reisen gehen. Ich lebe in Paris, weil ich meine Freunde hier habe. Einer meiner besten wohnt gleich um die Ecke.
Ein musikalischer Freund?
Ja, Jean-Yves Thibaudet. Wir sind schon oft zusammen aufgetreten, aber er ist auch ein enger persönlicher Freund geworden.
Hat er Ihnen erzählt, dass er in Berlin vor einiger Zeit in einem Techno-Club ein Solo-Konzert gab?
Wirklich? Davon hat er nichts gesagt. Aber ich bin mir sicher, dass er das geliebt hat. Diese besondere Art sich konzentrieren zu müssen, kann einem als Musiker eine wertvolle Erfahrung vermitteln. Denn so lange es um die Musik geht, kann man überall spielen. Die Atmosphäre ist dann wichtiger als die Akustik, um die es in einem klassischen Konzertsaal geht. Ich selbst habe noch kaum Konzerte in so speziellem Rahmen gegeben. Der exotischste Ort war in Australien. Vor etwa zehn Jahren habe ich in Neuseeland an einem Wettbewerb teilgenommen und wir haben auch Australien besucht. In einer Art Naturpark, überall hüpften Kängurus rum, Koalas hockten in den Bäumen; da habe ich mein Cello rausgeholt und gespielt. Das war sehr skurril. Aber in einer Disco oder Bar bin ich noch nie aufgetreten.
Für einen Pianisten ist es auch leichter, sich in einer Bar ans Klavier zu setzen und zu spielen als für einen Cellisten. Können Sie improvisieren?
Auf dem Cello improvisiere ich nur für mich, wenn ich übe, da hört dann keiner mit. Aber als ich mit sieben Jahren Klavier zu spielen begann, wollte ich unbedingt Jazz-Improvisation lernen. Das war der Grund, warum ich überhaupt mit dem Klavier angefangen habe. Ich war technisch ganz fit, hab sogar einen Preis auf meiner Schule gewonnen, später auch Klavier neben dem Cello studiert. Aber leider kann ich bis heute nicht richtig improvisieren. Ich will es aber noch nachholen, irgendwann.
Im 19. Jahrhundert konnten alle Interpreten improvisieren, heute ist das kaum noch von Bedeutung. Eigentlich schade, oder?
Das ist es, es ist eine tolle Möglichkeit, sich selbst unabhängig von den Vorgaben durch einen Komponisten auszudrücken. Die Musik kommt gewissermaßen direkt aus dem Herzen. Aber auf der Bühne mache ich das nicht. Es ist eben ungewöhnlich geworden. Wenn es ein klassischer Interpret allerdings kann, ich denke an die Pianistin Gabriela Montero, dann sind die Leute begeistert. Was sie macht, ist überraschend, weil niemand mehr daran gewöhnt ist in der Klassik, dass jemand so frei mit seinem Instrument umgeht. Das ist eine große Gabe, um die ich sie beneide. Improvisation hat eine enorme Unmittelbarkeit und Direktheit. Mit Gabriela gehe ich bald auf Tournee durch Deutschland. Wir spielen Prokofiew, Rachmaninow und Mendelssohn.
Es gibt Musik, die klingt in unseren Ohren dezidiert Französisch, andere Deutsch. Sie spielen Ende Januar mit dem Konzerthausorchester Berlin Dvořáks Cellokonzert, das in den USA entstand. Klingt es für Sie amerikanisch?
Ein wenig ja, es ist sehr heroisch und majestätisch. Das Cello ist ein König in diesem Konzert. Ich habe es vor einigen Jahren schon einmal mit dem Deutschen-Symphonie-Orchester im Konzerthaus gespielt, die Akustik lässt den Klang besonders heroisch wirken.
Das Konzert ist also ‚an american hero’…
(lacht) ... so in der Art. Natürlich ist dieser heldische Ton nichts spezifisch Amerikanisches. Aber ich glaube, dass es die Leute ein Stück weit so wahrnehmen könnten. Dvořák hat damals oft in New York gelebt und ein wenig kann ich seine Eindrücke von der Stadt heraushören. Es geht weniger um Themen, die stärker böhmisch geprägt sind, als dass sie amerikanisch wären. Aber dieses Feuer, dieses Elektrisiertsein, das verbinde ich mit dem Land, wo das Werk entstanden ist, und deshalb höre ich es vielleicht auch so.
Sie haben gerade ein echtes amerikanisches Werk eingespielt. Das Cellokonzert in e-Moll von Victor Herbert. Wie haben Sie es entdeckt?
Herbert war Cellist im Orchester der Metropolitan Opera und seine Musik ist unter Cellisten nicht unbekannt. Herbert wusste, was wir mögen. Sein Konzert ist sehr romantisch, passioniert, sehr ehrlich und einmal mehr sehr heroisch. Es ist aber leider beim Publikum weitgehend unbekannt. Ich habe es schon als Jugendlicher kennen gelernt durch die Aufnahme von Yo Yo Ma. Ich habe es damals oft gehört und in der Klasse meines Lehrers Philippe Muller bat ich darum, das Konzert spielen zu dürfen. Als es nun um die Aufnahme des Dvořák-Konzerts mit Paavo Järvi für Virgin Classics ging, fragten wir uns, was wir Dvořák auf der CD an die Seite stellen könnten. Und da Dvořák und Herbert sich kannten und Dvořák sich durch Herberts Arbeit angespornt fühlte, ein eigenes Konzert zu schreiben, passte das sehr gut.
Spielen Sie das Werk auch in Deutschland?
Ich werde es hauptsächlich in Frankreich spielen, aber ich hoffe, dass es häufiger auf den Programmzettel gesetzt wird. Es ist ein fantastisches Stück, das unterschätzt wird.
Spielen nationale Traditionen noch eine Rolle in der Erziehung von Musikern?
Natürlich. Es gibt immer noch eine französische Cello-Schule, die von Andre Navarra, Pierre Fournier und meinen Lehrer Philippe Muller mitgeprägt wurde. Aber ich möchte mich nicht in eine Schublade sperren lassen, nur weil ich ein französischer Musiker bin, in erster Linie bin ich Musiker, in zweiter Linie Franzose. Ob es eine spezifisch französischen Ton gibt, den ich auch hervorbringe, das müssen andere beurteilen.
Ihr Bruder Renaud ist ein bekannter Geiger. Tauschen Sie sich über ihre Interpretationen aus?
Nein, gerade nicht mehr so sehr. Wir haben acht Jahre lang zusammen gespielt und sind zusammen aufgetreten. Im Moment konzentrieren wir uns auf unsere eigenen Sachen.
Haben Sie sich gestritten?
Nein. Wir lieben es natürlich nach wie vor zusammenzuspielen und werden sicher wieder mehr zusammenarbeiten, aber im Moment ist es einmal Zeit durchzuatmen. Das Duo kann durch die individuellen Erfahrungen nur bereichert werden.
Haben Sie jemals Geige gespielt?
Ja, mit vier Jahren drückte man mir eine Geige in die Hand, aber ich konnte damit nichts anfangen. Das war nicht mein Instrument. Mit viereinhalb bin ich auf das Cello umgestiegen.
Das klingt so, als wären Sie in einer klassischen Musikerfamilie aufgewachsen.
Eigentlich nicht, meine Eltern sind keine Musiker. Meine ältere Schwester spielte Klavier, nicht professionell, aber gut. Ich war von Musik umgeben und wurde im Musikmachen immer unterstützt, aber aus einem Musikerhaushalt komme ich nicht. Ich wusste dennoch vom ersten Moment an, dass ich mit dem Cello mein Leben verbringen will. Es gab nie den Punkt, an dem ich aufgewacht bin und mich zu einer Entscheidung durchgerungen habe. Es war ganz natürlich für mich, dass ich Musiker werde.
Erlauben Sie mir eine pikante Frage. Sie atmen sehr laut in Ihren Konzerten. Manche meiner Freunde können das nicht ertragen, hat sich schon einmal jemand beschwert?
(lacht) Das ist mir nicht neu. Einmal kam eine Dame nach einem Konzert auf mich zu, ich stand in einer größeren Gruppe und sie schimpfte mich, wie ich nur so laut atmen könnte, das hätte die ganze Musik zerstört. Alle haben gelacht. Ich weiß natürlich, dass ich geräuschvoll atme, doch denken Sie an Sänger und Bläser, bei ihnen führt das Atmen überhaupt erst dazu, dass Musik entstehen kann. Aber das gilt auch für mich als Cellisten oder für Pianisten. Wenn ich intensiv fühle, dann gehört das einfach zu meinem Spiel dazu. Aber ich möchte mich bei all denen entschuldigen, die sich dadurch gestört fühlen. (lacht) Ich tue es nicht, um damit Aufsehen zu erregen.
Haben Sie ein Ritual, das Sie vor einem Konzert abspulen?
Also, ich trinke eine Diät-Cola (lacht). Außerdem schlafe ich am Nachmittag vor jedem Konzert, das ist mir ganz wichtig. Als ich vor etwa zehn Jahren angefangen habe, glaubte ich, ich müsste die Bühne zähmen wie ein wildes Tier. Ich habe auf der Bühne geübt, ganz lange, um alles auszuloten und gewissermaßen den Konzertabend vorwegzunehmen. Aber je mehr Konzerte ich spielte, desto mehr merkte ich, dass es um die Energie geht, die ich in mir sammle. Deshalb konzentriere ich mich nun vor allem Backstage, lese nur noch die Musik und versuche mit mir allein zu sein.
Das Gespräch führte Dr. Thomas Vitzthum.
(01/2009)
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