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Montag, 25. September 2023

Photo: Wu Promotions

Mammut-Projekt der Kölner Oper anlässlich der Expo 2010

Wagner-Export nach Shanghai


Richard Wagners "Ring des Nibelungen" zu produzieren, ist für jedes Opernhaus eine große Herausforderung. Eine noch Größere aber ist es, eine komplette Produktion von einem Opernhaus in den fernen Osten zu schicken - samt Bühnenbild, Sänger, Musiker und allen im Hintergrund beteiligten Personen. Solch ein Riesenprojekt feiert in einigen Wochen in Shanghei Premiere, wo die Produktion des Kölner "Ring des Nibelungen" im Rahmen der EXPO 2010 zu sehen sein wird. Dass es sich dabei nicht nur um ein organisatorisch, logistisch und finanziell immens aufwändiges Unterfangen handelt, sondern auch ein in vielerlei Hinsicht künstlerisch befruchtendes, verrieten klassik.com der Intendant der Kölner Oper, Uwe Eric Laufenberg, sowie der chinesische Veranstalter Jiatong Wu und der als Sänger beteiligte Bass Kurt Rydl.

Wagners „Ring des Nibelungen“ reist rund um den Globus

Dass Richard Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ in Shanghai aufgeführt wird, mag möglicherweise wenig erstaunen. Wenn es sich aber um die Produktion des Kölner Opernhauses handelt, die rund 14.000 km vom Rhein an den Huangpu verfrachtet wird, ist das eine veritable Kultursensation. Und zugleich ein Projekt der Superlative: Die umfangreiche Operninszenierung wird in diesem Sommer im Rahmen der weltgrößten EXPO in Shanghai aufgeführt. Von den dahinter stehenden organisatorischen und logistischen Anstrengungen, die für dieses Mammutprojekt unternommen wurden, legen bereits die nackten Zahlen ein eindrucksvolles Zeugnis ab: Rund 315 Künstler der Kölner Oper, angefangen von den Produzenten, Bühnen- und Kostümbildnern bis hin zu den Sängern und Musikern, residieren fast einen Monat lang im fernen China. Hinzu kommt die komplette Szenerie, die - verpackt in 30 Container - den Weg von Köln nach Shanghai nahm. Ein Riesenspektakel allenthalben, verbunden mit enormen finanziellen und organisatorischen Aufwendungen und Anforderungen, die in den Kontext der EXPO Shanghai 2010 mit ihren zahlreichen Superlativen nur allzu gut passt. Ein großes Abenteuer, zugleich eine Pioniertat.

Copyright Bühnen Köln

Jahrelange Planungen

Seit dem Frühjahr 2008 laufen die konkreten Planungen an diesem gigantischen Opernexport bereits, verrät der Intendant des Kölner Opernhauses Uwe Eric Laufenberg. Von chinesischer Seite ist man mit der Übernahme einer deutschen „Ring“-Produktion in China schon weitaus länger beschäftigt, so Jiatong Wu, Chef von Wu Promotion, dem umtriebigsten Promoter klassischer Musik im Reich der Mitte. Bereits vor fünf Jahren versuchte Jiatong Wu, den Chemnitzer „Ring“ zum Internationalen Musikfestival Peking zu bringen. An finanziellen Hindernissen gescheitert, war dort schließlich eine Produktion des Nürnberger Opernhauses zu sehen: Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ konnte 2005 nicht nur in Peking Premiere feiern, sondern auch seine chinesische Erstaufführung! Erste Ideen, die in vielerlei Hinsicht größte Oper auf der bislang größten EXPO der Welt zu zeigen, entstanden während einer China-Tournee des Kölner Gürzenich-Orchesters. Den Blick über die eindrucksvolle Skyline von Shanghai gleiten lassend, kamen der Kölner Generalmusikdirektor Markus Stenz und Jiatong Wu auf diese - freilich anfangs etwas vermessen erscheinende - Idee eines „Ring“-Exports nach China. Klar war aber von Anfang, dass nun, anders als bei den konzertanten Pekinger „Ring“-Aufführungen, die komplette Opernproduktion samt allen Beteiligten nach China gebracht werden sollte.

Copyright Matthias Bothor

Shanghai als „Außenspielstätte“ von Köln

Entstanden ist das riesenhafte Exportprojekt auch vor dem Hintergrund, dass ab der Spielzeit 2010/11 umfassende Renovierungsarbeiten im Opernquartier vorgenommen werden, die Bühnen Köln daher nur eingeschränkt nutzbar sein werden. Und so wird das Grand Theatre in Shanghai zu einer ‚Außenspielstätte‘ der Kölner Oper und zugleich die EXPO Shanghai zur größten Bühne während der Wandersaison des Opernhauses am Rhein. (Weitere ‚Auswärtsspiele‘ werden in Barcelona stattfinden, zudem laufen Gespräche mit Zypern, Korea und Irak.) Könnte man sich einen glanzvolleren Auftritt vorstellen? Es ist ein wahrhaft gigantisches Projekt, das hier in chinesisch-deutscher Zusammenarbeit durch den Kölner Intendanten Uwe Eric Laufenberg, den Geschäftsführenden Direktor Patrick Wasserbauer, GMD Markus Stenz, den chinesischen Wu Promotions und dem Komitee Expo Shanghai auf die Beine gestellt wurde. Anders als viele auf Kosteneinsparungen angelegte internationale Theaterkooperationen handelt es sich auch finanziell um eine riesige Unternehmung. „Es entstehen Kosten, die sich die chinesische Seite und die Oper Köln mit Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen und der Bundesrepublik teilen“, so Uwe Eric Laufenberg. Damit ist das Opernprojekt finanziell nicht zu vergleichen mit anderen Kooperationen, bei denen das Orchester und mindestens die B-Besetzung der Sängerinnen und Sänger aus dem Personal des eigenen Hauses geschöpft werden. Aber man wollte nicht den Weg des geringsten Widerstandes gehen, sondern die Kölner Inszenierung auf der Weltbühne der EXPO zeigen - der Kölner „Ring“ wird dort zu einem kulturellen Aushängeschild Deutschlands. Dass es das wohl attraktivste und größte musikalische Ereignis der Expo 2010 wird, ist für Jiatong Wu ausgemacht. Und dass für die Beteiligten in dieser Umgebung natürlich „ein Schuss Enthusiasmus“ hinzukommt, wie der Bass Kurt Rydl anmerkt, steht außer Frage.

Copyright Bühnen Köln

Der „grüne Ring“ im Kontext von Nachhaltigkeit und Umweltschutz

Zwei Aspekte gaben den Ausschlag, sich von chinesischer Seite für den Kölner „Ring“ zu entscheiden: zum einen das künstlerische Renommee der Produktion, zum anderen inhaltliche Querverstrebungen mit den Grundgedanken der Weltausstellung in Shanghai. So genießt die Inszenierung des Kanadiers Robert Carsen seit ihrer Entstehung zwischen 2000 und 2004 nicht nur in Deutschland große Anerkennung. Sie wurde bereits in Venedig gezeigt, und auch in Barcelona wird sie zu sehen sein. Carsen ist ein künstlerisch überzeugender Zugang gelungen, der eine Interpretation mit klarer Bezugnahme zur Gegenwart bietet, ohne sich auf eine spezielle Deutungsschiene zu begeben. Uwe Eric Laufenberg sieht Robert Carsens Inszenierung als eine, die „zwischen Kapitalismuskritik, tiefenpsychologischer Parabel und deutscher Geschichte ausgleichen kann, um so zu einer Grundaussage für heute und die ganze Welt zu kommen.“ Die Grundaussage von Carsens Deutung ist für Jiatong Wu offen und allgemein gehalten: Es gelinge Carsen, in starken Bildern zu zeigen, dass Menschen durch die Verletzung bzw. Zerstörung der Natur ihre eigene Existenz aufs Spiel setzen. Und genau diese Grundaussage lässt sich mühelos mit dem Slogan ‚Better city, better life“ der EXPO Shanghai 2010 verbinden. Ziel der Weltausstellung sei es unter anderem, zu demonstrieren, dass die Sorge um Umwelt und soziale Ausgeglichenheit den Kern des Konzepts nachhaltiger Verantwortlichkeit im globalen Geschäftsgebaren sein müssen, so Jiatong Wu. Damit ist das Credo der Weltausstellung in Shanghai der Grundaussage von Wagners „Ring“ sehr nahe; denn die besteht nach Laufenberg darin, dass „unbedingter Machterhalt und -ausbau mit der Ausbeutung ökonomischer Ressourcen auf eine Zerstörung der Natur und des eigentlichen Seelenlebens des Menschen hinausläuft.“ Der von Laufenberg als „grüner“ apostrophierte Ring Robert Carsens , der Umweltzerstörung und Zivilisationsuntergang in den Fokus stellt, fügt sich damit in die Thematik der Weltausstellung nicht nur bruchlos ein, sondern verleiht ihren Leitideen künstlerische Präsenz.

Copyright Paul Leclaire

Kulturaustausch – Kulturexport?

Die Anziehungskraft des Shanghaier „Ring“ wirkt in zwei Richtungen, wie Jiatong Wu erklärt: Besucher der EXPO werden für das musikalische Großereignis interessiert, und gleichzeitig werden Wagner-Fans aus aller Welt zur EXPO gelockt – gebündelte Synergieeffekte, wie es im heutigen Wirtschaftsdeutsch heißt. Und doch begreift man in Zeiten zusammenwachsender Märkte bei gleichzeitiger globaler Konkurrenz die Verfrachtung des Kölner „Ring“s an den Huanpu nicht im wirtschaftlichen Sinn als Export im Kontext des weltweiten Kulturbusiness, sondern, wie Uwe Eric Laufenberg sagt, als Kulturaustausch und –dialog. „Da wirtschaftlich ein so großer Austausch zwischen den Ländern besteht, ist es doch faszinierend zu untersuchen, ob wir uns auch kulturell etwas zu geben haben“, so der Kölner Intendant. Er wird hierbei sekundiert von Jiatong Wu, der die Produktion von Wagners „Ring“ als einem Gipfelpunkt deutscher Kultur nicht unter wirtschaftlichen Vorzeichen begreift, sondern mit diesem Projekt – wie auch seinen vielfältigen Veranstaltungen in China – vor allem zweierlei fördern möchte: junge Menschen für klassische Musik zu interessieren und damit ein Publikum für die Zukunft aufzubauen. Dabei ist ihm klar, dass die – im Gegensatz zu den Preisen in Deutschland – sehr teuren Eintrittspreise dem Ziel, möglichst viele junge Leute für klassische Musik zu faszinieren, noch entgegenstehen. Um den Kölner „Ring“ dennoch möglichst vielen Menschen in China zugänglich zu machen, stellte Wu eine Kooperation mit Shanghai TV auf die Beine. Eingebettet in eine umfangreiche Dokumentation zu Wagners Tetralogie werden die Aufführungen live ausgestrahlt – mit einer potentiellen Zuschauerzahl von über einer Milliarde Menschen! Die in mehrerlei Hinsicht gigantische „Ring“-Produktion könnte damit auch als meistgesehene Opernproduktion alle Rekorde brechen.

Copyright Wu Promotions

Zukunft deutsch-chinesischer Kulturbeziehungen

Natürlich wird eine Zusammenarbeit solch riesigen Umfangs wie der Kölner „Ring“ in Shanghai eine Ausnahme bleiben, aber eine, die „durchaus Signalwirkung haben kann“, so Uwe Eric Laufenberg. Signalwirkung insofern, als weitere Kooperationen in kleinerem Maße bereits in Planung sind. So wird neben dem Gastspiel des Gürzenich-Orchesters im Rahmen der Shanghaier „Ring“-Aufführungen etwa auch die Kölner „Don Giovanni“-Produktion in China zu sehen sein. „Das Gastspiel in Peking ist der Versuch, mit unseren Partnern vom National Center for the Performing Arts zu diskutieren, wie weit in Zukunft ein Austausch von Inszenierungen sinnvoll und kostensparend ist“, so der Kölner Intendant. Wie sich die Zusammenarbeit in Zukunft entwickelt, lässt sich bislang jedoch kaum abschätzen. Ohne Zweifel ist der Markt von Veranstaltungen klassischer Musik in China ein unablässig und stark wachsender, zumal seit den Olympischen Spielen in Peking und der Expo 2010 in Shanghai. Mit seinem Unternehmen Wu Promotions agiert Jiatong Wu dabei nach beiden Seiten hin: Herausragende europäische Künstler nach China zu bringen, ist für Jiatong Wu ebenso wichtig wie chinesischen Künstlern Auftrittsmöglichkeiten in Europa zu verschaffen; in der Vergangenheit waren das etwa das erfolgreiche Grand Chinese New Year Concert (seit 1998) oder auch das Projekt ‚Swan Lake Acrobatic Ballet‘, einem künstlerisch ambitionierten Verkaufsschlager mit Hunderten von bejubelten Aufführungen in Europa. Jiatong Wu bieten sich gerade im Wachstumsmarkt China vielfältige Chancen, auch wenn sich momentan die Konzerthäuser nur mit den ganz großen Namen füllen lassen. Mit Kammermusik tut man sich dort noch schwer. Doch wer weiß, welche Chancen und Potentiale der globale Austausch von Künstlerinnen und Künstlern hier noch eröffnet.

Das Gespräch führte Dr. Tobias Pfleger.
(07/2010)

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