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Mittwoch, 27. September 2023

Photo: Frank Eidel

Ein perfekt eingespieltes Team – musikalisch und privat: das Klavierduo Gil Garburg und Sivan Silver

"Uns zuzuhören, ist wie eine Liebesgeschichte"


Das Klavierduo Silver-Garburg kennt sich, seit die Duopartner als Teenager zusammen auf dem Musikgymnasium in Israel waren. Dann gingen Gil Garburg und Sivan Silver nach Hannover, um zu studieren und treten seitdem auf internationalen Konzertpodien auf. Gerade haben sie eine CD mit den originalen Klavierfassungen zu vier Händen von Strawinskys ‚Sacre du printemps‘ und ‚Petruschka‘ herausgebracht. klassik.com-Autor Kevin Clarke traf die beiden in in Berlin, um über Repertoirevielfalt, den Klassikbetrieb in Deutschland und den USA, das Tournee-Leben, die wilde Sinnlichkeit von vierhändiger Klaviermusik und die unorthodoxe Hochzeit des Klavierduos im australischen Brisbane zu sprechen.

Einige der international bekanntesten Klavierduos sind Geschwister, zum Beispiel Katia und Marielle Labèque. Sie beide sind ein Ehepaar. Braucht man die emotionale Nähe, um in dieser Besetzung zu musizieren?

Garburg: Ja und nein. (lacht) Nein, weil wir nicht versuchen, genau gleich zu spielen. Trotzdem wollen wir einen einzigen Klang erzeugen und eine einzige Art von Phrasierung finden. Klavier ist ja ein Illusionsinstrument. Der Ton ist nach dem Anschlag weg, er singt nicht weiter, wie bei der Geige. Aber jeder große Pianist kann sein Instrument zum Singen bringen: Er erzeugt die Illusion, dass der Ton weitersingt. Darin liegt die Kunst. Wenn man nur einen Einzelton hört, dann gibt es keinen Unterschied zwischen Laien und Meistern. Aber wenn man einen Akkord hört, wenn man hört, wie er schwingt und timbriert ist, da kann man erkennen, wer spielt. Denn in einem Akkord liegt bereits eine Klangvorstellung. Und diese Klangvorstellungen müssen bei einem Klavierduo aufeinander abgestimmt sein. Das zu erreichen ist eine lange, feine, aber auch sehr interessante Arbeit. Man muss lernen, zusammen zu atmen. Silver: Wir sitzen fast immer zusammen an den Klavieren, wir proben so gut wie nie allein. Weil vielen Nuancen sonst verloren gehen würden, die sich aus dem gemeinsamen Spiel entwickeln.

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Wie viele Stunden proben Sie denn?

Im Durchschnitt sechs Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche. Da hilft es, ein Paar zu sein. Sonst würden wir das nicht aushalten. (lacht) Die Intimität ist wichtig für den Prozess des Zusammenarbeitens. Wir brauchen viel Geduld und wir müssen uns gegenseitig schätzen, nicht nur musikalisch. Wir versuchen immer, uns gegenseitig durch die Augen des anderen zu betrachten. Jeder kommt mit seiner eigenen Persönlichkeit an die Musik heran, und Musik ist natürlich sehr persönlich. Aber wir müssen trotzdem einen gemeinsamen Ansatz, eine gemeinsame Spielweise finden. Das ist die Herausforderung für jedes Klavierduo.

Wenn Sie Stress im Alltag haben, merken Sie das an Ihrem Spiel?

Silver: Unser Alltag ist erstaunlich stressfrei. Dafür ist die Musik der Punkt, wo wir anfangen zu streiten. Unser Familienleben, das Reisen – das ist für uns die ‚lockere‘ Zeit, die uns vorbereitet auf die Konzentration, die das Musikmachen verlangt. Nach der Konzentration der Proben und Konzerte ist es wie nach dem Leistungssport: ein totaler High-Zustand. Garburg: Wir sind mehr als die Hälfte des Jahres nicht zu Hause, da ist es wunderbar ein Paar zu sein. Für uns ist Zuhause dort, wo wir gemeinsam mit unserem fünfjährigen Sohn sind.

Wie lange spielen Sie schon zusammen?

Silver: Seit 2000, seit 2002 sind wir unterwegs. Wir waren bislang in 73 Ländern. Letzten Monat waren wir beispielweise in Australien und Neuseeland. Das war schon unser 14. Besuch. Wir lieben es, dort zu spielen. Wir haben 2008 sogar in Australien geheiratet, während einer Tournee mit 14 Konzerten in einem Monat. Eigentlich wollten wir in Israel heiraten, aber das geht nur auf orthodoxe Weise beim Rabbiner. Da muss man Regeln einhalten, und das bekamen wir terminlich einfach nicht hin. Also haben wir uns entschlossen, einfach in Brisbane zu heiraten. Das ist nicht ganz so leicht wie in Las Vegas, aber fast … (lacht) Wir haben viele Freunde in Australien, die wir alle eingeladen haben. Dann waren wir vier Tage auf Hochzeitsreise auf einer Insel, einen Tag in Sydney. Und dann ging die Tournee weiter. Garburg: Seit unser Sohn geboren wurde, haben wir jedes Jahr ein Au-pair-Mädchen aus Brisbane. Sie reist mit uns durch die Welt. Die Mädchen in Brisbane empfehlen sich inzwischen gegenseitig weiter. Momentan ist die Cousine unseres ersten Au-pairs bei uns. Das ist toll. Auch für unseren Sohn, der auf diese Weise Englisch mit einem süßen australischen Akzent lernt – kombiniert mit einem leichten israelischen Akzent.

Wie ist dieses Tournee-Leben für Sie?

Garburg: Wenn man allein reist, ist es ein einsames Leben. Ich höre oft von Kollegen, dass sie nach Konzerten alleine ins Hotel zurückgehen und keine Lust haben, irgendetwas zu unternehmen. Wir dagegen sind immer zusammen, das gibt Halt und Kraft. Wir stimulieren wir uns auch gegenseitig. Wenn wir Zeit haben, gehen wir in irgendein Museum, um uns Kunst anzuschauen. In Chicago z.B. haben wir es so eingerichtet, dass wir jedes Jahr, wenn wir da sind, ins Art Institut gehen und uns einen anderen Ausstellungssaal anschauen.

Lassen Sie sich von Kunst für Ihre Musik inspirieren?

Garburg: Nur indirekt. Wenn wir Musik machen, sind wir totale Puristen. Wir denken nicht in Bildern oder Texten. Wir sind eher wie die Mendelssohns: Die Musik sagt alles, in sich selbst. Silver: Natürlich haben wir uns in der Vorbereitung auf unsere Strawinsky-CD mit den Bühnenbildern der Uraufführung von ‚Le Sacre du printemps‘ und ‚Petruschka‘ beschäftigt und die Geschichten Punkt für Punkt studiert, die in der Musik erzählt werden. Das hat uns geholfen beim Suchen nach der richtigen Klangfarbe und Atmosphäre. Klar muss man den kulturellen Hintergrund von Werken kennen. Aber man muss dann auch wieder abstrahieren können, um zu einer rein musikalischen Vorstellung zu kommen. Bei Strawinsky sind die Linien in der Musik sehr plastisch. Oft kommen Zuhörer zu uns und sagen, sie hätten das Gefühl, wir würden tanzen, wenn wir zusammen spielen. Das tun wir vermutlich unbewusst, aber wir wollen natürlich diese musikalischen Linien nachzeichnen, gerade bei einem Ballett.

Apropos Klangfarbe: Sie spielen Strawinskys eigene Klavierfassung von ‚Sacre‘ und ‚Petruschka‘. Wieso lohnt die im Vergleich zur berühmteren Orchesterversion?

Garburg: Strawinsky war ein Komponist, der am Klavier gearbeitet hat und pianistisch dachte. Alle seine Dissonanzen sind fast immer schwarze Tasten! Dieser Effekt geht total verloren im Orchester. Die Ballette als Klavierversion zu vier Händen zu hören erlaubt eine komplett andere Perspektive auf die Musik. Strawinsky schreibt viele Dreiklänge; die schichtet er dann übereinander. Wenn man die Orchesterfassung hört, dann ist diese sehr dick instrumentiert. Oft spürt man zwar die Wucht dieser Musik – und das ist wunderbar –, aber man hört die Harmonien nicht so genau. Wenn wir das spielen, hört man sie. Silver: Unser alter Professor aus Israel, Arie Vardi, hat uns gerade eine Nachricht geschickt. Er sagte, dass er ‚Sacre‘ kenne, seit er ein kleiner Junge ist. Er liebt das Werk und meinte, die Orchesterfassung wäre für ihn viel interessanter. Aber nachdem er unsere neue CD gehört hatte, sagte er: ‚Ihr habt Recht, ich habe jetzt Dinge gehört, die mir vorher noch nie aufgefallen sind!‘ Außerdem kann sich kein Orchester den Luxus von 1.500 Probenstunden leisten. Bei uns geht es aber schon. Deshalb können wir ganz anders an der Interpretation und am Timing feilen. Dadurch wird unser Spiel freier und flexibler. Wir können in der Klavierfassung auch die komplizierte Rhythmik präziser verwirklichen, als das mit Riesenorchester jemals möglich wäre.

Ist diese Fassung etwas für Strukturalisten?

Garburg: Auf bestimmte Weise ja. Es ist ein bisschen wie mit Fotos in Schwarzweiß. Die sind sehr expressiv, aber eben anders als Farbbilder. Man kann bei ihnen die Struktur besser erkennen, die Komposition eines Bildes ist klarer.

Schwarzweißfotos wirken oft zeitloser, weil man Farben viel eher mit bestimmten Moden und Epochen verbindet.

Garburg: Das ist ein interessanter Punkt. Unser Professor aus Israel hat tatsächlich bemerkt, dass Strawinsky zu vier Händen viel ‚klassischer‘ klingt, als er das zuvor wahrgenommen hatte. Denn plötzlich machten die Harmonien für ihn Sinn, statt im Lärm der Orchester-Tuttis unterzugehen.

Wie reagiert eigentlich Ihr Sohn, wenn Sie Strawinsky spielen?

Silver: Wenn er irgendwo in der Wohnung spielt und eine der besonders wuchtigen Stellen hört, kommt er sofort ins Zimmer gerannt und ruft: Bitte noch mal!

Spielen Sie manchmal für Kinder?

Garburg: Als unser Sohn in der Kita kam, haben wir die anderen Kinder und ihre Eltern zu einer Generalprobe in die Berliner Philharmonie eingeladen. Die Kinder fanden das toll, ein großes Orchester hautnah miterleben zu dürfen. Sie fanden es auch spannend, die Philharmonie als Gebäude zu sehen. Das war ein Erlebnis, über das sie noch lange gesprochen haben. Seither laden wir alle jedes Jahr ein, wenn wir in Berlin spielen. Silver: Wir haben auch Repertoire für Kinder, aber das spielen wir – aus rein kommerziellen Gründen – nicht so oft. Vor einigen Jahren haben wir in Israel ein Jugendkonzert gegeben. Da saßen 3.000 Kinder im Saal. Israelische Kinder machen viel mehr Lärm als deutsche; das ist vermutlich eine Erziehungssache. Ihre Mütter fördern gern ihre Individualität und lassen sie alles machen. (lacht) In Deutschland ist Disziplin wichtiger. Manche hatten Angst, dass uns der Lärm der Kinder stören könnte. Aber ein Kind hat uns noch nie beim Spielen gestört. (lacht) Für Musiker ist selbstverständlich eine ausgeprägte Individualität genauso wichtig wie Disziplin. Man muss da eine Balance finden. Für Musiker ist es gut, zwischen den Welten zu leben. Wenn wir in Mexiko sind, müssen wir mit Menschen arbeiten, die völlig andere Vorstellungen davon haben, wie Dinge zu laufen haben als beispielsweise in Asien. Das ist eine Herausforderung. Aber es ist lehrreich und letztlich auch bereichernd, wenn man versucht, sich auf andere Mentalitäten und Lebensweisen einzulassen. Wenn man das tut, spiegelt sich das auch in der Musik, die man macht.

Was ist an der Klavierfassung dieser Ballette ansonsten noch besonders?

Garburg: Dass man Riesenwerke wie ‚Sacre‘ und ‚Petruschka‘ auf einem Instrument spielt, schafft ein Gefühl von Konzentration. Alle Stimmen sind auf kleinstem Raum vereint, dadurch entsteht eine ungeheure Kraftballung. Es ist eine völlig andere Kraft, als wenn ein Orchester diese Musik spielt. Der Kontrast zwischen kleinem Instrument und großem Sound macht es für den Zuhörer und Konzertbesucher auch interessanter. Silver: Als wir vor zehn Jahren ‚Sacre‘ in New York spielten, kam eine junge Frau zu uns und sagte ganz schüchtern: ‚It was the sexiest experience I‘ve ever had!‘ (lacht) Das stimmt natürlich, ‚Sacre‘ ist ein sehr sinnliches Stück. Und wie wir beide das zusammen auf dem Podium gemacht haben, fand sie sexy. Ich glaube, gerade ‚Sacre‘ ist für Jugendliche spannend – die Wildheit und Sexualität darin spricht viele an.

Braucht man heute den Sexy-Faktor, um Musik verkaufen zu können?

Silver: Schubert ist nicht auf diese Weise sexy, sondern eher romantisch; und trotzdem lieben ihn viele Menschen. Oft sagen Zuschauer zu uns nach Schubert-Abenden: ‚Das war wie eine Liebesgeschichte, euch zuzuhören!‘ Die Suche nach Liebe ist durchaus ein zentraler Aspekt unserer Zeit. Musik berührt Gefühle. Letztlich hat natürlich alles mit Sex zu tun – auch die Liebe. Das ist alles sehr emotional. (lacht) Und wir spielen emotional. Das kommt bei unseren Auftritten deutlich rüber, weil wir beide als Persönlichkeiten so emotional sind, egal wie strukturell oder neutral wir denken, wenn wir spielen.

Wie wichtig ist es für Sie, CDs auf den Markt zu bringen?

Garburg: Eine CD aufzunehmen, ist für uns ein interessanter Prozess, der uns verändert. Es geht nicht um technische Perfektion, Aufnahmen sind ein lebendes Etwas, keine tote Materie. Je mehr Menschen uns und unsere Musik in Form von CDs erleben können, desto besser. Wir werden von Veranstaltern eingeladen, weil sie uns schätzen: entweder, weil sie uns live gehört haben oder eben unsere CDs kennen. Das gilt auch fürs Publikum. Garburg: Der Markt verändert sich, das ist klar. Manches ist sehr viel besser geworden: Man konnte noch nie so einfach und so viele Informationen über Werke und Interpreten bekommen wie heute. Man wird geradezu überschwemmt. Das birgt die Gefahr, dass manche in der Masse untergehen. Und auch das Tempo des Konzertalltags ist heute anders. Wir treten pro Jahr in 20 Ländern auf. Früher hat Arthur Rubinstein einen Monat auf einem Schiff nach Südamerika gesessen. Dann hat er dort drei Konzerte gegeben und ist wieder einen Monat zurückgefahren. Wir, als Künstler, sind heute überall. Für uns persönlich ist das wunderbar. Klar, es führt zu einer gewissen Globalisierung; die gleichen Stars treten überall auf. Aber fürs Publikum ist es super, weil man überall große Künstler erleben kann. Es gibt weniger ‚local heroes‘, sondern ‚global player‘.

Ist das viele Reisen nicht auch anstrengend?

Silver: Ja, es gab Jahre, wo wir 60 Tage im Flugzeug saßen. Das sind zwei volle Monate! Gaburg: Man bekommt dadurch ein anderes Gefühl von der Welt. Wir sehen das an unserem Sohn. Der wächst mit drei Sprachen auf: Hebräisch, Englisch und Deutsch. Als er drei war, wusste er, wo Singapur auf der Weltkarte liegt, er kannte die Stadt und wusste, wie man vom Hotel zum nächsten Spielplatz kommt oder wo auf dem Flughafen die besten Snackbars sind. Das ist ein anderes Leben als ich es hatte, als ich als Kind in Israel lebte. Damals habe ich meine nähere Umgebung fast nie verlassen.

Sie kommen aus Israel, reisen ständig - haben aber eine Wohnung in Berlin. Wieso gerade dort?

Garburg: Wir kamen zusammen nach Hannover, um zu studieren. Danach sind wir dort geblieben. Hannover ist eine schöne Stadt. Aber irgendwann wollten wir mehr Verbindung haben mit anderen Menschen und mit dem Kulturleben. Wir wollten 2007 erstmals nach Berlin ziehen und haben auch diese Wohnung im Prenzlauer Berg gekauft. Wir konnten es uns aber nicht leisten, eine freie Wohnung zu kaufen, also mussten wir warten und warten, bis der Mieter auszog. 2011 konnten wir dann endlich einziehen. In den vier Jahren dazwischen hatte ich das Gefühl, alle kommen nach Berlin, nur wir nicht! (lacht) Silver: Wir fühlen uns hier in Berlin-Mitte wohl, weil es viele weltoffene Menschen gibt. Alles ist kosmopolitisch. Man fühlt sich als Israeli willkommen. Als Umgebung für unseren Sohn ist das wichtig. Wir wollen, dass er in einer offenen Gesellschaft aufwächst, die Menschen offen behandelt, die selbst nicht Deutsche sind. Er hat zwar einen deutschen Pass, aber auch einen israelischen. Wenn man ihn fragt, wo er herkommt, sagt er immer: Ich bin aus Berlin! Er sagt nicht Deutschland oder Israel, sondern nur: Berlin.

Wie finden Sie die deutsche Kulturlandschaft?

Garburg: Großartig. Es gibt hier auch in den kleinsten Städten gute Symphonieorchester. Sogar Bamberg hat ein Spitzenorchester. In den USA könnte so ein Klangkörper nicht existieren. Da braucht man eine Masse von Millionen Menschen in einer Stadt, um ein wirklich gutes Orchester unterhalten zu können. Silver: Ich habe neulich mit einem amerikanischen Dirigenten gesprochen, der sagte: ‚In den USA spielen wir viel mehr Repertoire. Wir spielen mehr Moderne, wir sind offener gegenüber verschiedenen Stilrichtungen.‘ Das stimmt vielleicht, aber wenn man nach Amerika kommt und ein Mozart-Klavierkonzert spielt, dann ist es garantiert einer der Toptitel. D.h. die spielen in den USA Werke von mehr Komponisten als in Deutschland, aber nur die ‚Hits‘. In Deutschland geht das mit weniger Komponisten mehr in die Breite - da wird das Repertoire viel ausführlicher erkundet, jenseits der Klassiker.

Die Breite des Repertoires zeigt sich in den USA auch in Bezug auf die zeitgenössische Musik …

Garburg: … zeitgenössische Komponisten kommen in Deutschland meist nur auf Podien von Festivals, die speziell für zeitgenössische Musik eingerichtet wurden. Das mischt sich nicht so stark wie in den USA; dort besteht keine Berührungsangst mit populärer zeitgenössischer Musik, inklusive Filmmusik und Musicals. Das würde man in Deutschland viel weniger bei einem Symphonieorchester hören, und schon gar nicht bei einem Avantgarde-Festival. Amerikaner unterscheiden da nicht. Popularmusik hat eine andere gesellschaftliche Stellung und ist auch viel abwechslungsreicher.

Ist Klassik in Deutschland elitär?

Silver: Natürlich interessieren sich in Deutschland nicht alle Menschen für Klassik. Aber hier hat das nichts mit sozialer Position zu tun. In vielen anderen Ländern ist Klassik ein Statussymbol, da muss man als High-Society-Mitglied in die Oper oder ins Konzert. In Deutschland kann jeder das finden, was zu einem passt: ein Festival auf dem Land, ein Konzert in der Stadt. Es gibt genug Optionen für alle Schichten und Altersgruppen. Und: In Deutschland sind Konzerte nicht teuer. Das finde ich wichtig. Klassik in Deutschland ist bezahlbar, und die Auswahl ist groß.

Wir haben jetzt über Strawinsky und Schubert gesprochen. Welche Musik spielen Sie außer diesen beiden Komponisten?

Garburg: Das Repertoire für zwei Klaviere ist riesig; es gibt hunderte Werke von Brahms, Schumann, Mozart … eigentlich haben Klassiker großartige vierhändige Stücke geschrieben. Speziell das 19. Jahrhundert war die große Zeit des Klavierduospielens. Auch mit unseren sechs Stunden Proben pro Tag könnten wir nie all diese Werke lernen. Wir suchen uns also auf der Überfülle das aus, was am besten zu uns passt. Daneben gibt es auch eine starke Verbindung zwischen Orchesterwerken und Klavier zu vier Händen. Viele Komponisten haben von ihren Orchesterwerken Fassungen für vier Hände erstellt – weil man mit 20 Fingern die Stimmen einer Partitur genauer ausleuchten kann. Ansonsten ist das Repertoire für zwei Klaviere und Orchester natürlich begrenzter als für Soloklavier und Orchester, dennoch es gibt mehr Stücke als beispielsweise für Cellisten. Wir reden von zirka 20 Doppelkonzerten: von Britten, Bach, Mozart, Mendelssohn, Bruch, Bartok, Martinu, Poulenc und einigen anderen. Silver: Wir haben 15 dieser Titel, die wir regelmäßig spielen. Ansonsten teilen wir unsere Auftritte so ein, dass die Hälfte mit Orchester ist, die andere Hälfte nur mit uns beiden. Im Moment läuft das sehr gut so, und wir sind bis Mai 2018 ausgebucht. Die nächsten Jahre werden verrückt. Aber wir freuen uns darauf!

Das Gespräch führte Dr. Kevin Clarke.
(06/2015)

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