Der Generalmusikdirektor des Mainfranken Theaters Würzburg setzt auf Tradition und Moderne
Musikalisches Feuer und philosophischer Tiefgang
2010 wechselte Enrico Calesso als Erster Kapellmeister an das Mainfranken Theater Würzburg; ein Jahr darauf wurde er dort zum Generalmusikdirektor ernannt. Im Gespräch mit klassik.com-Autorin Midou Grossmann beschreibt er nicht nur die Herausforderungen, sondern auch die Glücksmomente des Dirigentenberufs
Herr Calesso, Ihren Einstand gaben Sie in Würzburg mit Wagners „Tristan und Isolde“. Das ist nun nicht gerade ein typisches Einstiegswerk.
Der „Tristan“ bedeutet für mich einen beruflichen Wendepunkt. Wagners Oper ist ein Werk, von dem man als Dirigent desto mehr besessen wird, je tiefer man es kennt und verinnerlicht. Diese Oper ist wirkliche eine delikate Aufgabe: als junger italienischer Dirigent gleich beim Debüt eine Wagner-Oper, und auch noch ‚Tristan und Isolde‘, und das Ganze in einer Stadt mit einem prominenten und sehr aktiven Wagner-Verband! Diese Zeit war bestimmt die reizvollste meines Dirigentenlebens, aber auch eine sehr intensive, ja, sogar eine schmerzhafte Zeit, denn der ganze Prozess, der die geistige Identifikation mit dieser Musik begleitet, hat unheimlich viel mit sehr intimen, existentiellen Aspekten zu tun. Ich habe nach dieser Produktion, so wie auch nach meiner ersten Neunten Sinfonie von Beethoven, wirklich gemerkt, wie ich mich als Dirigent verändert habe – auch wenn ich es nicht genau erklären kann. Man könnte das als geistigen Reifeprozess umschreiben.
Wie sehen Sie Ihre zwei Jahre als GMD in Würzburg?
Die vergangen zwei Jahre in Würzburg sind im Moment sehr stark von diesen Erfahrungen geprägt. Ich habe das ganz große Glück, ein Orchester und ein Ensemble – Sänger und Chor – zu haben, die mit Begeisterung und großer Bereitschaft mit mir zusammen arbeiten. Ich glaube, darin liegt auch das Geheimnis, nicht nur das meiner persönlichen Entwicklung, die ohne diese Künstler überhaupt nicht möglich gewesen wäre, sondern vor allem auch für die Höchstleistungen, die wir auf die Bühne bringen konnten. Sei es Meyerbeers „Africaine“, Wagners „Tristan“ oder Verdis „Macbeth“, immer ist uns gelungen gleichzeitig das Publikum zu begeistern sowie die Presse zu überzeugen.
Glauben Sie, dass Sie als Italiener Vorteile beim Dirigieren von Opern haben? Italien ist ja das Ursprungsland des Musiktheaters.
Ich bin tief davon überzeugt, dass beim Operndirigieren alles aus dem Libretto zu beginnen hat, daher fällt mir natürlich das italienische Fach generell leichter. Doch finde ich, dass diese Opern selbst für einen Italiener gar nicht so leicht zu beherrschen sind. Umso schwerer ist es für mich beim französischen und deutschen Fach. Ich setze unermüdlich, vor jedem anderen musikanalytischen Lernprozess, auf die Auseinandersetzung mit dem Text. Das war natürlich bei einer Oper wie „Tristan und Isolde“ sehr kompliziert und anstrengend. Aber ohne diese mühsame Vorarbeit hätte ich mich dieser Musik überhaupt nicht nähern können und wäre wohl nicht in der Lage gewesen, sie zu interpretieren. Es mag sein, dass meine philosophischen Studien mir zudem ermöglicht haben, ein wirklich tiefes und echtes Verständnis für diese Oper zu bekommen.
Neben der Oper sind Sie ja auch im Konzert zu erleben…
Ein wichtiger Aspekt meiner Tätigkeit in Würzburg ist auch das Konzertwesen, das stimmt. Die Gestaltung und die konkrete Aufführung der sinfonischen Reihe des Philharmonischen Orchesters Würzburg ist eine faszinierende Aufgabe, womit man auch einen klaren kulturellen und geistigen Anspruch zu erfüllen hat. Ich freue mich, das große Repertoire pflegen zu dürfen und unserem Publikum Programme anzubieten, die nach Kernkonzepten und Grundideen gestaltet werden, aber auch viel selten Gespieltes aufzuführen, wenn nicht sogar ganz Neues. Beim letzten Sinfoniekonzert im Januar fand mit Anno Schreiers „Aus Giannozzos Seebuch“ bereits die vierte Uraufführung meiner Zeit in Würzburg statt, die vom Publikum an beiden Abenden umjubelt wurde.
Sind Sie gleichermaßen zuhause in Oper und Konzert?
Am Anfang habe ich mehr Operndirigate bekommen, aber jetzt ist eigentlich die richtige Mischung zwischen Konzert und Oper erreicht. Ich finde beides sehr interessant und auch wichtig für mich. Eigentlich sehe ich keine großen Unterschiede in der künstlerischen Vorgehensweise oder der Konzentration. Eine Oper muss genauso gut einstudiert werden wie ein Konzert; das erfordert natürlich eine längere Probenzeit, doch ich finde es wichtig, dass alle gut vorbereitet zu den Proben kommen. Darauf kann man dann eine wirklich spannende musikalische Aufführung aufbauen. Ich arbeite intensiv am Klavier und mache viele Durchläufe. Auch ein Konzert muss mit solch großer Aufmerksamkeit einstudiert werden.
Spüren Sie Reaktionen, Gefühle aus dem Publikum, auch wenn Sie mit dem Rücken zu ihm stehen oder sogar im Orchestergraben „versteckt“ sind?
Ja, unbedingt. In Bregenz musiziert ja das Orchester seit einigen Jahren im Festspielhaus. Dennoch habe ich jeden Abend die vielen tausend Menschen draußen am See gespürt, ebenso die starke künstlerische Präsenz der Sänger, und das nicht nur über den Screen oder per Kopfhörer. Es ist eine große Herausforderung in Bregenz, die musikalische Symbiose zwischen den räumlich weit auseinander liegenden Aktionsfeldern aufzubauen und zudem auch noch die Spannung für zwei Stunden zu halten beziehungsweise kontinuierlich zu steigern. Das sind Herausforderungen, die ich liebe, die an jedem Aufführungstag allerdings wieder bei null beginnen, auch wenn man die Inszenierung schon viele Male dirigiert hat.
Und dann hat man sich ja jeden Abend auf ein anderes Publikum einzustellen – bestimmt keine leichte Aufgabe…
Es gibt Abende, die sehr einfach sind. Schon bei den ersten Takten spürt man die starke positive Energie des Publikums, eine große Aufmerksamkeit ist im Raum. Mit dieser Energie laufen die Aufführungen eigentlich immer sehr gut. Aber es gibt auch Abende, an denen das Publikum unruhig ist; da sollte man in der Lage sein, die Situation zu drehen, um das Publikum zu beeindrucken. Am Anfang haben mich diese verschiedenen Reaktionen im Saal noch irritiert, doch in einer solchen Situation nutzen mir nun die intensiven Erfahrungen aus Bregenz. Ich kann damit ein Konzert oder auch die Opernaufführung von der Spannung her einfach einen Gang höher schalten.
Können Sie jungen Dirigenten einen guten Rat geben? Was sind die wichtigsten Voraussetzungen für diesen Beruf, vor allem in einer sehr auf Äußerlichkeiten fokussierten Zeit wie unserer?
Es fällt mir schwer, Rat für junge Dirigenten zu geben, weil ich mich selbst noch für einen sehr jungen Dirigent halte, der noch viel zu lernen hat. Aber ich bin wirklich dankbar für die großartige und auch strenge Ausbildung, die ich an der Musikuniversität Wien erhalten habe. Denn dort werden alle Aspekte, die für diesen Beruf notwendig sind, also nicht nur Dirigieren und Schlagtechnik, sondern gleichzeitig und intensiv auch Musikanalyse, Aufführungspraxis, Cembalo, Partiturspiel, Repetition, Komposition, Instrumentation, Musikgeschichte und so weiter bis hin zum Urheberrecht gelehrt. Wir waren zudem verpflichtet, ein Nebenfach mit einem Orchesterinstrument zu belegen; meines war Bratsche. In Zeiten, in denen Musiker, die aus einer solistischen Tätigkeit kommen, sehr schnell zum Dirigentenpult wechseln, halte ich dennoch die klassische, ausführliche ‚kapellmeisterliche‘ Ausbildung für sehr wichtig. Und hier finde ich es notwendig, dass man sich von Anfang an darin übt, seine eigene Aufgabe als eine geistige zu verstehen und ständig Reflexionsprozesse auszuüben. Ohne dieses Reflektieren und ohne eine gnadenlose Selbstkritik wird man meiner Meinung nach dem Beruf des Dirigenten nicht wirklich gerecht.
Das Gespräch führte Midou Grossmann.
(03/2013)
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