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Mittwoch, 29. März 2023

Photo: Festival of Polish Music

Krakau feiert das Polnische Musikfest 2012

"Der Welt und Polen"


Als einziges unter den Musikfesten des Landes ist das Festiwal Muzyki Polskiej ausschließlich heimischen Komponisten gewidmet. Im Laufe der vergangenen Jahre sind zahlreiche Berühmtheiten aufgetreten, darunter Midori, Ivo Pogorelich und das Kronos Quartett. Auch die reiche polnische Jazz-Szene war vertreten, so in Person Tomasz Stańkos, Leszek Możdżers und des bekanntesten Krakauer Musikers, Nigel Kennedy. Daniel Krause ist für klassik.com nach Krakau gereist, um vom Abschluss des Festivals zu berichten.

Die kleinere Hauptstadt

Krakau ist neben Warschau eines der attraktivsten Ziele des polnischen Städtetourismus. Während des goldenen Zeitalters im 16. Jahrhundert diente es Polens Königen als Residenz. Der Glanz dieser Epoche ist bis heute sichtbar. Die prachtvolle Altstadt blieb intakt, weil die sowjetische Armee Krakau nach einem halben Jahrzehnt deutscher Herrschaft 1945 befreite, bevor es wie Warschau von den Besatzern zerstört werden konnte. So gleicht Krakau bis heute einem kleineren Prag. Darüber hinaus ist es Sitz eines strahlkräftigen Konservatoriums und respektabler Orchester sowie einer der bedeutendsten Festivalorte Polens: Unter Krakaus Kulturveranstaltungen ragen das Festival zeitgenössischer Musik Sacrum Profanum und das Barockfestival Opera rara heraus. Seit 2005 besteht das durch die Stadt Krakau und das Kultusministerium finanziell unterstützte Polnische Musikfest, Festiwal Muzyki Polskiej, 2012 fand es zum achten Mal statt.

Wider die Krise

Nichtsdestoweniger hat die europäische Finanzkrise trotz günstiger nationaler Konjunktur auch Polens Kulturinstitutionen erreicht. So ist das Musikfest 2012 weniger glamourös als in früheren Jahren ausgefallen. Wurden in der Vergangenheit Weltstars wie Ivo Pogorelich, Midori oder das Kronos Quartett eingeladen, um die universelle Ausstrahlung polnischer Musik zu dokumentieren, greift man gegenwärtig auf heimische Interpreten zurück. Musikalisch muss dies kein Nachteil sein, denn Polens Konservatorien gewährleisten eine hervorragende Ausbildung. Dass die Berliner Philharmoniker ein halbes Dutzend polnischer, darunter Krakauer Musiker beschäftigen, ist kein Zufall. So kann das Festiwal Muzyki Polskiej zur Leistungsschau heimischer Ausbildungsstätten geraten. Zur Programmatik des Fests gibt Mateusz Borkowski, Pressesprecher, zu bedenken, dass nicht zuletzt solche Kompositionen angesetzt werden, die auch in Polen vernachlässigt werden. So wurde 2012 die halb vergessene wildromantische Oper Roman Statkowskis, ‚Maria‘, wiederaufgeführt.

Ein Jubilar

Ein weiterer Höhepunkt war das Festkonzert zum achtzigsten Geburtstag Wojciech Kilars, der als bekanntester lebender Komponist Polen angesehen werden darf. Dies mag Kilars zugänglichem, kontemplativ minimalistischem Stil geschuldet sein, vor allem aber seinem Wirken als Filmkomponist für Roman Polański (‚Der Tod und das Mädchen‘, ‚Die neun Pforten‘, ‚Der Pianist‘), Francis Ford Coppola (‚Bram Stokers Dracula‘) und Jane Campion (‚Portrait of a Lady‘). Zu Kilars Ehren brachte Beata Bilińska am 20. Juli in der Krakauer Musikhochschule dessen Zweites Klavierkonzert zu Gehör. Das Werk thematisiert die katastrofa smoleńska, den Absturz der polnischen Präsidentenmaschine beim Flughafen von Smolensk am 10. April 2010. Liegeklänge, Akkordrepetitionen, Volksliedanmutungen, Tanz- und Trauermarschrhythmen erzeugen Kilars typischen, zwischen Minimal Music, polnischem Kolorit und Hollywood schillernden Klang. Den Orchesterpart übernahm das führende Kammerorchester der Stadt, die Sinfonietta Cracovia. Während der vergangenen zwanzig Jahre hat der Klangkörper beträchtliches Ansehen erworben und zahlreiche CD-Produktionen, unter anderem mit Rudolf Buchbinder und Peter Wispelwey, vorgelegt. Unter der Leitung Krzysztof Pendereckis gediehen ein hohes Maß stilistischer Wandelbarkeit; intime Vertrautheit mit Neuer Musik und die wichtigste Tugend jedes Kammerorchesters, die Fähigkeit zuzuhören. Kilars Klavierkonzert, zuvor sein ‚Choralvorspiel‘, wurden in beispielhafter Transparenz, mit Sinn für leise wie mächtige Töne und imponierend homogenem Mischklang, ohne Hektik und aufgesetztes Kunstwollen, entfaltet. Robert Kabara führte das Ensemble mit sparsamen, klaren Gesten. Bilińska verstand es, den ausnehmend kräftigen, klangvollen Steinway-Flügel im beinahe überakustischen Raum intelligent abzutönen. Sie stellte Ausdrucksdisziplin und Gelassenheit unter Beweis. Mit dem kongenial sekundierenden Orchester gelang es, Steigerungen erstehen zu lassen, deren Ursprung in außermenschlichen, naturhaften Gesetzmäßigkeiten begründet schien. Wojciech Kilar wurde namens der Polnischen Gesellschaft für Musik mit der Złota Polska Muza, der Goldenen Polnischen Muse, ausgezeichnet, die für Verdienste um das Ansehen polnischer Musik in der Welt verliehen wird. Es spricht für die Weisheit der Veranstalter – und Kilars Großherzigkeit –, dass während der ersten Programmhälfte schwierige Werke wenig bekannter Komponisten aufgeführt worden waren. Die Sinfonietta Cracovia musizierte Zygmunt Krauzes ‚Aus aller Welt stammend‘ für 10 Streicher (1973). Krauze macht Anleihen bei Ligetis Klangflächen, mikrotonaler und Konkreter Musik. Die Intonationssicherheit der Musiker wurde aufs Höchste gefordert. Zuvor war Roman Palesters ‚Nokturn na orkiestrę smyczkową‘ (Nocturne für Streichorchester) musiziert worden. Dieses ist 1947 entstanden, als Palester ins westliche Ausland, nach Frankreich, später Deutschland, emigrierte. Stilistisch platziert es sich zwischen Atonalität und Impressionismus. Dessen ungeachtet werden mancherlei süffige, sangbare Phrasen vernommen. In der Verbindung avantgardistischer Kompositionsweisen mit populären Elementen ist das ‚Nokturn‘ charakteristisch für Polens Moderne. Sinfonietta Cracovia überzeugte mit durchsichtigem Musizieren, Homogenität und Lust am Klang.

Kunst und Kindlichkeit

In der Aula der Universität Krakau wurden am Folgetag Karol Szymanowskis zwanzig ‚Rymy dziecięce‘ (Kinderreime) op. 49 für Sopran und Klavier aufgeführt. Melodisch und rhythmisch sind sie nah an der gesprochen Sprache entwickelt, besonders an Intonationsmustern von Kindern. Oft scheint das Vorbild Mussorgsky durch, dessen Zyklus ‚Detskaja‘ (Kinderstube) das Genre des Kinder-Kunstlieds geprägt hat. Feinnervige, kleingliedrige Bildung der Themen und eine kunstvolle Verbindung fröhlicher, trauriger, überschwänglicher Stimmungen verleihen dem Zyklus besonderen Reiz. Elżbieta Szmytka war als Muttersprachlerin prädestiniert, die Lieder Szymanowskis wort- und sinngetreu, mit unfehlbarer Lippen- und Zungengymnastik wiederzugeben. Unter der hohen hölzernen Decke der Aula verstand sie, ihren sicher beherrschten Sopran musterhaft zu entfalten. Szmytka beeindruckte mit mühelosem Registerwechsel, instrumentaler Stimmführung, bruchlosem messa di voce und gediegener Atemtechnik. Mit Leichtigkeit wechselte sie vom Parlando zu ariosen Phrasen, von halber zu voller Stimme, von rascher Attacke zum blühenden Legato. Die heiklen wie häufigen Nasale des Polnischen wurden vorbildlich gemeistert. Auch brachte Szmytka, ohne Anbiederung, Anmutungen kindlicher Naivität zuwege. Mit Levente Kende als zurückhaltendem, aufmerksamem Begleiter gelang eine maßstäbliche Darstellung des schwierigen Werks. Nach der Pause wurden einige der üppig melodiösen, chromatisch schillernden Lieder Mieczysław Karłowiczs geboten, der zu Polens begabtesten Spätromantikern zählt. Szmytka und Kende wussten sich dem veränderten emotionalen Klima anzuverwandeln. Sie schlugen dunkle, schwelgerische Töne an und bildeten weite, sicher gegliederte Legato-Zusammenhänge. Mit Elżbieta Szmytkas Auftritt hatte es eine besondere Bewandtnis, wie Mateusz Borkowski erläutert. Dies war ihr erstes Krakauer Recital seit mehreren Jahrzehnten. Dass die im Ausland erfolgreiche, wiewohl in der Heimat wenig bekannte Sängerin lange Zeit keine Gelegenheit fand, am einstigen Studienort solistisch in Erscheinung zu treten, darf als kuriose Fügung der Geschichte gelten. Die Hörer schienen der Bedeutung des Moments bewusst. Sie spendeten Szmytka den verdienten begeisterten Beifall.

Abschluss mit Oper

Ein großer, repräsentativer Saal zählt nicht zu den Trümpfen der Stadt, aber in wenigen Jahren wird Krakau - wie Kattowitz und Breslau - eine neue Konzerthalle erhalten. Bis dahin müssen sich die Melomanen mit einem halbmodern historisierenden Versammlungsraum der Zwischenkriegszeit (Filharmonia Krakowska) begnügen, der im Inneren einem verkleinerten Nachbau des Wiener Konzerthauses ähnelt. Hier fand am Abend mit Roman Statkowskis halb vergessener Oper ‚Maria‘ (1904) das Abschlusskonzert des Festivals statt. Statkowski, ein Schüler Anton Rubinsteins, ist reich gesegnet mit koloristischen Mitteln und spätromantischem Sentiment. Mit anderen polnischen Komponisten der Teilungszeit verbindet ihn das emsige Bemühen, durch folkloristische Anklänge nationale Identität zu beschwören. Oft wird er als Bindeglied zwischen Moniuszko, dem hochromantischen Nationalkomponisten, und Szymanowksi, dem Hauptvertreter klassischer Moderne, angesehen. Sein Dreiakter ‚Maria‘ gründet auf einem Versepos Antoni Malczewskis, das vom Geschick einer jungen Frau niederer Herkunft berichtet, die an Dünkel und Gier ihrer Umgebung zerbricht und auf Geheiß des Schwiegervaters umgebracht wird. Ihr Gemahl, Wacław, schwört Rache. So sind in ‚Maria‘ zahlreiche Ingredienzien Schwarzer Romantik vereint, das Kolorit des Mittelalters inklusive. Die Handlung wird in den Fernen Osten des polnischen Königreichs, die heutige Ukraine, entrückt, um ein düster exotisches Ambiente zu schaffen.

Ein Sängerfest

Den Interpreten ist es aufgegeben, durch disziplinierte Agogik und Phrasierung, Vermeidung des Extrems und saubere Handwerklichkeit zu verhindern, dass ‚Maria‘ zum Schauermärchen abgleitet. Im Fall des Gelingens kommen Statkowskis dankbarer Vokalstil, melodische Eingebungskraft, effektvolle Instrumentierung und rhythmische Differenziertheit zur Wirkung – so am Abend des 21. Juli, der dem achten Festiwal Muzyki Polskiej einen würdigen Abschluss schuf. Das Krakowska Orkiestra Festiwalowa, ad hoc aus Krakauer Musikern rekrutiert, bewerkstelligte unter dem Dirigat Tomasz Tokarczyks eine metiersichere Aufführung mit gesanglichen Celli, kernigem Streicherchor und motorischem Furor. Am überzeugendsten gerieten die zahlreichen markigen Ausbrüche des Tutti. Nichtsdestoweniger war es ein Abend der Sänger. Das halbe Dutzend Darsteller agierte rollendeckend und auf hohem technischem Niveau. Allesamt polnische Muttersprachler, garantierten die Sänger ein hohes Maß an Textverständlichkeit. Dies gilt nicht minder für den Krakauer Chor des Polnischen Rundfunks. Tomasz Kuk gefiel als Wacław mit durchdringendem, sauber geführtem, höhensicherem Tenor. Wioletta Chodowicz erfüllte die Partie der Maria mit Leidenschaft, ohne Exzessen anheimzufallen. Intonation, Stütze, Stimmführung, Registerwechsel und Spitzentöne waren untadelig. Im Übrigen verfügt Wioletta Chodowicz über darstellerische Ressourcen, die eine Bühnenkarriere unvermeidlich scheinen lassen. Längst ist sie in Polen ein Star, ihr Rollenporträt der Maria ist beim Polnischen Rundfunk dokumentiert. Chodowicz ist eine internationale Karriere zu wünschen – dem Festiwal Muzyki Polskiej Aufmerksamkeit in der musikalischen Welt, besonders in Deutschland, das, eine halbe Flugstunde von Krakau, Polen so nah und im Guten wie Bösen vielfältig verbunden ist.

Das Gespräch führte Daniel Krause.
(08/2012)

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