Opernintendant und Regisseur Peter Brenner ist auch nach 50 Jahren noch der Bühne verpflichtet.
"Neues erschaffen, ohne sich an Modisches zu verlieren"
Peter Brenner ist nicht nur ausgebildeter Sänger und Schauspieler, sondern auch promovierter Jurist. Als Oberspielleiter wirkte er an mehreren deutschen Opernhäusern, war Intendant der Staatstheater in Darmstadt und Mainz und inszenierte an großen Häusern wie etwa in Köln, Zürich, San Francisco und auch bei den Salzburger Festspielen. Daneben nahm Peter Brenner zahlreiche Lehraufträge wahr, nahm Opernübersetzungen vor und trat mit musikwissenschaftlichen Publikationen hervor. Hinter dieser Biographie versteckt sich ein kreativer Kopf aus der Reihe humanistisch geprägter Musiktheaterintendanten, die nun zumeist den wohlverdienten Ruhestand genießen. Mit klassik.com sprach Brenner über seinen künstlerischen Ziehvater, Maßstäbe der Opernregie und das Bewusstsein für optimale Entfaltungsmöglichkeiten von Sängern.
Warum nahmen Sie den Umweg zu leitenden Positionen im Theater über eine Ausbildung als Sänger und Schauspieler?
Ich wollte wissen, wie man sich als Darsteller auf der Bühne fühlt, bevor ich selbst Regie führe. Mein erstes Engagement war in Mönchengladbach/Krefeld als Schauspieler und Sänger, aber auch schon hier arbeitete ich während einer ‚Ariadne auf Naxos‘-Produktion mit den Kollegen heimlich weiter, nachdem der Regisseur nach Hause gegangen war. Bei den Salzburger Festspielen war ich dann Assistent von Günther Rennert und von 1965 bis 1969 Assistent und Abendspielleiter an der Deutschen Oper am Rhein. Günther Rennert beeinflusste mich mit seinen profunden Kenntnissen zutiefst. Er war mein Vorbild und künstlerischer Ziehvater.
Sie werden des Öfteren als konservativer Regisseur bezeichnet. Wie sehen Sie sich selbst?
Ich sehe mich als einen Regisseur, der mit der Tradition vertraut, aber nicht an Konventionen gebunden ist, der Neues ersinnt und erschafft, ohne sich an Modisches zu verlieren. Wenn mich jemand als konservativ bezeichnet, so stört mich das nicht – im Gegenteil. Konservativ kommt ja vom lateinischen ‚conservare‘ (bewahren); ich verstehe mich als Bewahrer und möchte in erster Linie das Werk vor Zerstörung und Entstellung bewahren, aber auch davor, dass es verstaubt. Ein Werk ist für unsere Zeit nur dann bewahrt, wenn es seine ursprüngliche Kraft und Frische behält und wenn es in ein Licht gerückt wird, das die Seite zum Vorschein kommen lässt, die uns heute daran interessiert, wenn es so dargestellt wird, dass es uns Heutige bewegt. Dabei halte ich es für einen Missbrauch des Werkes, Tendenzen von außen hineinzutragen, ihm Ideologien aufzupfropfen, die ihm fremd sind. Inszenatorische Eitelkeiten waren mir immer zuwider.
Wie würden Sie das Verhältnis von Text und Musik in der Oper umschreiben?
Man muss der Musik vertrauen können, und dazu gehört natürlich das genaue Studium der Partitur, denn die besten Regieanweisungen sind in der Partitur zu finden. Jeder gute Komponist hat aus einer bestimmten szenischen Vorstellung heraus komponiert. Herauszufinden, warum er hier ein Piano, dort ein Forte, hier ein Accellerando, dort ein Rallentando vorschreibt, welche Bedeutung der einen und welche der anderen Fermate zukommt usw., ist der Weg zu einer überzeugenden Inszenierung. Schon 1948 warnte Gustav Gründgens in einer Rede vor dem Deutschen Bühnenverein: ‚Der größte Feind einer neuen Theaterentwicklung ist unsere Originalitätssucht: der Wunsch, neu zu sein um jeden Preis; auch um den Preis des Werkes, das wir zu interpretieren hätten. Unsere Arbeit ist nicht dann schöpferisch, wenn wir eine Dichtung nehmen und uns mit ihr in Szene setzen, sondern unser Beruf beginnt dann schöpferisch zu werden, wenn es gelingt, vom Dichter Geschautes und Gewolltes in einer Aufführung zu verdeutlichen oder gar zu steigern.
Wie stehen Sie zu dem Begriff der Werktreue?
Ich vergleiche die Opernpartitur gerne mit einem Skelett, aus dem die Interpreten ein Wesen aus Fleisch und Blut zu machen haben und das sie, wenn ein lebendiger Körper entstanden ist, kleiden müssen. Nun gibt es Regisseure, die auf genialische Art einen schnittigen, modischen Anzug entwerfen, ohne eine Ahnung zu haben, wie der Körper beschaffen ist. Natürlich wird der Anzug nicht passen; man schneidet dann eben hier und dort ein Stück Substanz weg. Ein Teil des Publikums lässt sich von dem interessanten und ach so modernen Habitus blenden und übersieht die Verfremdung der eigentlichen Substanz. Selbstverständlich ist der Akt der Verlebendigung dessen, was an Noten, Text und Regieanweisungen in der Partitur steht, notwendigerweise subjektiv. Aber diese Subjektivität muss als Verpflichtung verstanden werden und darf nicht als Freibrief zur Selbstverwirklichung dienen. Manchmal werden Opernwerke wie eine Art Steinbruch verwendet, werden zerschlagen und die Bruchstücke zu seltsamen Gebilden zusammengesetzt, die nichts mehr mit der Vision des Komponisten zu tun haben. Zu diesem modischen Trend ist eine ganz erstaunliche gegenläufige Entwicklung zu beobachten, was den musikalischen Bereich betrifft. Noch nie in der Musikgeschichte gab es so starke Bestrebungen, das ursprüngliche Notenbild wieder herzustellen und die Partitur möglichst originalgetreu, zum Teil unter Verwendung historischer Instrumente, so erklingen zu lassen, wie sie vermutlich zur Zeit ihrer Entstehung gespielt wurden, um dem musikalischen Willen des Komponisten so nahe wie möglich zu kommen. Wesentlich ist aber bei der szenischen Realisation, dass wahre Werktreue nicht im Erfüllen des Buchstabens, sondern im Aufspüren des Geistes besteht.
Wie können hier beide Bereiche wieder auf einen Nenner gebracht werden?
Vom Komponisten Geschautes und Gewolltes zu verdeutlichen oder gar zu steigern sollte wieder vorrangiges Ziel einer jeder Operninszenierung werden. Wenn man weiß, wie leidenschaftlich und manchmal gar verzweifelt gerade die bedeutendsten Opernkomponisten um jedes Wort gerungen haben, wie viel einem Richard Wagner, einem Verdi, einem Puccini und einem Richard Strauss das Wort, das ihnen zur musikalischen Inspiration wurde, und seine szenische Umsetzung bedeutete, dann kann man ermessen, was für ein Frevel manchmal an dem Werk und seinen Autoren verübt wird.
Wie wichtig sind für den Regisseur die Sänger?
Enorm wichtig! Ein Regisseur sollte wissen, dass ein Sänger nie seine beste Leistung erbringen wird, wenn er nicht seelisch und körperlich hinter den szenischen Aufgaben stehen kann. Gesang ist ein psycho-physischer Vorgang, und wenn ein Sänger sich mit dem Geschehen auf der Bühne und dem, was er zu singen hat, nicht identifizieren kann, dann ist sein stimmliches Ausdrucksvermögen beeinträchtigt. Er muss von dem, was und wie er es tut, selbst restlos überzeugt sein, um das Publikum überzeugen zu können. Und dazu muss man Menschen aus Fleisch und Blut auf die Bühne bringen. Psychologische Studien der Partien sind deshalb eine grundlegende Voraussetzung.
Welche Bedeutung hat es Ihrer Meinung nach, ein festes Ensemble an einem Haus zu haben beziehungsweise zu schaffen?
Ich habe die Ensemblebildung immer für eine wichtige Aufgabe gehalten. Da können fundamentale künstlerische Maßstäbe gesetzt werden, die bei einem Star-System einfach fehlen. Zu meiner Zeit in Wien ging man nie wegen eines bestimmten Sängers in die Oper, sondern immer, um das Werk zu erleben, obwohl das Haus auch damals mit Weltspitzenkräften arbeitete.
Wie sehen Sie die Zukunft des Musiktheaters?
Ich bin fast schon wieder optimistisch. Ich denke, die Ära des sogenannten ‚modernen Regietheaters‘ geht langsam zu Ende. Ohnehin ist das ein absurder Begriff, denn Regie war und ist immer in irgendeiner Form erforderlich, aber heutzutage steht Regietheater wohl für das Theater, das um die Regie gemacht wird und an seinen eigenen Klischees erstickt. Junge Menschen haben einen Anspruch darauf, mit dem Werk selbst konfrontiert zu werden und nicht mit einer Variation, in der das Thema nicht mehr erkennbar ist. Ergänzend dazu würde sich durchaus auch die Herstellung zeitgeschichtlicher Zusammenhänge aus der Entstehungszeit des Werks in Form von Ausstellungen, Diskussionen oder ähnlichem anbieten. Es wäre wichtig, Querverbindungen und Zusammenhänge mit dem Heute aufzudecken und die Jugend auch dadurch an das Phänomen Oper heranzuführen.
Als Sie die Intendanz des Staatstheaters Darmstadt übernahmen, waren Sie schon ein gefragter Regisseur. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?
Es hast mich gereizt, eine größere Verantwortung zu übernehmen. Das Theaterangebot für eine Stadt, eine Region gestalten zu können und dabei auszuprobieren, wieweit das Publikum bereit ist, auf unbekanntes Terrain zu folgen. In den sieben Jahren meiner Darmstädter Intendanz waren mehr als 30 Prozent der angebotenen Musiktheater-Werke Erstaufführungen für diese Stadt, und doch waren die Besucherzahlen so hoch wie nie vorher. Ähnliches gilt für meine Jahre in Mainz. Und ich erhielt in dieser Position die Möglichkeit, Künstlerinnen und Künstler zu verpflichten, die ich für begabt hielt und sie mit Aufgaben zu betrauen, die ihnen die Chance zu einer organischen Entwicklung gaben. Dass ich junge Repetitoren und Kapellmeister gefördert habe, die eine internationale Karriere gemacht haben, Nachwuchs-Regisseure und Dramaturgen, die heute leitende Positionen einnehmen und Intendanzen übernommen haben, dass ich in Oper und Schauspiel Anfänger verpflichtet habe, die es an renommierte Bühnen geschafft haben oder Film- und Fernsehgrößen geworden sind, ist für mich wichtiger als jeder Inszenierungserfolg.
Haben Sie je bereut, von der Juristerei zum Theater gewechselt zu haben?
Nein, denn ‚Theater ist‘, wie Egon Friedell in seiner ‚Geschichte der Neuzeit‘ schreibt, ‚eben mehr als die meisten glauben. Keine bunte Oberfläche, kein bloßes Theater, sondern etwas Entsiegelndes und Erlösendes, etwas schlechthin Magisches in unserem Dasein.‘
Das Gespräch führte Midou Grossmann.
(12/2011)
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!