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Mittwoch, 29. März 2023

Photo: Francois Sechet

Die französische Oboistin Céline Moinet veredelt seit einiger Zeit den Klang der Dresdner ‚Wunderharfe‘. Nun tritt sie auch als Solistin ins Rampenlicht.

"Das Spiel muss wahrhaftig sein"


Céline Moinet wurde 1984 im nordfranzösischen Lille geboren. Dass die Oboe ihr Instrument ist, wusste sie schon früh. Sie studierte am Conservatoire National Supérieur de Musique in Paris und schloss mit höchsten Auszeichnungen ab. Anschließend war sie Mitglied des Gustav Mahler Jugendorchesters, spielte in renommierten deutschen Orchestern und war mit 22 Jahren Solo-Oboistin im Orchester des Nationaltheaters Mannheim. Seit 2008 ist sie in gleicher Position Mitglied der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Als Solistin und Kammermusikerin tritt sie nahezu weltweit auf. Daneben gibt Céline Moinet ihr Wissen und ihre Erfahrungen in Meisterkursen weiter. Nun legt sie ihre erste CD mit Stücken für Oboe solo von Bach, Berio, Britten und Carter vor. klassik.com-Autor Boris Michael Gruhl verriet Céline Moinet die Besonderheiten der Oboe, welches Maß an Ausdauer und Disziplin erforderlich ist und wie sich die Aufmerksamkeit des Publikums dem Künstler mitteilt.

Frau Moinet, was macht für Sie die Besonderheit der Oboe aus?

Der Klang der Oboe ist einzigartig. Nicht nur als Soloinstrument, auch im Orchester fällt die Oboe auf. Ihr Ton kann herausstrahlen, ohne den Gesamtklang zu dominieren, es sei denn, eine solche Hervorhebung ist von der Komposition her gerechtfertigt. Ich habe die Besonderheit dieses Instruments schon als Kind entdeckt. Normalerweise ist das ja nicht das Instrument für kleine Mädchen. Da spielen eher ästhetische Gesichtspunkte eine Rolle; die Harfe etwa hat eine größere Anziehungskraft. Aber eine Oboe? – Ist doch eher ein Instrument für Männer. Aber bei mir war das nicht so. Ich habe das Instrument für mich gewählt. Leicht war es dann allerdings nicht. Man kann sich sowohl optisch als auch klanglich nicht verstecken. Es gibt zudem die Gefahr, zu laut zu werden. Mich hat die Nähe zur menschlichen Stimme fasziniert, mit der Oboe kann ich Klangfarben erzeugen, ich habe diesen warmen Ton zur Verfügung, ich kann ein Vibrato erzeugen wie mit der Stimme. So kann ich mit meinem Instrument Menschen berühren. Mache ich den Ton aber hell und spitz, erzeuge ich ein schnelles Vibrato, dann erweckt mein Spiel ganz andere Assoziationen. So bin ich immer auf der Suche nach neuen Farben und ich kann nicht absehen, wann diese Suche nach den Klangfarben meines Instrumentes zu Ende sein wird – wahrscheinlich nie.

Wann ist Ihnen in Ihrem Leben zum ersten Mal dieses Gefühl begegnet, ganz klar zu wissen, dass Sie die Oboe als Ihr Instrument wählen?

Mit sieben Jahren habe ich begonnen Oboe zu spielen. Ich habe zu Hause eine musikalische Erziehung genossen. Als fünftes Kind wollte ich nicht, wie meine Geschwister schon, Geige spielen. Meine Mutter hat mir alle Holzblasinstrumente vorgestellt, und die Oboe war‘s dann. Es war nicht zuletzt gerade die enorme Fingerfertigkeit, die mich gereizt hat.

Copyright Francois Sechet

Wie verlief Ihr weiterer musikalischer Werdegang?

Dass ich einen musikalischen Weg einschlagen möchte, war sehr früh klar. Ich habe als Kind gern geübt, habe früh eine Musikschule besucht. Dann stand für mich fest: Ich möchte spielen. Mit 17 Jahren begann ich mein Studium in Paris, zunächst mit dem Ziel, Orchestermusikerin zu werden. Ich wollte dann aber mehr, ich wollte mich stärker eigenen Möglichkeiten der Interpretation mit meinem Instrument widmen. Das Studium in Frankreich ist darauf ausgerichtet, das solistische Talent auszubilden. Im Rückblich kann ich sagen, diese Grundausbildung war gut. Ich hatte dann den Wunsch, in einem deutschen Orchester zu spielen. Das hat ja über einen ‚Umweg‘ auch geklappt. Diesen ‚Umweg‘ möchte ich aber nicht missen, denn ich habe unter der Leitung von Claudio Abbado im Gustav Mahler Jugendorchester spielen dürfen. Ich wollte dann aber unbedingt die besondere Klangkultur deutscher Orchester kennenlernen, und das geht für eine Musikerin am besten, wenn sie in einem solchen Orchester spielt. Ich hatte das Glück, Engagements bei führenden Orchestern in Deutschland zu erhalten. Meine erste Stelle als Solo-Oboistin erhielt ich 2006 beim Orchester des Nationaltheaters Mannheim. Zwei Jahre später konnte ich in gleicher Position nach Dresden wechseln, zur Sächsischen Staatskapelle. Im letzten Jahr konnte ich hier eine Pause einlegen und unternahm mit den Wiener Philharmonikern eine Konzertreise nach Asien und Australien.

Ihr Weg führte, wie sie sagen, in verschiedene renommierte Orchester, am Nationaltheater Mannheim dann auch in die Oper, in den ‚Graben‘. Jetzt sind Sie bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden, ebenfalls einem Opernorchester. Nimmt man da unten im ‚Graben‘ eigentlich wahr, was auf der Bühne passiert? Muss man eine tiefe Beziehung zur Oper als Kunstform haben?

Ja und nein. Ob auf dem Podium oder unten im Orchestergraben, es kommt immer darauf an, voll da zu sein, alles zu geben, sich einzufügen in den Gesamtklang. Wir Musiker sind in der Oper natürlich so platziert, dass wir das Publikum nicht sehen; und da wo ich sitze, sehe ich auch so gut wie nichts vom Geschehen auf der Bühne. Aber wir haben eine enorme Verantwortung da unten. Wir bilden das Fundament, wir weben den Teppich: Manchmal gilt es, die Sänger zu tragen, sie auch zu umhüllen, ihnen Schutz zu geben. Da bedarf es der Sensibilität im Orchester und auf der Bühne, vor allem beim Dirigenten, dem ‚versteckten‘ Orchester zu angemessener Präsenz zu verhelfen.

Sie kümmern sich in Meisterkursen um junge Oboistinnen und Oboisten. Wie ist es um den Nachwuchs bestellt?

Die Studierenden werden immer besser, das Niveau wird immer höher. Weil die Anforderungen so hoch sind, entscheiden sich wahrscheinlich junge Leute dafür, die wissen, dass dieser Beruf ohne ein Höchstmaß an Disziplin nicht auszuüben ist. Die Studierenden, die zu Meisterkursen kommen, wissen, dass bei der Oboe Virtuosität erwartet wird; das setzt technische Versiertheit voraus. Die jungen Oboistinnen und Oboisten kommen aus Deutschland, aus Frankreich, den USA und aus dem asiatischen Raum, die Konkurrenz ist groß. Für mich bedeutet das Unterrichten eine große Bereicherung. Ich muss ja als Lehrende auch immer wieder das eigene Spiel analysieren. Es geht mir darum, dass die Studierenden ihre eigenen Wege finden, dass sie zu ihrem authentischen Ton gelangen, sonst kann ihr Spiel nicht wahrhaftig sein. Darauf kommt es aber an.

Auf Ihrer Solo-CD spielen Sie Werke von Johann Sebastian Bach und Carl Philipp Emanuel Bach. Die Musik des 18. Jahrhunderts umschließt drei Werke des 20. Jahrhunderts von Luciano Berio, Benjamin Britten und Elliott Carter. Fehlt es in der großen Zeitspanne dazwischen an geeigneter Musik für das Instrument oder folgt die Auswahl einem ästhetischen, dramaturgischen Anliegen?

Die Stücke passen gut zueinander. In der Barockmusik gehörte die Oboe zu den bevorzugten Instrumenten. Bach hat die Oboe geliebt. Dann kam eine Zeit, in der sie weniger präsent war, obwohl die Romantik sie schon bevorzugte, etwa in den Salonstücken. Aber im 20. und im 21. Jahrhundert wuchs und wächst das Interesse für dieses Instrument wieder, da gibt es neue, sehr interessante Stücke, in denen die spieltechnischen Möglichkeiten ausgereizt werden. Ich habe für meine CD Stücke für Oboe solo gewählt, eine musikalische Enzyklopädie war nicht meine Absicht.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Werke zusammengestellt?

Zuerst einmal sind es Stücke, die mir viel bedeuten. So habe ich das bekannte Stück von Benjamin Britten, ‚Sechs Metamorphosen‘ nach Ovid für Oboe solo op.49, 1951 komponiert, sehr früh, bereits während meiner Ausbildung, studiert. Aber meine Interpretation des Stücks verändert sich. Zudem kam es mir darauf an, gerahmt von den beiden barocken Stücken, die drei Werke vorzustellen, deren Klangsprache für das Instrument unterschiedlicher nicht sein könnte. Brittens Klang ist natürlich, er ist der Melodik verpflichtet. Eliott Carters ‚Inner Song‘ von 1922 ist als Motto eine Verszeile von Rilke vorangestellt: ‚Worte gehen noch zart am Unsäglichen aus‘. Entsprechend meditativ gestaltet der inzwischen fast 90jährige Komponist sein ungeheuer farb- und nuancenreiches Werk. Natürlich liegt mir auch daran, einen Komponisten vorzustellen, der hier leider nicht so sehr bekannt ist. Will ich wichtige zeitgenössische Werke für Oboe vorstellen, gehört die ‚Sequenza VII‘ von Luciano Berio dazu, die er 1969 geschrieben hat. Hier kommen viele technische Ideen zur Anwendung, das Werk ist spielerisch und leidenschaftlich, für Interpreten eine enorme Herausforderung. Hinzu kommt die akustische Raffinesse und natürlich die enthaltenen Variationen um das ‚h‘, die klingende Hommage an den großen Oboisten und Komponisten unserer Zeit, Heinz Holliger.

Copyright Francois Sechet

Haben Sie diese Stücke oftmals öffentlich gespielt?

Ja, in Kammermusikkonzerten, in denen ich eigentlich immer sehr gerne ein Stück ganz allein spiele. Manche Stücke oder zumindest einzelne Teile daraus spiele ich auch gerne als Zugabe. Es ist etwas anderes, solche Stücke vor Publikum zu spielen als in der Atmosphäre eines Studios. Aber da hatte ich großes Glück. In den Berliner Teldex-Studios habe ich während der Einspielung eine wunderbare, intensive Arbeitssituation erlebt. Da existierte für mich die Zeit nicht mehr. Ich war wie in Trance, habe nicht gemerkt, wie die Stunden vergingen; ich lebte in einer anderen Welt, in einer Klangwelt, ich war mit ‚meinen‘ Stücken auf meinem Weg zur Vision meiner Klangvorstellungen von diesen Werken. Diese CD, dieses musikalische Dokument, ist eine wichtige Etappe auf meinem Weg als Musikerin, als Künstlerin. Das bin ich, Céline Moinet, 2011, zur Zeit der Aufnahmen, und jetzt – 2012 – teile ich diese Erfahrung mit den Hörenden.

Wie ist es um die solistische Literatur für Oboe derzeit bestellt?

Ich habe den Eindruck, es wird besser. An neuen Werken fehlt es vielleicht gar nicht so sehr, eher noch am Mut der Veranstalter. Dabei kann moderne Musik, wenn sie das Gesangliche der Oboe nutzt, sicher viele Menschen ansprechen, wenn die Effekte nicht das lyrische Moment in der Musik überlagern. Ich würde sehr gerne einmal das Oboenkonzert von Peter Ruzicka spielen; es wurde 2011 mit Albrecht Mayer als Solist uraufgeführt.

Als Solistin allein, mit Kammermusikpartnern auf dem Podium, dann wieder als eine Stimme im großen Orchester-Zusammenspiel oder so gut wie unsichtbar in der Tiefe des Orchestergrabens im Opernhaus: Ist das für Sie alles gleichwertig oder gibt es eine Position, die Sie bevorzugen?

Für mich ist es eine große Ehre, Mitglied der Sächsischen Staatskapelle Dresden zu sein und mit großen Dirigenten zusammenzuarbeiten. Jede neue Arbeit ist eine Inspirationsquelle, die Arbeit im Orchester besonders, denn hier geht es um den Zusammenklang. Natürlich liegt mir auch viel am solistischen Spiel, an der Kammermusik. Aber da sind die Wünsche größer als das Zeitvolumen. Dieser Wechsel ist interessant: Als Solo-Oboistin im Orchester bin ich nicht allein, ich muss immer – und bei meinem Instrument ist besondere Sensibilität nötig – das Maß des Ganzen beachten. Als Solistin, ganz allein auf dem Podium, da muss ich dann mit meiner individuellen Stimme im Klang der Oboe auch eine ganze Klangwelt erzeugen. Furcht davor, allein zu spielen, habe ich nicht. Viel solistisches Auftreten macht fit und gleichzeitig macht es mich wieder frei für das Spiel im Orchester.

Copyright Francois Sechet

Was ist das für ein Gefühl, ein Instrument zu spielen, das durch die Intensität des eigenen Atemstromes und des Herzschlages, der augenblicklichen Emotion, Menschen für Augenblicke in Ausnahmesituationen versetzen kann?

Es ist ein außergewöhnliches Gefühl, zu spüren, wie Menschen zuhören – unbeschreiblich. Manchmal sind es diese Momente der Ruhe. Man sollte ja nicht vergessen: Pausen gehören zur Musik, die Stille gehört zur Musik. Wenn die Aufmerksamkeit des Publikums zu spüren ist, dann sind das sehr emotionale Momente für mich als Interpretin. Deshalb spiele ich auch gerne und vornehmlich auswendig. Da ist die Nähe größer, es steht nichts zwischen den Menschen, die zuhören, und mir. Ein solches Empfinden ist dann auch immer wieder eine Interpretationsquelle. Sie haben den Herzschlag erwähnt, Heinz Holliger, von dem schon die Rede war, hat ein Stück für die Oboe geschrieben mit dem Titel ‚Cardiophonie‘, in diesem Stück wird der eigene Herzschlag in das Spiel einbezogen, dazu bedarf es einer speziellen Technik.

Das Gespräch führte Boris Michael Gruhl.
(02/2012)

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