Die englische Sopranistin Lucy Crowe ist bei Händel und Strauss gleichermaßen zuhause.
"Ich versuche meine Intuition zu bewahren"
Seit Jahren ist die junge englische Sopranistin Lucy Crowe heiß umworben. Sie ist auf den großen internationalen Opernbühnen zu hören und begehrter Gast bei hochkarätigen Festspielen. Stilistischen Einschränkungen mag sie sich nicht unterwerfen; Lucy Crowe passt ihre Stimme wandlungsfähig den unterschiedlichen Anforderungen an. Im Rahmen des Musikfestes Bremen gab die Sängerin gemeinsam mit dem Ensemble The English Concert unter Harry Bicket ein beeindruckendes Konzert, bei dem sie Ausschnitte ihrer ersten Solo-CD ‚Il caro sassone‘ mit Werken von Georg Friedrich Händel präsentierte, die im November bei Harmonia Mundi erscheint. klassik.com-Autor Michael Pitz-Grewenig sprach mit der sympathischen Sängerin über ihre steile Karriere, die Zusammenarbeit mit Dirigenten und die Bedeutung kreativer Intuition.
Frau Crowe, Sie haben schon mehrere angesehene Preise gewonnen, haben Engagements an renommierten Opernhäusern und bei den Salzburger Festspielen, um nur einige Stationen zu nennen. Sie gelten als eine der besten jungen Sopranistinnen Ihrer Generation. Das schaffen nur wenige Sängerinnen so schnell. Fühlen Sie sich als Glückskind, wenn Sie auf ihre bisherige Karriere zurückblicken?
Ich bin sehr froh darüber. Ich singe, seit ich denken kann. Ich glaube, ich habe sogar eher Singen gelernt als Sprechen! Seit meinem zehnten Lebensjahr habe ich Gesangsunterricht, und nun habe ich viele Engagements. Jetzt habe ich meine erste Solo-CD mit Werken von Georg Friedrich Händel aufgenommen, das stimmt mich froh und zuversichtlich, dass mein bisheriger Weg richtig war.
Das heißt, Sie sind glücklich mit Ihrer Entscheidung, Sängerin zu werden?
Ja, absolut! Ich arbeite gerne mit meiner Stimme. Singen gehört einfach zu meinem Leben, es ist meine Leidenschaft.
Feste Verpflichtungen führen Sie neben Ihrer regen Konzerttätigkeit in der nächsten Zeit zum Glyndebourne Festival, an das Royal Opera House, an die Deutsche Oper Berlin und die Metropolitan Opera New York. Wie schafft man dieses anstrengende Pensum?
Das ist eine Sache des richtigen Trainings. Ich empfinde das nicht als so anstrengend. Ich übe sehr intensiv und bereite mich äußerst konzentriert auf die jeweiligen Projekte vor. Aber ich achte auch darauf, dass zwischen den einzelnen Projekten immer genügend Ruhepausen vorhanden sind, in denen ich entspannen kann. Denn das ist für die Stimme ebenfalls enorm wichtig. Zudem singe ich oft die gleiche Rolle an verschiedenen Opernhäusern; das reduziert die Arbeit, auch wenn die unterschiedlichen Inszenierungsansätze andere Herangehensweisen erfordern.
Lampenfieber ist ja ein Problem, das viele Sänger – und überhaupt Musiker im Allgemeinen – haben. Sind Sie noch nervös, wenn Sie vors Publikum treten?
Nein, nicht nervös, aber freudig erregt. Ich kann zeigen, was ich kann. Ich bin nur nervös, wenn ich nicht genügend Zeit für die Vorbereitung hatte. Aber das kommt selten vor. Eigentlich bin ich nie nervös, da ich immer gut vorbereitet bin.
Ihr Tourneeplan ist bis weit ins Jahr 2012 so knapp bemessen, dass das Konzert im Rahmen des Bremer Musikfestes Ihr einziger Auftritt mit diesem Programm in Deutschland war. Ihre rege Konzerttätigkeit neben den Engagements an Opernhäusern führt zwangsläufig dazu, dass Sie oft kurzfristig, aber intensiv mit einem ständig wechselnden Kollegenkreis zusammenarbeiten. Fühlt man sich da abends im Hotelzimmer nicht auch manchmal einsam?
Das ist in der Tat für mich der einzige Nachteil an meinem Beruf. Darauf wird man während der Ausbildung auch nicht vorbereitet. In der Tat ist das manchmal eine ‚dunkle Zeit‘. Aber ich habe immer Bücher, DVDs und CDs dabei und telefoniere auch sehr viel mit meinen Freunden und Angehörigen. Ich nutze die Zeit auch, um neue Rollen zu erarbeiten bzw. neue musikalische Eindrücke zu verarbeiten. Manchmal kommt auch mein Ehemann mit. Wenn es geht, nutze ich die wenige freie Zeit auch, um mir die Konzertstädte anzuschauen. Wenn ich dann aber wieder auf der Bühne stehe, ist das alles schnell vergessen. Als ich zu Beginn meiner Karriere die Rolle der Sophie im ‚Rosenkavalier‘ von Richard Strauss an der Bayerischen Staatsoper München sang, da fühlte ich mich schon sehr einsam. Das lag weniger an der schönen Stadt München als an der Tatsache, dass man darauf nicht vorbereitet wird. Wenn ich dann aber wieder das Trio aus dem ‚Rosenkavalier‘ sang, war alles vergessen.
Wo sind Sie am Liebsten, wenn Sie Ruhe benötigen?
Dafür habe ich keinen bestimmten Ort. In meinen Ruhepausen treffe ich mich mit meiner Familie und meinen Freunden, gehe gern essen, auf Partys oder spazieren, mache Sport. Ich führe dann eigentlich ein ganz normales Leben. Ich bin auf dem Lande aufgewachsen. Wenn ich ganz viel Ruhe benötige, fahre ich dorthin, mache lange Wanderungen und genieße das Landleben.
Die Liste der Dirigenten, mit denen Sie zusammengearbeitet haben, ist gewissermaßen ein Who-is-who der aktuellen Musikszene. Sir John Eliot Gardiner, Sir Charles Mackerras (†), Sir Roger Norrington, Trevor Pinnock, Mark Minkowski, Ingo Metzmacher, Harry Bicket, um nur einige zu nennen. Das Verhältnis Sänger–Dirigent ist immer etwas Besonderes: Persönliche Klangvorstellungen, Phrasierungen, Tempi – all das kann sehr unterschiedlich sein. Ist es für eine Sängerin manchmal nicht auch ungeheuer schwer, sich darauf einzulassen?
Zwischen Dirigent und Sänger besteht in der Tat immer ein besonderes Verhältnis. Natürlich gibt es da unterschiedliche Auffassungen. Ich bin da einerseits sehr flexibel, aber ich möchte andererseits meine Vorstellung einer Interpretation auch nicht verlieren; darauf achte ich sehr. Es kommt aber auch vor, das man nur zwei Konzerte mit einem Dirigenten hat und sich dann natürlich kein besonderes Verhältnis ausbilden kann. Sir John Eliot Gardiner zum Beispiel hat mich immer sehr gefordert.
Inwiefern? Wie darf man sich das vorstellen?
Ganz einfach: Er ließ mich bestimmte Partien, die sehr hoch oder sehr tief sind, singen, forderte bestimmte Artikulationen. Ich hatte das Gefühl, er wollte meine Möglichkeiten erkunden.
Welcher Dirigent hat Sie am meisten geprägt?
(überlegt) Harry Bicket, mit dem ich meine erste Solo-CD mit Werken von Händel aufgenommen habe, die im November dieses Jahres erscheint, hat mir viele Türen geöffnet und mich zum Beispiel nach Chicago vermittelt. Gleiches gilt auch für meinen Auftritt an der Met in New York im nächsten Jahr. Man kann schon sagen, dass Harry Bicket für mich sehr wichtig war und noch ist. Natürlich hat mich auch die Arbeit mit Sir John Eliot Gardiner und Trevor Pinnock sehr beeinflusst, aber letztendlich gilt, dass die Zusammenarbeit mit guten Dirigenten immer Auswirkungen auf das eigene musikalische Denken hat. Einen wichtigen Dirigenten haben Sie noch nicht erwähnt: Yannick Nézet-Séguin. Mit Yannick Nézet-Séguin arbeite ich ungemein gerne zusammen. Mit ihm hatte ich schon viele schöne musikalische Erlebnisse. Er arbeitet sehr hart mit den Sängern, ist aber gleichzeitig sehr leidenschaftlich. Er ist einfach wunderbar.
Wie entwickeln Sie Ihre Interpretationen: eher intuitiv oder strukturell planend?
Ich versuche meine Intuition zu bewahren. Das ist auch der Grund, warum ich gerne aufs Land fahre. Hier verschafft mir die Ruhe die notwendigen Freiräume. Gleichzeitig werden mir hier Erlebnisse geboten, die ich in meiner Interpretation umsetzen kann. Denn ich muss das, was ich in der Musik fühle, in mir selbst wachrufen. Das gilt ganz besonders für die Lieder von Franz Schubert.
Auf Ihrer neuen CD beschäftigen Sie sich intensiv mit dem spannenden, oft unterschätzen jungen Händel, für den Italien eine Offenbarung gewesen sein muss. Kann man an diese Musik rational herangehen?
Die Musik des jungen Händel ist sehr emotional. Ich kann quasi mein ganzes Herz in diese Musik hineinlegen. (lacht) Das ist mit ein Grund, warum mir meine erste CD ganz besonders am Herzen liegt.
Bei den Vokalkompositionen von Händel geht es weniger um das stimmliche Hochgebirgsklettern in der dünnen Luft hoher Noten, sondern um Beweglichkeit, rhetorische Plastizität und rhythmische Genauigkeit. Das kommt Ihrer klaren Stimme vermutlich sehr entgegen. Wirkt sich die Beschäftigung mit der Musik der Renaissance und des Barock auch auf Ihren Umgang mit Mozart oder Strauss aus?
In der Tat. Für Händel benötigt man eine solide Technik und eine genaue Vorstellung der Klanglichkeit für jeden Ton, sonst wird das schnell langweilig. Natürlich sind die stimmliche Flexibilität und der Stimmumfang auch hier wichtig, aber genauso wichtig ist, dass man über eine umfangreiche Klangfarben- und Artikulationsvielfalt verfügt. Man muss aber auch den Mut für unkonventionelle gesangliche Lösungen besitzen – im Extremfall für ‚hässliche‘ Töne, wenn es die Interpretation erfordert.
Ich möchte nochmal auf auf den zweiten Teil meiner Frage zurückkommen: Wirkt sich das auch auf Ihre Herangehensweise an Mozart oder Strauss aus?
Händel gibt mir gewissermaßen eine Basis, ein Fundament. Wenn man gelernt hat, ohne Vibrato zu singen, dann kann man dieses Stilmittel genau einsetzen. Von der rhythmischen Präzision, die die barocke Musik erfordert, ganz zu schweigen.
Verspüren Sie manchmal so etwas wie stilistischen Abenteuergeist hinsichtlich zeitgenössischer Musik?
Ich höre mir diese Musik zu Hause nicht an, gehe aber sehr gerne ins Konzert. Diese Musik muss man live hören, und ich singe sie sehr gerne im Konzert. Ich liebe zudem die gesangstechnischen Herausforderungen, die die moderne Musik an die Sänger stellt.
Sie hören, wie etwa auch Ihr Kollege Rolando Villazón, auch die Musik von Bands wie Abba, Guns N' Roses oder Metallica…
…ja, ich liebe diese Musik. Sie ist manchmal für mich eine schöne Abwechslung zur klassischen Musik, wenn ich mal etwas anderes benötige.
Von der Sängerin Cathy Berberian gibt es ein Album mit Liedern von den Beatles in sehr schönen, intelligenten Arrangements. Hätten Sie auch Lust dazu, einmal so etwas zu machen?
Die Beschäftigung mit dieser Musik ist etwas Privates. Manchmal singe ich für Freunde, wenn mich mein Mann auf der Gitarre begleitet. Derzeit möchte ich noch keinen Crossover machen. Vielleicht einmal später.
Das Gespräch führte Michael Pitz-Grewenig.
(11/2011)
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