> > > > "Henze ist es wert, ein intensives Programm rund um seine Werke zu zeigen"
Samstag, 1. April 2023

Photo: Donatas Bagurskas

Reinbert Evers über das Festival Henze!, das vom 26. Juni bis zum 10. Juli in Münster stattfinden wird

"Henze ist es wert, ein intensives Programm rund um seine Werke zu zeigen"


Wohltöner, Deutscher in Italien, bekennender Linker, Musiker jenseits aller Dogmatismen: An Hans Werner Henze scheiden sich auch heute noch die Geister. Wer sich mit der Musik des 20. Jahrhunderts beschäftigt, kommt jedoch an Henze kaum vorbei. Nach dem großen Schwerpunkt, der durch die Aktivitäten der Kulturhauptstadt Europas Ruhr.2010 auf das Werk des am 1. Juli in Gütersloh geborenen Komponisten gelegt wurde, steht Münster mit dem Festival Henze! Ab dem 26. Juni ganz im Zeichen seiner Musik. Bis zum 10. Juli feiert die westfälische Metropole den 85. Geburtstag des Komponisten mit einem Festival, das von regionalen Institutionen organisiert und getragen wird. Reinbert Evers, Gitarrist, Komponist und ehemaliger Dekan der Musikhochschule Münster, ist Programm-Macher und Mitorganisator des Henze!-Festivals. Miquel Cabruja sprach im Vorfeld für klassik.com mit dem Henze-Kenner, der als einer der bedeutendsten Interpreten zeitgenössischer Musik auf seinem Instrument gilt.

Herr Evers, zum Komponisten Hans Werner Henze haben Sie als Gitarrist eine besondere Beziehung.

Ich lernte Henze 1979 kennen, als ich seine drei ‚Tentos‘ einspielte. Ein Jahr darauf wurde ich von Henze nach Montepulciano eingeladen, um an der Uraufführung seines ‚Pollicino‘ mitzuwirken. Damals lernte ich auch den Geiger Helge Slaatto kennen, der dann später an der Hochschule für Musik in Münster Professor wurde und auch bei unserem Festival in Münster zu hören sein wird.

Der Höhepunkt Ihrer Zusammenarbeit mit Henze war sicher die Uraufführung seiner ‚Royal Winter Music II‘ im Jahre 1980…

…ein großes Solowerk für Gitarre, das ursprünglich vom Virtuosen Julian Bream uraufgeführt werden sollte. Bream fand allerdings den zweiten Teil unaufführbar, so dass Henze auf mich zurückkam. Ich habe dann ‚Royal Winter Music II‘ aus der Taufe gehoben und das ganze Werk erstmals zyklisch gespielt.

Die Gitarre spielt in Henzes Musik eine bemerkenswert große Rolle.

Nicht nur im solistischen Bereich. Er setzt sie in sinfonischer Musik und auch bei seinen Musiktheaterwerken ein. Für ihn hat die Gitarre viele Grundbezüge zur Alten Musik, mit der er sich grundsätzlich stark auseinandersetzt. Das zeigt sich nicht zuletzt auch im Begriff ‚Tento‘, der aus der spanischen Renaissance-Musik stammt und ein freies Instrumentalstück meint, in dem es um Semantik und Rhetorik geht. Aber darum geht es eigentlich immer bei Henze.

Copyright Donatas Bagurskas

Semantik und Rhetorik sind ja auch gewissermaßen politische Begriffe.

Semantik und Rhetorik sind ja auch gewissermaßen politische Begriffe. Henze ist ein politischer Künstler, der sich vor allem in den 1960er Jahren als Links-Intellektueller geäußert hat. Das zeigt sich gerade auch in ‚El Cimarrón‘, einem Bühnenstück, das in Henzes kubanischer Phase entstand. Es verarbeitet die Lebensgeschichte des entlaufenen Sklaven Esteban Montejo, die von Miguel Barnet nach Tonbandaufnahmen des 104-jährigen Montejo aufgezeichnet und von Hans Magnus Enzensberger als Libretto eingerichtet wurde. Es ist ein hochpolitisches Werk, das bis heute nichts von seiner Aktualität verloren hat und zentral im Werk Henzes steht. Es muss darüber hinaus aber auch als eines der bedeutendsten Werke der Musik des 20. Jahrhunderts bezeichnet werden. ‚El Cimarrón‘ ist für einen Sänger, einen Schlagzeuger, einen Flötisten und einen Gitarristen geschrieben. In Münster werde ich es zusammen mit Paul Yoder, Robert Aitken und Mircea Ardeleanu aufführen. Das wird für uns alle sicher eine sehr schöne Erfahrung, denn wir haben das Stück in dieser Formation in den 1990er Jahren sehr oft gespielt. Wir waren übrigens auch das erste Ensemble, das dieses Werk an seinem Entstehungsort aufgeführt hat. Das war 2001 in Havanna – mehr als 30 Jahre nachdem Henze es dort schrieb.

Bei derart vielen biografischen Bezügen zu Henze lag es sicher nahe für Sie, ein Festival rund um den Komponisten zu organisieren.

Ich fand es wichtig, dass die Stadt Münster anlässlich des 85. Geburtstages von Henze einen Schwerpunkt auf sein Werk setzt. Denn immerhin kommt Henze ja aus der Region.

Henze wurde im westfälischen Gütersloh geboren.

Und Münster ist gewissermaßen die westfälische Metropole. Der Wunsch nach einem Festival für Henze war bei mir schon lange gereift, so dass ich vor zwei Jahren Fabrizio Ventura, den Generalmusikdirektor der Städtischen Bühnen Münster, konkret darauf ansprach. Ventura war begeistert, und wir stiegen sofort in die Planung ein. Für uns war schnell klar, dass wir unbedingt Henzes Oper ‚Die englische Katze‘ aufführen und seine Sinfonie Nr. 8 spielen wollten. Das war gewissermaßen der Kern des Festivals.

Wer spielt bei der Programmplanung noch eine Rolle?

Als Programm-Macher und Organisator arbeite ich vor allem mit den Städtischen Bühnen und der Gesellschaft für Neue Musik Münster e.V. zusammen, in deren Vorstand ich seit der Gründung im Jahre 1999 tätig bin. Mit der GNM organisieren wir seit Langem schon alle zwei Jahre das KlangZeit-Festival für Neue Musik – das nächste Mal im März 2012.

Das Festival Henze! ist also ein Münsteraner Gemeinschaftsprojekt?

Es ist uns in der Tat gelungen, alle wichtigen Musikinstitutionen der Stadt zu vereinen: die Städtischen Bühnen, das Sinfonieorchester Münster, die Westfälische Schule für Musik, das musikwissenschaftliche Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und die Musikhochschule, die ich ebenfalls vertrete. Die Gesellschaft für Neue Musik Münster und die Städtischen Bühnen sind die Organisatoren und Veranstalter, die anderen Institutionen sind Kooperationspartner.

Diese Form der engen Zusammenarbeit ist sicherlich auch für die Kulturszene der Stadt ungewöhnlich und bedeutsam.

Absolut, und das wird auch von der Politik und von den Medien anerkannt. Man weiß ja, dass es oftmals zwischen Institutionen wie den unseren eine große Konkurrenz gibt. Dabei ist es doch so, dass man ein solches Projekt unmöglich alleine durchführen kann. Erst wenn man die Ressourcen und Möglichkeiten der einzelnen Kultureinrichtungen zusammenbringt, kann man so etwas realisieren.

Das heißt aber auch, dass der Standard für Neue Musik in Münster sehr hoch ist.

Unsere Idee war es gerade nicht zu importieren, sondern mit den professionellen Musikern der Region zu arbeiten, die sich für das Thema interessieren. Das geht allerdings nur, wenn wirkliche Qualität da ist.

Unabhängig von Qualität funktionieren viele Festivals vor allem über den Einkauf großer Stars.

Es war schwierig genug, dieses Festival überhaupt hinzubekommen, da bei der Ruhr.2010 ja schon ein großer Henze-Schwerpunkt gesetzt wurde. Deswegen haben wir auch keine Chance gehabt, von den großen Sponsoren oder dem Land Geld zu bekommen.

Aber Unterstützung gab es schon.

Die Städtischen Bühnen und örtliche Sponsoren wie die Sparkassenstiftung und die Kulturstiftung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe geben Mittel dazu. Aber auch die Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Kulturarbeit e.V., das Kulturamt der Stadt Münster und die Sparda-Bank tragen zum Festival bei, wofür wir allen sehr dankbar sind.

Ist das Festival mit seiner regionalen Ausrichtung auch vor allem für das Publikum der Region gedacht?

Unbedingt. Natürlich ist es schön, wenn auch Menschen von woandersher kommen. Wir zeigen mit unserem Festival die ungeheure Vielseitigkeit im Schaffen Henzes. Meiner Meinung nach ist Henze mit seinem riesigen Oeuvre einer der ganz großen Komponisten der Moderne. Auch seine frühen Werke haben bislang nicht an Aktualität und Qualität verloren. Ich bin persönlich immer wieder fasziniert von seiner Musik, die man bei uns in ihren vielen Facetten erleben kann. Und es ist mir wichtig, dass dies in der Region geschieht, aus der Henze stammt.

Das Festival dauert zwei Wochen. Einzelne Konzerte werden mehrfach wiederholt. Gehen Sie davon aus, dass Sie Ihre Spielstätten jedes Mal vollbekommen?

Wir hoffen das, wissen aber natürlich auch, dass ein jedes Publikum Grenzen hat. Wir werden sicher nicht jedes Konzert ausverkaufen können. Darum geht es uns aber auch nicht in erster Linie. Es ist selbstverständlich schön, Publikumserfolg zu haben, aber uns liegt vorrangig daran, unmissverständlich zu zeigen, dass Henze es uns wert ist, ein intensives Programm rund um seine Person zu zeigen. 20 Veranstaltungen in zwei Wochen aufgeteilt auf zwölf Programmpunkte – das ist natürlich ein Risiko. Münster ist schließlich nicht Berlin.

Hatten Sie Gelegenheit, sich bezüglich der Programmauswahl mit Henze zu besprechen? Wird er bei dem Festival dabei sein?

Wir konnten unsere Planung leider nicht besprechen. Allerdings hat er signalisiert, dass er gerne dabei sein möchte, sofern er das organisieren kann.

Welche Konzerte sind die Glanzlichter im Henze!-Programm, die man sich Ihrer Meinung nach unbedingt ansehen muss?

Da gibt es viele! In jedem Fall sollte man sich das Sinfoniekonzert ansehen, das am 5. und 6. Juli im Großen Haus der Städtischen Bühnen gegeben wird: Da wird Henzes Sinfonie Nr. 8 in Bezug zu Felix Mendelssohn-Bartholdys ‚Ein Sommernachtstraum‘ gesetzt. Natürlich sind auch die Musiktheaterwerke Höhepunkte des Programms. ‚Die englische Katze‘ eröffnet das Festival am 26. Juni ebenfalls im Großen Haus. Daneben wird man Henzes ‚Pollicino‘ am 9. und 10. Juli im Kleinen Haus der Städtischen Bühnen sehen können. ‚El Cimarrón‘ wird dort am 1. Juli aufgeführt. Ausgesprochen interessant sind auch die Programme, die Werke von Henze der Musik von Bach, Mozart oder Komponisten der Renaissance gegenüberstellen. Außerdem wird man auf unserem Festival wohl zum ersten Mal alle Stücke hören können, die Henze für das Cembalo geschrieben hat.

Copyright Donatas Bagurskas

Auch wegen seiner Beschäftigung mit Alter Musik galt Henze vielen Kritikern lange Zeit als suspekt. Er bewegte sich jenseits der starren Konventionen, die in der Bundesrepublik die Musikdebatte der 1950er und 1960er Jahre bestimmten.

Henze verwendet traditionelle Formen, um daraus etwas vollkommen Neues zu schaffen. Das muss auch so sein, denn kein Komponist kann voraussetzungslos komponieren. Schulen, die meinen, erklären zu können, wie Neue Musik zu funktionieren habe, gibt es übrigens immer noch in Deutschland. Solche normativen ästhetischen Modelle haben jedoch nie funktioniert. Kunst lässt sich eben weder im positiven noch im negativen Sinne gängeln. Natürlich, die Darmstädter Schule hat auch auf mich als jungen Musiker einen großen Einfluss ausgeübt. Aber ich glaube schon lange nicht mehr an die Frage, nach welchem System, nach welcher Theorie oder nach welcher Ästhetik man schreibt. Henze ist dafür der beste Beweis.

Das Gespräch führte Miquel Cabruja.
(06/2011)

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