Susanne Øglænd über konzertante Opern im Allgemeinen und Speziellen
"Ich möchte die Phantasie des Publikums anregen"
Die lange Zeit völlig vergessene und auch heute noch kaum bekannte Oper ‚Dido und Aeneas‘ von Joseph Martin Kraus wird als konzertante Oper mit Szene am Konzerthaus aufgeführt. Regie bei dieser spannenden Entdeckung wird Susanne Øglænd führen. Bereits 2007 hat Susanne Øglænd mit Lothar Zagrosek am Konzerthaus gearbeitet; damals kam eine Oper von Gluck auf die konzertante Bühne. Auch nun wird Lothar Zagrosek die musikalische Leitung übernehmen, der Kraus’ Oper zu dem berühmten Stoff aus dem vierten Buch der ‚Aeneis‘ bereits 2006 in Stuttgart geleitet hatte. Mit klassik.com-Autor Tobias Roth sprach Susanne Øglænd über die Regiearbeit bei konzertanten Opern, Leitmetaphern und das Inszenieren kaum bekannter Werke.
Wie sehen Sie als Regisseurin das Konzept ‚konzertante Oper mit Szene‘? Wie verändert sich ihre Arbeit bei dieser sehr speziellen Art von Bühne?
Es ist eine große Frage, was eine konzertante Oper überhaupt ist, was erwartet wird, was es für Möglichkeiten gibt. Die Szenen auszuarbeiten ist in diesem Format oftmals gar nicht möglich. Aber trotzdem ist eine ästhetische Setzung wichtig und notwendig. Wenn man ein Konzert in Szene setzt, muss alles durchdacht sein, was sichtbar ist. Dabei gibt es eine große Möglichkeit, die es in der Oper so nicht gibt: nämlich durch das Konzertante die Musik mit anderen, auch größeren Bögen zu erzählen, mit gröberen Setzungen. Das ist für mich sehr spannend. Es ist ein Experiment, ein anderer Umgang mit Bildern und Bildinformationen. Es bekommt schon dadurch eine experimentelle Note, dass man plötzlich alles sieht und kein Graben mehr da ist, dass das Orchester und die Solisten gemeinsam auf der Bühne stehen.
Dabei bleiben Konstellationen zwischen den Sängern ja weiterhin möglich. Bei Rock-Konzerten beispielsweise ist es ganz üblich, in dieser Weise theatralisch zu arbeiten, durch den Einsatz von Licht, Video, Kostümierung. Ich weiß nicht, wie oft sich dort ein Sänger während eines Konzertes umzieht, um seiner Musik das richtige Bild zu geben. Dieser mediale Umgang mit einem Konzert führt dazu, dass man ganz anders über Licht, Video und Kostüm nachdenkt – gerade wenn man eine Geschichte zu erzählen hat, was man bei einer konzertanten Oper immer zu tun hat. Die Geschichte darf nie wegfallen, das ist der Unterschied zum normalen Konzert. Wenn man eine Symphonie von Mahler hört, erwartet man keine Geschichte in diesem Sinne. Diese Spannung interessiert mich sehr am Format der konzertanten Oper, weil man es jedes Mal wieder für sich erfinden muss. Was man als Regisseur für dieses Format finden muss, ist eine große Klammer, eine große Metapher für den ganzen Abend. Welche Bilder will man bringen, was ist wichtig für die Geschichte? Die Situation zwingt hier den Regisseur, sich einzuschränken, auch ganz pragmatisch. Das kann eine tolle Möglichkeit sein, im Vergleich zum Theater, wo man sich gut in Details verlieren kann. Vor allem durch die sehr knappe Umsetzungszeit hier am Haus muss man sehr genau wissen, was der Entwurf ist – der kann dann hinhauen oder nicht. (lacht)
Würden Sie sagen, dass die Beschränkung in der Bildsprache vor allem aus der geringen Anzahl der Bilder kommt?
Ja, man muss versuchen, das Spiel ökonomisch zu erfinden; wie bei einer Partie Schach, in der alle Konstellationen so klar gebaut sind, dass das Gegenüber sie selbst weiterdeuten kann. Ich möchte die Phantasie des Zuschauers anregen, indem ich große Skizzen baue, einzelne große Tableaus. Im Bezug auf Kraus’ ‚Dido und Aeneas‘, die doch vom Umfang her relativ monströs ist, haben sich Lothar Zagrosek und ich recht früh zusammengesetzt, um eine Strichfassung zu erstellen, die eine stärkere Konzentration ermöglicht. Die Fassung, die wir hier in Berlin spielen werden, ist so noch nie gespielt worden. Sie basiert auf den Strichen, die für die Inszenierung in Stuttgart 2006 gemacht wurden, und ich habe das Stück nochmals um etwa eine Stunde gekürzt. Ich wollte den zentralen Erzählstrang betonen, damit der Konzertzuschauer ihn verfolgen kann, denn es gibt in der Oper unglaublich viele Nebenhandlungen. Die haben wir stark gekürzt oder gestrichen, um das Augenmerk ganz auf Dido und Aeneas und das, was sie zum Scheitern bringt, zu lenken. Ich wollte Blöcke dieser sehr dynamischen Musik wirklich radikal aneinander setzen, um das Spannungsniveau hoch zu halten. Vor allem sehr lange Rezitative, die man szenisch wunderbar umsetzen könnte, wirken nicht, wenn sie vom Blatt gesungen werden. Und dass die Sänger Noten vor sich haben werden, ist bei einem so seltenen Stück, geradezu unumgänglich. Wir haben also versucht, die Information, die geliefert wird, so dicht zu halten, dass man als Zuschauer auch bei einer so langen Oper gar nicht dazu kommt, sich zu langweilen…
Ist die Musik und ihre Produktion auch in die Bildsprache eingebunden?
Die Sänger werden beispielsweise auch Szenen haben, wo sie auswendig singen, um die Ebene des Konzertes etwas zu verlassen und einen Zustand darstellen zu können. Die Figuren bekommen so bildlich die Möglichkeit, sich gegen das Schicksal, gegen die Noten, die die Götter uns gegeben haben, zu wehren. Theatralisch gesehen, hat ein Konzert ja immer etwas von einer Leseprobe: Wir sitzen mit dem Text da und der Text erzählt uns die Geschichte. Gerade in dieser Oper aber kocht es emotional teilweise so hoch, dass sich die Figuren weigern, diesem Schicksal, das ihnen vorgeschrieben ist, zu folgen. Die Ämter, die den Figuren aufgetragen und zugemutet werden, sind ja teilweise gar nicht machbar. Aeneas muss zum Beispiel ein großer Held sein, Rom gründen, und die schönste Liebesgeschichte aller Zeiten leben. Natürlich ergeben sie sich schließlich ihrem Schicksal, aber es ist ein großer Kampf. Die Erregung ist da zwar innerhalb der Geschichte, aber wir haben die Möglichkeit, einige Szenen frei zu gestalten. Denn eines ist ein Lesen aus Not und als Gedächtnisstütze. Etwas anderes ist inszeniertes Lesen.
Welche Wertigkeit hat das Orchester auf der Bühne als Bildelement? Lässt sich das fixieren?
Ich würde sagen, dass in einer Oper das Orchester immer ein extremer Teil der Protagonisten selbst ist. Wir haben als große Metapher für das Stück ein großes schwarzes Segel gewählt, ausgehend von der Überfahrt, mit der das Stück beginnt. Gleichzeitig dient das Segel auch als Projektionsfläche für ein Video, das die ganze Zeit über laufen und Assoziationen liefern wird. Das Schiff ist so zugleich die Bühne, die alle Insassen verbindet, und Zeichenträger. Alle gemeinsam erzählen den Mythos. Das Stück ist ja voll von Naturkatastrophen: am Anfang der Sturm, dann ein Erdbeben, noch ein Sturm, schließlich das Feuer, das am Ende Dido verschlingt. Das ist sehr illustrativ und großartig von Kraus komponiert. Der Sturm und die Naturgewalten sind aber gleichzeitig aus den Protagonisten herauszulesen, es ist ihr Sturm, ihr Feuer. In diesem Sinne werden das Orchester und die Protagonisten zu einem homogenen Körper, durch den aber im Bild eine Spaltung geht: der Körper, der bebt und abstrakt in den Bewegungen des Orchesters sichtbar wird; auf der anderen Seite die Stimme. Natürlich ist die Bühne die meiste Zeit über zweigeteilt: rechts die Sänger, links das Orchester. Aber es gibt auch Szenen, wo die Sänger im Orchester stehen und gleichsam einen Rückzugsraum in ihrem eigenen Inneren haben. Das Orchester ist also Teil des Bühnenbildes, aber auch der Zustände der Protagonisten und der Maschinerie des Mythos.
Sie haben 2009 auch Regie bei der Uraufführung von ‚Aura‘ von José María Sánchez-Verdú geführt. Wie verändert sich ihre Herangehensweise, wenn es, wie dort oder wie jetzt bei Kraus, keine Referenz-Inszenierung gibt? Wo sind die besonderen Chancen?
Ich versuche immer davon auszugehen, was mir die Partitur erzählt und was die Geschichte und Handlung ist – dazu kommt natürlich immer meine Phantasie. Diese Phantasie ist natürlich anders, wenn man mit dem Stück, das man inszenieren soll, vertraut ist. Bei einer ‚Zauberflöte‘ hat jeder schon Bilder im Kopf. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das Publikum, gerade das Opernpublikum viel offener ist, wenn es um eine Uraufführung oder um ein selten gespieltes Stück geht. An unbekannte Werke heranzugehen, ist genau deshalb so großartig, weil das Publikum nicht vorbelastet ist und dankbar für alle Informationen, die von der Bühne kommen. Wenn man sich ‚Tosca‘ ansieht und zu ‚Tosca‘ ein Verhältnis hat, wird die Bühne mit viel Kraft viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, wenn das, was man sieht, vielleicht auf den ersten Blick wenig mit dem zu tun hat, was man bei sich selbst gedacht, erwartet hat. Das Problem ist, dass man als Regisseur natürlich die Bilder nicht kennt, die das Publikum hat und auf die man sich einlassen müsste. Die Bereitschaft zu folgen ist meiner Erfahrung nach immer da, aber bei Uraufführungen oder unbekannten Stück ist der Prozess viel reiner und noch nicht ‚versaut‘ durch andere Inszenierungen oder Bilder (lacht). Hier bei ‚Dido und Aeneas‘ bringt natürlich auch der Mythos eine gewisse Erwartungshaltung hervor – und wir machen es nicht mit Sandalen und Laken. Wir gehen schon von einer modernen Ästhetik aus. Natürlich gibt es auch hier Konstellationen, die man aus anderen Opern kennt oder Musik, die Assoziationen weckt; es gibt Rachearien und Fluchszenen, einmal könnte man meinen, dass der Komtur aus ‚Don Giovanni‘ auftritt, und so weiter. Auch das sind Konstellationen, die man in einer Art und Weise bedient. Aber ich erlebe es selbst sehr gern, an etwas heranzugehen, wenn ich selbst noch nicht mit Bildern vorbelastet bin. Gerade hier bei Kraus erzählt die Musik sehr viel, und ich möchte nur bestimmte Skizzen geben, die richtigen Hinweise, um auf die Musik aufmerksam zu machen. Ich möchte einen Leitfaden geben, der wiederum die Phantasie des Publikums anregen kann.
Das Gespräch führte Tobias Roth.
(03/2011)
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