Instinktmusiker Maximilian Hornung über das Verhältnis zwischen Kopf und Bauch in der Musik
"Man muss als Musiker das, was man spielt, auch leben"
Maximilian Hornung, 1986 in Augsburg geboren, gehört zu den jungen Cellisten unserer Zeit. Er hat zunächst bei Eldar Issakadze, dann in Zürich bei Thomas Grossenbacher und schließlich in Berlin bei David Geringas studiert. 2005 gewann er den Deutschen Musikwettbewerb und legte als Preisträger in der Reihe "Primavera" beim Label GENUIN seine Debüt-CD mit Werken von Saint-Saens, Beethoven, Janácek und Brahms vor. In dieser Saison tritt er seine Stelle als 1. Solocellist des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks an, im Januar erschien seine neue CD mit Musik von Strawinsky und Rachmaninow. klassik.com Autor Christian Gohlke erzählte Maximilan Hornung interessante Einzelheiten über das Aufwachsen in einer Musikerfamilie, Lästigkeiten mit der Schule und die Frage, wie aus einem Musiker ein Künstler wird.
Bevor wir uns ein wenig über Ihre neue Einspielung unterhalten, verraten Sie uns doch, wie Sie überhaupt zur Musik gekommen sind.
Ich bin in diese ganze Musikwelt hineingeboren. Mein Vater ist Geiger, Konzertmeister in Augsburg, mein Großvater Kirchenmusiker in Dillingen. Es war klar, dass ich mit Musik konfrontiert werde und ein Instrument lernte. So habe ich einiges ausprobiert, habe Geige gespielt und natürlich auch Klavier. Ein Schlüsselerlebnis hatte ich dann, als ich acht Jahre alt war – und zwar in einem Konzert meines Vaters. Dort saß ich in der ersten Reihe direkt gegenüber dem Cellisten – und von diesem Moment an wollte ich Cello lernen! Mein erster Lehrer wurde dann auch dieser Cellist.
Was fasziniert Sie gerade am Cello?
Was mich damals so sehr fasziniert hat, kann ich gar nicht sagen. Das war einfach ein unglaublich intensives Erlebnis. Der Klang – das sagen ja immer alle Cellisten, und es klingt immer furchtbar esoterisch –, aber der Klang eines Cellos kommt tatsächlich der menschlichen Stimme sehr nahe. Außerdem bin ich vom Repertoire für dieses Instrument begeistert. Vielleicht kann man das Bratschen-Repertoire in einem Leben durchspielen, beim Cello ist das sicher nicht möglich, da gibt es unendlich viele Möglichkeiten. Aus jeder Epoche gibt es Meisterwerke für dieses Instrument. Das macht Cellospielen so vielseitig und abwechslungsreich.
Sie haben mit acht Jahren begonnen, Cello zu spielen. Irgendwann reifte dann der Entschluss, sich ganz der Musik zu widmen. Wie kam es dazu?
Ich bin mit 16 vom Gymnasium abgegangen, weil ich es nicht mehr einsah, mich mit Sachen zu beschäftigen, die ich mein Leben lang – scheinbar – nicht mehr brauchen würde. Das meiste habe ich tatsächlich seither nicht mehr gebraucht…
…zum Beispiel?
Latein. Das war so ein kritischer Punkt in der Schule. (lacht). Ich habe mich in der 10. Klasse intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, ob ich diesen Weg gehen soll oder nicht und habe mich genau informiert, was für Möglichkeiten es gibt. Dann hab ich mir die Schule noch ein paar Wochen lang angeschaut, und es kam mir immer unsinniger vor. Irgendwann hab ich mir dann gesagt: So, ich riskiere das jetzt einfach, egal, was passiert. Ein entscheidender Grund war für mich auch, dass ich diese Zeit zwischen 16 und 20 nutzen wollte, weil man in ihr musikalisch und menschlich am meisten lernt, sehr vieles aufnehmen kann und noch ganz frisch ist.
Und Ihre Eltern? Haben die Ihre Entscheidung mitgetragen?
Ja, natürlich. Die waren froh, dass endlich dieser Stress vorbei war, den sie während meiner Schulzeit dauernd mit mir hatten (lacht). Außerdem hatte ich damals schon Konzertanfragen, es gab Interesse an mir, und ich habe gesehen, dass ich vielleicht Erfolg haben könnte. Das war natürlich auch ein Grund, warum meine Eltern sagten: Versuch es! Und dann habe ich wirklich alles dran gesetzt. In den ersten beiden Jahren meines Studiums hab ich alles gemacht, was man machen kann: Repertoire ‚gefressen’, sehr viel geübt, jeden Wettbewerb mitgemacht, mich für jedes Stipendium beworben, einfach alles mitgenommen. Dadurch hab ich viel gelernt und viele Menschen getroffen. Viele Entscheidungen erwiesen sich im Nachhinein als richtig, und in vielen Situationen hatte ich einfach Glück – ein Punkt, der gerade in diesem Geschäft ganz entscheidend ist.
Wird man als Künstler geboren? Und was ist lernbar?
(denkt nach) Da müssen Sie einen Genetiker fragen (lacht). Ich denke, das Umfeld, in das man hineinwächst, spielt eine sehr große Rolle. Wie man aufwächst, welche Art zu leben man vermittelt bekommt, dadurch wird doch, denke ich, der Charakter geformt, der dann dafür entscheidend ist, was und wie man lernt.
Das Umfeld kann vielleicht nahe legen, dass sich ein Mensch für Musik interessiert und vielleicht sogar Musiker wird. – Aber was macht aus einem Musiker einen Künstler?
Das ist natürlich der entscheidende Unterschied. Man kann durch Fleiß sehr viel erreichen. Aber bei einem Künstler kommt etwas hinzu, das schwer beschreibbar ist. Sehr viel wichtiger als technische Brillanz ist es doch, etwas zu vermitteln und die Leute im Konzert dazu zu bringen, gebannt zuzuhören. Ich weiß nicht, inwieweit man die Fähigkeit, die Leute mitzureißen und zu bewegen, erlernen kann.
Es heißt, Sie seien ein Instinktmusiker. Stimmt das?
Absolut. Ich bin eher ein Bauchmensch, der einen intuitiven Zugang zur Musik hat. Natürlich überlege ich mir sehr genau, wie ich ein Stück interpretieren möchte, aber im Konzert schalte ich ab. Da zählt für mich nur noch, Musik zu machen. Es ist schon wichtig, sich mit Musik theoretisch zu befassen, aber man darf den Punkt nicht verpassen, das alles auch wieder zu vergessen. Wenn man alle diese Erkenntnisse aus Musiktheorie und Musikwissenschaft in eine Interpretation mit einfließen lassen möchte, dann ist das Ergebnis oft überhaupt nicht packend und interessant.
Haben Sie das Gefühl, dass die Tiefe Ihrer Interpretationen mit steigendem Alter zunimmt?
Nein. Man entwickelt, verändert sich als Mensch natürlich immer und nimmt die Welt anders wahr, und dadurch verändert sich auch die Art zu musizieren. Wenn man als Zehnjähriger etwas spielt, ist man viel unbekümmerter, natürlicher und spontaner als später. Später musiziert man bewusster, muss dann aber einen Weg finden, das im Konzert auch wieder abzustellen; es wird sonst zu analytisch und verkopft. Als Musiker muss man das, was man spielt, ja auch leben und in jedem Moment des Musizierens das richtige Gefühl selber spüren, sonst kann man es natürlich nicht ausdrücken.
Das lässt Ihren Beruf zu etwas sehr Emotionalem werden. Wie findet man vom Konzert in den Alltag zurück? Was machen Sie zum Beispiel nach einem Auftritt?
Natürlich kann das sehr emotional sein. So ein Konzert ist manchmal wie ein Drogenrausch. Wobei ich nicht weiß, wie ein Drogenrausch ist – aber so stelle ich ihn mir vor. (lacht) Nach einem solchen Erlebnis bin ich meistens so aufgewühlt, dass ich nicht gleich nach Hause kann, das geht gar nicht.
Manche Künstler leiden ja darunter, ganz ihren Beruf zu leben und darüber das eigentliche, wirkliche Leben zu verpassen…
Wenn man Angst hat, etwas zu verpassen, dann verpasst man auf jeden Fall etwas! Man verpasst sowieso immer etwas. Die Welt ist so vielschichtig, dass man nie von allem alles haben kann.
Sie sind Solocellist beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Das Orchester zählt laut einer im Dezember 2008 veranstalteten Umfrage eines englischen Fachmagazins angeblich zu den zehn besten Orchestern der Welt…
…ja, Platz sechs! Aber: Vergessen Sie dieses Ranking - so etwas kann man nicht wirklich objektiv beurteilen. Das sind alles großartige Orchester der Weltspitze, und jedes dieser Orchester hat eigene Qualitäten, gibt gute und weniger gute Konzerte und jedes dieser Orchester hat einen anderen, spezifischen Klang.
Können Sie den Klang Ihres Symphonieorchesters charakterisieren?
Ich denke schon, dass unser Orchester einen typisch deutschen Klang hat, wenn man das mit diesem fragwürdigen Begriff überhaupt beschreiben kann. Also sehr voll, sehr tief, sehr weich und rund, aber dennoch sehr expressiv und strahlend. Es klingt anders als zum Beispiel amerikanische Orchester, deren Klang mich manchmal an einen frisch desinfizierten Operationstisch denken lässt. Das ist nicht böse gemeint. Ich finde amerikanische Orchester toll, sie haben andere Klangkriterien, alles ist perfekt zusammen, alles ist gut strukturiert, sehr durchsichtig, aber wohl doch nicht so edel, rund und voll wie hier.
Als noch ganz junger Musiker spielen Sie meistens vor einem Publikum, das hauptsächlich aus älteren Konzertbesuchern besteht. Warum gehen so wenige junge Leute ins Konzert?
Ich denke, das ist eine Frage der Erziehung. Oft wird die klassische Musik von der Jugend einfach ignoriert. Da müssten die Eltern – wenn ich in meinem jungen Alter einmal so weise reden darf – mehr Verantwortung übernehmen und ihre Kinder mit dieser Musik konfrontieren und ihnen beibringen, Qualität zu schätzen und die Arbeit anderer Leute zu respektieren. Mit Kindern sollte man ab und zu in Konzerte und in Opern gehen. Ein natürlicher Bestandteil der Allgemeinbildung und des Lebens sollte das sein. Genauso wie man ins Kino geht, sollte man auch ins Konzert gehen.
Lassen Sie uns noch auf Ihre neue CD zu sprechen kommen. Mit dem Pianisten Gerhard Vielhaber haben Sie bei dem Label ClassicClips Rachmaninows Cello-Sonate, seine ‚Vocalise’ sowie Strawinskys ‚Suite italienne’ und das ‚Lied eines russischen Mädchens’ eingespielt. War das Ihr Wunschprogramm?
Ja, absolut. Wir haben zwar viele verschiedene Möglichkeiten in Erwägung gezogen, aber letztlich kehrten wir doch zu meinem Ausgangswunsch zurück.
Auf der ersten CD Beethoven, Brahms, Saint-Saens und Janácek, jetzt Rachmaninow und Strawinsky. Liegt Ihnen das romantische und spätromantische Repertoire besonders am Herzen?
Spätromantische Musik ist etwas sehr Emotionales und Leidenschaftliches, etwas sehr Deutliches. Da gibt es keine versteckten Gefühle – es ist alles klar und sehr offensiv. In dieser Musik ist sehr viel Leidenschaft. Das mag ich!
Das Gespräch führte Christian Gohlke.
(03/2010)
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