Am 26. Juli ging der ‚Encuentro de Música y Academia de Santander’ 2011 mit einem festlichen Abschlusskonzert zu Ende.
Santander - Hauptstadt der jungen Musik
Erneut waren jugendliche Musiker aus ganz Europa nach Nordspanien gekommen, um einen Monat lang mit großen Meistern ihres Faches zusammen zu leben, zu arbeiten und vor allem Kammermusik zu machen. Bei der 11. Ausgabe des Treffens lag der Schwerpunkt musikalisch auf bedeutenden Werken des 20. Jahrhunderts sowie Kompositionen von Liszt und Mahler. Miquel Cabruja reiste nach Santander und sprach für klassik.com mit Organisatoren, Lehrern und Schülern.
Am Golf von Biskaya
Santander kennt man in Deutschland vor allem wegen der gleichnamigen Bank. Dabei hat die nordspanische Stadt am Golf von Biskaya viel mehr zu bieten. Santander liegt malerisch zwischen Küste und grünen Hügeln, von denen man aus atemberaubende Aussichten auf Stadt und Meer genießen kann. Darüber hinaus verfügt die kantabrische Hauptstadt über ein traumhaftes Umland mit endlosen Stränden, rauen Küsten und uralten Ortschaften, die noch immer stolz darauf sind, dass einst die Rückeroberung der iberischen Halbinsel von dort ihren Ausgang nahm. An der Uferpromenade Santanders ragt der monumentale ‚Palacio de Festivales de Cantabria’ auf. Hier finden musikalische Großereignisse wie der Internationale Klavierwettbewerb und das ‚Festival Internacional’ statt, die Santander vor allem im Sommer zum kulturellen Zentrum der Region machen.
Engagement für die Musik in Spanien
Seit 2001 hat sich ein weiteres Ereignis im Kalender der Stadt etabliert. Der ‚Encuentro de Música y Academia de Santander’ führt jeden Sommer vielversprechende Musikstudenten aus ganz Europa zusammen, um einen Monat lang intensiv mit renommierten Lehrern zusammenzuarbeiten, in verschiedensten Formationen zu musizieren und mit über 50 Konzerten ihre Musik auch in die Region Kantabrien zu tragen. Initiiert wurde dieses Konzept, das sich auf Kammermusik konzentriert, von Paloma O’Shea, die schon den Klavierwettbewerb ihrer Heimatstadt sowie eines der wichtigsten Musikinstitute des Landes, die ‚Escuela Superior de Música Reina Sofía’ in Madrid, ins Leben gerufen hat. Außerdem ist sie Vorsitzende der Fundación Albéniz.
„Die Fundación ist gewissermaßen das Dach für den Encuentro sowie die Escuela Superior de Música Reina Sofía und das ‚Instituto Internacional de Música de Cámara de Madrid’“, erläutert O’Shea am Tag des Abschlusskonzertes im Gespräch. „Wir geben die organisatorischen Impulse für den Encuentro und arbeiten eng mit vielen Hochschulen in Europa zusammen.“ Paloma O’Sheas Ziel ist es, die Voraussetzungen für klassische Musik in Spanien zu verbessern: „Die Situation in Spanien vor noch 30 Jahren kann man mit der heutigen nicht vergleichen. Damals gab es gerade einmal drei Orchester in unserem Land, jetzt sind es über 30. Ich denke, dass die ‚Escuela Reina Sofía’ mit ihren Lehrkräften einen wichtigen Beitrag dazu geleistet hat, das musikalische Niveau in Spanien anzuheben. Und dass wir erfolgreich sind, sieht man nicht zuletzt daran, dass andere Hochschulen inzwischen nach unserem individualisierten System arbeiten.“ Für O’Shea hat auch der Encuentro eine Schlüsselposition beim Ausbau der spanischen Musiklandschaft: „Früher war die Musik in Spanien hinter den anderen Künsten auf den letzten Platz verbannt. Im Vergleich zu Europa waren wir weit abgeschlagen. Wir können uns zwar immer noch nicht mit Ländern wie Deutschland messen, werden aber – wenn wir weiterhin so erfolgreich sind – bald zu den führenden Staaten auf diesem Gebiet gehören.“
„Man wird doch wohl träumen dürfen“
Mit ihrer Idee gewann Paloma O’Shea prominente Unterstützer aus Politik und Wirtschaft wie die kantabrische Regionalregierung und einen multinationalen Stromkonzern. Für ihr jahrzehntelanges Engagement wurde O’Shea außerdem der Titel einer Marquesa vom spanischen König Juan Carlos I. verliehen. Darauf angesprochen gibt sie sich bescheiden: „Ich bin sehr dankbar für diese Auszeichnung und freue mich darüber, dass Seine Majestät mit diesem Titel vor allem seine Anerkennung für die Überzeugung zum Ausdruck gebracht hat, dass die spanische Gesellschaft Musik und eine gute Ausbildung braucht.“ Doch O’Shea ist weit davon entfernt, sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen. Santander soll die Hauptstadt der ‚jungen Musik‘ in Europa werden. In naher Zukunft will O’Shea nicht nur die besten Musiker, sondern auch die vielversprechendsten jungen Orchester in ihre Stadt holen. Sie weiß, dass ein solches Vorhaben angesichts der augenblicklichen Wirtschaftslage nicht einfach zu realisieren ist. „Aber man wird doch wohl träumen dürfen“, bemerkt sie mit einem feinen Lächeln, das keinen Zweifel daran lässt, dass sie weiß, wie man Träume realisieren kann.
Konzentriertes Publikum
Der Encuentro soll junge Musiker auf ihr späteres Leben als Profi vorbereiten, in dem es wenig Künstlerromantik, dafür aber Jetlag, harte Probenarbeit und viele Konzerte geben wird. Dessen sind sich die jungen Musiker bewusst, die in diesem Jahr nach Nordspanien gekommen sind. Albert Skuratov (22) ist Russe, studiert bei Zakhar Bron und ist schon zum dritten Mal in Santander. Der junge Violinist schätzt die besondere Arbeitsatmosphäre des Encuentro: „Hier trifft man hervorragende Musiker von den besten Hochschulen Europas. Das ist anders als im eigenen Institut, wo man jeden kennt und seine Art zu spielen einschätzen kann. Wir müssen hier wahnsinnig viel Repertoire in wenig Zeit erarbeiten. Genau darauf kommt es aber später im Berufsleben an. Der berühmte Geiger Vadim Repin, auch ein Schüler meines Lehrers, spielt in einem Monat bis zu 12 Konzerte und bereist die ganze Welt. Die Besten von uns erwartet genau das.“ Skuratov schätzt an Santander auch das Publikum, das seiner Meinung nach viel konzentrierter und aufmerksamer ist als in der spanischen Hauptstadt, wo der Geiger zuhause ist und die Escuela Reina Sofía besucht. „In Madrid ist es durchaus üblich, dass bei einem Konzert schon nach dem ersten Satz einer Sinfonie geklatscht wird“, stellt er fest. „In Santander passiert das praktisch nie!“
Vier Wochen harte Arbeit
Der Violinist ist davon begeistert, dass die Schüler in Santander auch mit ihren Lehrern zusammen musizieren dürfen. „Das Konzert mit Zakhar Bron ist für mich der absolute Höhepunkt gewesen“, erzählt Skuratov mit leuchtenden Augen. Wir haben zusammen die Sonate für zwei Violinen op. 56 von Prokofjew gespielt. Wenn ich darüber nachdenke, dass Bron dieses Stück zusammen mit David Oistrach uraufgeführt hat, dann ist das eine Erinnerung, die mich sicher mein ganzes Leben lang begleiten wird.“
Anders als Skuratov ist die russische Pianistin Daria Goremykina (22), die in Berlin studiert, zum ersten Mal in Santander: „Ich ging ursprünglich davon aus, dass es sich beim Encuentro um normale Meisterkurse für Kammermusik handelt und war vollkommen überwältigt von der Atmosphäre, der großen Anzahl an Konzerten, den wunderbaren Lehrern. Ich habe hier intensiv mit Galina Eguiazarova zusammengearbeitet, die in Moskau bei dem weltberühmten Alexander Goldenweiser studiert hat. Auch von Claudio Martínez Mehner habe ich wundervolle Anregungen erhalten. Diese großartigen Musiker machen einem Vorschläge für das Stück, das man gerade spielt. Doch ihre Ideen sind so universell, dass sie meinen Zugang zur Musik grundsätzlich verändert haben.“ Für viele Schüler sind die vier Wochen voll harter Arbeit, Konkurrenz und Gemeinschaft wie im Flug vergangen. Auch bei den Proben zum Abschlusskonzert ist die Stimmung von aufmerksamer Spannung geprägt. Zwar merkt man den jungen Erwachsenen die Strapazen der vergangenen Tage an. Sobald es ernst wird sind sie jedoch voll dabei, auch wenn es am Abend zuvor feuchtfröhlich zugegangen sein sollte – schließlich fällt das Abschlusskonzert zusammen mit den Feierlichkeiten zum Namenstag des Stadtpatrons Santiago und gibt somit Gelegenheit zu Ausflügen in das kantabrische Nachtleben.
Zum 100. Todestag von Gustav Mahler
Péter Csaba ist seit 2002 der künstlerischer Leiter des Encuentro und lieferte ursprünglich mit seinem eigenen, kleinen ‚Festival Euro Musica Vitae’ in Schweden die Idee für das musikalische Treffen in Santander. Nach der Probe für das Abschlusskonzert zeigt er sich begeistert von der Disziplin der jungen Musiker, die auch nach einer durchfeierten Nacht hoch konzentriert im großen Konzertsaal des Palacio sitzen: „Wir müssen den Ansprüchen und Bedürfnissen unserer Schüler gerecht werden“, erläutert er. „So versuchen wir, für alle Instrumente das passende Repertoire zu finden. Allerdings muss das Programm jedes Jahr aufs Neue auch für unser Publikum interessant sein. 2011 haben wir deshalb zum 100. Todestag von Gustav Mahler auf dessen Werk Bezug genommen. Das war allerdings nicht so einfach, denn Mahler hat selbst nur sehr wenig Kammermusik geschrieben. Darüber hinaus haben wir verstärkt Stücke zum Liszt-Jubiläum und weniger bekannte, aber wichtige Werke des 20. Jahrhunderts mit ins Programm genommen.“
2011 sind Schüler aus über 25 Ländern nach Santander gereist. Ausgesucht wurden sie in den Musikschulen von London, Paris, Berlin, Prag, Budapest, Helsinki und Madrid. Die Meisterklassen mit namhaften Lehrern wie Zakhar Bron und Silvia Marcovici (Violine), Wolfram Christ (Bratsche), Ivan Monighetti (Cello), Felix Renggli (Flöte), Hansjörg Schellenberger (Oboe), Klaus Thunemann (Fagott) und Radovan Vlatković (Horn) sowie Galina Eguiazarova und Claudio Martínez Mehner (Klavier) haben auch in diesem Jahr im ‚Jesús de Monasterio’-Konservatorium mit Blick auf die Santander stattgefunden. Für Csaba bedeutet die Organisation des Encuentro einen großen organisatorischen Aufwand. Schon weit im Voraus beginnt die Auswahl der vielversprechendsten Talente. Und das heißt für ihn vor allem: Reisen. „Ich bin ständig unterwegs und fahre quer durch Europa, um mir junge Künstler anzuhören. Das kostet mich sehr viel Zeit und Kraft“, sagt Csaba, der selbst in Lyon lebt. „Ich könnte natürlich jemanden hinschicken, der sich all die jungen Talente anhört, aber das wäre einfach nicht dasselbe.“
Begeisterung zum Schluss
Zum Programm des Schlusskonzertes sagt Csaba: „Wir interpretieren Gustav Mahlers Streichorchester-Fassung von Schuberts Quartett ‚Der Tod und das Mädchen’. Für einige Puristen ist das natürlich nichts. Ich finde allerdings, dass es eine großartige Bearbeitung ist, die für unsere Jugendlichen eine ausgesprochen lohnende Aufgabe darstellt. Wir haben ja hier nicht ein halbes Jahr Zeit wie ein großes Orchester, in dem die Musiker alle aufeinander eingestellt sind. Doch umso mehr können unsere jungen Instrumentalisten lernen. Sogar der beste Solist wird ein besserer Musiker, wenn er weiß, wie man mit einem Ensemble zusammenspielt und interagiert. Es geht um die Frage, wie man einen musikalischen Dialog aufbaut und zum tieferen Sinn der Musik vordringt. Es geht um wirkliche Schöpfung.“
Csabas Begeisterung für die Sache überträgt sich auf seine Musiker und scheint auch das Publikum anzustecken: Trotz ausgesprochen schlechten Wetters ist der ‚Palacio de Festivales’ zum Abschlusskonzert am 26. Juli hervorragend besucht. Zusammen mit der Dozentin für Violine Silvia Marcovici machen Fuyu Iwaki aus Japan (Violine) und die Deutsche Esra Kerber (Viola) den Auftakt. Im anspruchsvollen Terzett op. 74 für zwei Geigen und Bratsche von Antonín Dvorák lassen sie Formgefühl und Biss vernehmen. Prachtvoll gelingen auch Mussorgskys ‚Bilder einer Ausstellung’ in einem Arrangement für fünf Bläser und Klavier von David Walter. Zusammen mit Professor Renggli zeigen die Studenten sowohl Klangkultur als auch erzählerische Vorstellungskraft und musikalischen Humor. Besonders nachhaltigen Eindruck macht der leuchtende Ton des jungen ungarischen Hornisten Péter Fekete.
Der Höhepunkt des Konzerts ist jedoch Mahlers Schubert-Bearbeitung. Hier können die Schüler zeigen, was sie in vier Wochen Ensemblearbeit erreicht haben. Glutvoll und hochromantisch lässt sich Csaba auf den Dialog zwischen den beiden Komponisten Schubert und Mahler ein und fordert von den jungen Streichern ein Maximum an Präzision und Empfindsamkeit. Beim tosenden Schlussapplaus sind alle Teilnehmer glücklich aber auch sichtlich erschöpft. Am nächsten Morgen geht es für die meisten schon zurück in ihren Ausbildungsalltag. Viele von ihnen hoffen, dass sie im nächsten Jahr wieder in Santander mit dabei sein dürfen.
Das Gespräch führte Miquel Cabruja.
(08/2011)
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