Den jungen Geiger Linus Roth verbindet eine langjährige Freundschaft mit Schumann - und natürlich seiner Stradivari.
"Kunst kann man nicht messen"
Der deutsche Geiger Linus Roth gilt nicht nur hierzulande als großes künstlerisches Talent, sondern konnte auch auf dem internationalen Parkett Erfolge verbuchen. Ausgezeichnet mit diversen Preisen, spielt er seit einem Jahrzehnt eine über 300 Jahre alte Stradivari. Dass er dieses großartigen Instruments zweifellos würdig ist, zeigen nicht nur seine erste CD, die mit dem ECHO Klassik ausgezeichnet wurde, sondern auch die Lorbeeren, die ihm Anne Sophie Mutter zuteil werden ließ. klassik.com Autor Tobias Pfleger unterhielt sich mit dem jungen Geiger und erfuhr einiges über Roths Leidenschaften - Stradivari, Schumann, Sport…
Sie kommen aus Oberschwaben und studierten dann sowohl in Freiburg als auch in Lübeck: Was ist Ihre Lieblingsgegend in Deutschland?
München
Wieso gerade München?
Das hat viele Gründe. Hier ist kulturell sehr viel los. Ich mag einerseits dieses Dörfliche des Münchner Zentrums, andererseits bietet es alle Vorzüge einer Großstadt. Diese Mischung gefällt mir. Berlin wäre mir z. B. schon zu großstädtisch, zu weitflächig. München liegt außerdem auch geographisch sehr gut, sehr nah an Italien und verfügt über einen guten Flughafen. Ja, es ist sehr schön… Viel Grün; man kann gut joggen gehen.
Sind Sie ein sportlicher Typ?
Ja, schon. Ich mache viel Sport.
Braucht man das als Ausgleich?
Ich auf jeden Fall, ja. So nach zwei, drei Tagen ohne Joggen fehlt mir was. Ein bisschen Sport muss schon sein.
Und dafür bleibt auch noch genügend Zeit?
Ja. Als freischaffender Künstler kann man sich ja seine Zeit sehr gut selbst einteilen. Ich nehme mir die Zeit für das, was mir wichtig ist. Andererseits ist meine sportliche Betätigung nicht exzessiv.
Gerade unter Musikern findet man einige Leistungssportler, ja sogar Extremsportler. Sehen Sie da einen Zusammenhang?
Vielleicht machen Musiker deswegen gerne Sport, weil sie etwas suchen, das man messen kann. Denn die Kunst kann man ja nicht messen. Man kann zwar sagen: „Ich finde das gut“ oder „ich finde das nicht gut“, „das klingt schön“, aber es gibt keine Messlatte und keine Stoppuhr. Vielleicht hat das damit etwas zu tun.
Wie kamen Sie eigentlich zur Musik? Gibt es da elterliche Vorprägungen?
Ja, schon irgendwie. Denn mein Vater ist Organist und Chorleiter am Münster Zwiefalten und meine Mutter ist Cellolehrerin. Irgendwann brachte sie mal eine kleine Geige mit nach Hause. So hat das angefangen, also natürlich eher als Hobby, aber doch ernsthaft betrieben. Nicht nach dem Motto: „Wenn du mal Lust hast, Geige zu spielen, kannst Du das machen“. Sondern schon: „Willst du das machen? – Ja. – Dann solltest Du auch jeden Tag dreißig Minuten üben.“ Und das habe ich auch ganz gut durchgehalten.
Und da gab es keinen Durchhänger in der Jugendzeit? Oder war schon relativ früh klar, dass es auf eine professionelle Sache zusteuern würde?
Etwa mit zehn, elf Jahren wusste ich schon, dass ich Geiger werden möchte, das auf jeden Fall. So stand das vor der „schweren“ Phase, der Pubertät, schon mal für mich fest. Und so blieb der Durchhänger wohl deswegen aus, weil ich mich vorher entschieden hatte.
Wenn Sie umschreiben sollten, wer die prägenden Persönlichkeiten in Ihrer künstlerischen Entwicklung waren – wen würden Sie in dem Zusammenhang nennen?
Ohne damit eine Rangliste aufstellen zu wollen, würde ich als erste Person Ana Chumachenco nennen. Sie war in den letzten Jahren meine Lehrerin. Der Unterricht war eher unregelmäßig, manchmal zweimal die Woche und dann wieder drei Wochen gar nicht, was auch mit der wachsenden Anzahl meiner Engagements zu tun hatte. Sie war für mich die prägendste musikalische Persönlichkeit, einfach, weil sie eine einzigartige Art hat, zu unterrichten.
Was macht diese Art aus? Worin besteht sie?
Prof. Ana Chumachenco unterrichtet jeden ganz anders. Sie war mit mir immer – vielleicht, weil sie gefühlt hat, dass ich das brauche – sehr lieb. Ich bin da oft aus der Stunde raus und es ging mir noch zehnmal besser als vorher. Als ich einmal etwas zu früh da war, bekam ich zu meinem Erstaunen ihren Unterricht mit einem anderen, noch jungen Schüler mit. Er hat phantastisch gespielt. Aber mit ihm war sie sehr streng. Da habe ich dann gemerkt, dass sie wirklich den Menschen unterrichtet, und nicht einfach jemanden, der Geige spielt.
Wenn Sie Ihren persönlichen Zugang zur Musik beschreiben müssten – wie fiele diese Beschreibung aus?
Ich begebe mich auf die Suche nach Schönheit. Wobei Schönheit natürlich eine nicht messbare Angelegenheit ist. Zur Schönheit gehört natürlich auch Perfektion, die man aber nie hundertprozentig erreichen kann, weil man Mensch ist. Ich glaube, das Wichtigste ist, Menschen durch Musik zu berühren. Das ist eigentlich das Einzige, was unseren Beruf von vielen anderen unterscheidet. Menschen sollten nach einem Konzert nach Hause gehen und sagen können: „ich bin gerührt; oder vielleicht auch: geschockt; ich fühle mich phantastisch – dasselbe gilt auch für Aufnahmen: Das ist es eigentlich, was ich versuche zu bewirken.
Nun gibt es ja auch Künstler, die den Anspruch haben, musikalische Wahrheit entdecken oder aufdecken zu wollen.
Ich glaube, gerade jene Künstler, die dies meinen, sollten vielleicht mal ihre eigenen Aufnahmen von vor zehn Jahren hören, auf denen sie völlig anders gespielt haben. Insofern gibt es, glaube ich, nur die Wahrheit des Moments: so wie man im Moment empfindet. Wenn dies authentisch wiedergegeben wird, so ist es in diesem Moment für den Künstler die „Wahrheit“. Es gibt aber so viele Wege, ein Werk zu interpretieren und alle können möglich sein. Das finde ich faszinierend. Viele sagen ja, es gibt heutzutage schon so viele Aufnahmen z.B. von Mendelssohns Violinkonzert – müssen wir noch mal eine neue von XY dazu kriegen? Ich finde es eigentlich schön, solange derjenige auch etwas Persönliches zu sagen hat.
Aber es wird natürlich gleichzeitig der Spielraum dessen, was man persönlich zu sagen hat, kleiner, je größer und breiter das Angebot ist. Und wirkliche Extreme werden heute ja meist gescheut.
Wenn jeder den Mut hat, seine eigene Interpretation aufzunehmen, wird das Angebot an Vielfältigkeit größer. Aber es hat sicherlich auch mit unserem Drang nach Perfektion in Aufnahmen zu tun. Viele wirken deshalb vielleicht zu poliert.
Aber spieltechnische Perfektion ist ja nicht das höchste Ideal einer musikalischen Aufführung. Wenn ein paar falsche Töne vorkommen, aber das Ganze mit Spontaneität lebhaft wiedergegeben wurde, ist das – für mich zumindest – viel wichtiger.
Stimmt absolut. Das sehe ich genauso. Der Drang nach Perfektion sollte dem musikalischen Ausdruck nicht im Weg stehen. Aber ich glaube auch, dass sich viele Künstler dessen bewusst sind und mit viel Spontaneität auf die Konzertbühne gehen. Man muss als Musiker die Balance finden.
Inwiefern waren Preise und Auszeichnungen wichtig für Ihre künstlerische Laufbahn und für Sie als Künstler?
Natürlich ist es schön, einen Preis zu gewinnen. Aber es hat meiner Karriere nicht immer so geholfen, wie ich mir das zuerst vorstellte. Heute gibt es eine viel größere Anzahl an Wettbewerben und folglich Preisträgern als früher. Aber natürlich hatten Wettbewerbe für mich deshalb einen bestimmten Anreiz, weil ich mich sehr gewissenhaft darauf vorbereitet habe. Das Repertoire, das ich beim Deutschen Musikwettbewerb gespielt habe, kann ich noch heute nachts um drei auswendig. Insofern ist das eigentlich das Positivste an Wettbewerben. Andere Auszeichnungen wie ein ECHO Klassik sind natürlich etwas Besonderes, denn sie werden verliehen, ohne dass man sich darum persönlich bewirbt.
Nun hat sich zu Ihnen als Künstler eine so bedeutende Künstlerin wie Anne Sophie Mutter geäußert. Ist das für Sie auch eine Bürde, um den Lorbeeren künstlerische Taten folgen zu lassen? Fühlen Sie sich diesbezüglich unter einem gewissen Druck?
Druck verspüre ich keinen, weil ich sie nie um ein Empfehlungsschreiben gebeten habe, das ich zum Abschluss meiner Förderung bekam. Während meiner Studienzeit konnte ich ihr persönlich vorspielen. Ihre musikalische Meinung zu erfahren, war für mich das Wichtigste.
Ist es eher eine Bürde im Sinne von hoher Verantwortung, ein solch wertvolles Instrument zu nutzen?
Nein, das ist eine ganz große Freude und inspiriert mich täglich aufs Neue. Das Einzige, was man tun muss: gut auf dieses Instrument achten. Aber ich glaube, wenn man Geiger aus vollem Herzen ist, passt man immer auf seine Geige auf, egal, ob das nun eine Stradivari ist oder nicht. Die klanglichen Möglichkeiten scheinen einfach unendlich. Ich dachte vor etwa fünf Jahren: nun kenne ich das Instrument. Heute weiß ich, dass es noch viel mehr zu entdecken gibt. Jeden Tag finde ich noch eine neue Klangfarbe.
Inwiefern bestimmt der klangliche Reichtum die Interpretation? Muss man vielleicht interpretatorisch weniger tun, weil eine große Klangvielfalt ohnehin zur Verfügung steht? Wird der Anteil des Klangs an der Musik größer?
Ich kann sagen, dass ich im Laufe der zwölf Jahre, in denen ich die Geige spielen durfte, mich als Künstler dementsprechend entwickelt habe. Meine Klangvorstellung wurde ständig stimuliert, was ich viel dem Instrument zu verdanken habe. Das war aber jetzt nicht unbedingt die Antwort auf Ihre Frage, oder?
Ich wollte darauf hinaus, dass sich wegen des Klangreichtums eines solchen Instruments von der interpretatorischen Gestaltung her vielleicht gar nicht mehr so viel gefordert ist…
Diese Geige folgt in jeder Lage meiner intuitiven Klangvorstellung, da sie eben diese große Vielfalt an Klangfarben besitzt. Wenn man etwa einen dunklen Klang auf der G-Saite bei einer Schumann-Sonate sucht, dann ist er einfach da oder genauso etwas Helles, Strahlendes bei Mendelssohn.
Um auf die von Ihnen jüngst aufgenommene Schumann-Einspielung zu kommen: Haben Sie ein bestimmtes Verhältnis zu Schumann?
Ja, auf jeden Fall. Schon seit einigen Jahren fühle ich mich wie gut befreundet mit Schumann. Gut, man kann ihn nicht fragen, ob er das auch über mich sagen würde, aber ich fühle mich ihm sehr nahe. Anfangs war das nicht unbedingt der Fall. Zu Schumann habe ich einen anderen Zugang durch seine Tagebücher und Briefe bekommen. So tat sich eine Welt auf, die ich niemals nur durch gutes Üben und Lernen der Noten gefunden hätte. Dann haben wir die Sonaten immer wieder in Konzerten gespielt , weggelegt, wieder gespielt, wieder weggelegt. Immer wenn wir die Werke gerade nicht spielten, dachten José Gallardo, mein Klavierpartner, und ich: schade, dass wir keinen Schumann mehr spielen. Komm, nächstes Jahr nehmen wir wieder Schumann ins Programm. Und so ergab sich das über zehn Jahre hinweg; besonders mit der zweiten Sonate in d-Moll standen wir oft auf der Bühne. Auch habe ich die Schumann-Fantasie und sein Violinkonzert ins Repertoire aufgenommen. Seine Kompositionen für Violine werden immer noch unterschätzt. Die Sonaten sind phantastisch, besonders die zweite: ein großes, unglaublich wichtiges Werk. Außer den Sonaten spielen wir auf der CD auch noch einige Transkriptionen seiner Lieder. Seine Lieder sind einfach so unglaublich schön, dass man den Wunsch hat, sie zu spielen.
Ihre erste CD erschien bei dem Major Label EMI, die nun erhältliche Schumann-CD bei dem kleinen holländischen Label Challenge? Wodurch ist der Wechsel dorthin motiviert?
Wir fühlen uns bei Challenge Classics sehr gut aufgehoben: Sei es nun das Coverfoto, der Text im Booklet, oder die Reihenfolge der Werke. Sie haben uns alle Freiheiten im künstlerischen Bereich gegeben, die man sich nur wünschen kann. Für einen Künstler ist eine CD-Aufnahme nicht nur eine Aufnahme, sondern etwas Bleibendes. Jeder Maler sucht ja auch einen passenden Rahmen für sein Gemälde. Ebenso ist es mir bei einer Duo - CD wichtig, dass der Pianist mit auf dem Cover abgebildet ist. Ein anderer Grund ist natürlich auch, dass Challenge einen sehr guten weltweiten Vertrieb hat.
Kam die Idee zu einer Schumann-Einspielung von Ihnen und José Gallardo; und haben Sie sie dann an das Label herangetragen?
Die Aufnahme kam eigentlich fast ein wenig kurios zustande. Wir gaben im Erbacher Hof Mainz ein Konzert mit den Schumann Sonaten. Der Direktor war so begeistert, dass er uns für die Aufnahme den akustisch ausgezeichneten Saal zur Verfügung stellte. Dann hat uns Challenge Classics das beste Paket geschnürt.
Sie sind auch mit dem Projekt „Rhapsody in School“ aktiv bei der Vermittlung klassischer Musik an Jugendliche. Wie schätzen Sie den Erfolg solcher Bemühungen ein? Gibt es positives Feedback?
Natürlich lässt sich schwer sagen, ob die Schüler in Schwerin oder Heidelberg, die ich besucht habe, heute ins Konzert gehen.Aber ich glaube, man muss das langfristig sehen. Nachdem ein Zwölfjähriger zum ersten Mal in der Schule einen Geiger live erlebt hat, könnte dies nachhaltig auf spätere Konzertbesuche wirken. Die Meinung ist weit verbreitet, dass junge Leute kein Interesse an klassischer Musik hätten. Dabei sind sie eigentlich unglaublich offen und sehr interessiert.
Nun gibt es diesbezüglich verschiedene Konzepte. Einmal, die Klassik in die Klassenzimmer zu tragen. Zum anderen, die Klassik über Crossover-Projekte auf die Jugendkultur hin zu bewegen…
…davon halte ich nicht viel. Man kann mit Crossover das Interesse an Crossover wecken. Aber nicht an Klassik. Das Interesse an Klassik kann man nur mit Klassik wecken.
Der Markt an Geigern ist momentan nun nicht gerade spärlich besetzt. Wo sehen Sie für sich eine Nische?
Ich spiele eigentlich alles, was ich persönlich für gute Musik halte. Ob das nun Schumanns Violinkonzert ist oder Mendelssohn oder weniger gespielte Werke. Ich suche mein Repertoire nicht danach aus, ob es weniger oder häufig aufgeführt wird oder nicht. Ich habe auch nie ein Management gehabt, das gesagt hätte: jetzt müssen wir überlegen, was gut für den Markt ist. Das wäre nicht mehr authentisch. Ich mache nur das, wovon ich überzeugt bin.
Man könnte ja beispielsweise eine Nische damit besetzen, indem man auf vornehmlich unbekanntes Repertoire zurückgreift. Wie ist das bei Ihnen mit der Gewichtung von unbekannten Werken und Standardrepertoire?
Ich spiele eigentlich alles, was ich persönlich für gute Musik halte. Ob das nun Schumanns Violinkonzert ist oder Mendelssohn oder weniger gespielte Werke. Ich suche mein Repertoire nicht danach aus, ob es weniger oder häufig aufgeführt wird oder nicht. Ich habe auch nie ein Management gehabt, das gesagt hätte: jetzt müssen wir überlegen, was gut für den Markt ist. Das wäre nicht mehr authentisch. Ich mache nur das, wovon ich überzeugt bin.
Wie ist bei Ihnen derzeit das Verhältnis von Soloauftritten und Kammermusik? Sind Sie in Ihrer derzeitigen Situation (noch) sehr darauf angewiesen, als Solist mit Orchester eine große öffentliche Aufmerksamkeit zu gewinnen wie sie etwa mit Kammermusik schwerer zu erlangen ist?
Man bekommt natürlich automatisch als Solist mehr Aufmerksamkeit. Das hängt allein schon damit zusammen, dass die meisten Kammermusikkonzerte nicht in einem Saal mit 2000 Sitzplätzen stattfinden, was natürlich auch richtig ist. Trotzdem liegt mir die Kammermusik genauso am Herzen.
Ist die Zusammenarbeit mit Ihrem Klavierpartner José Gallardo sozusagen eine „Exklusivpartnerschaft“?
Nun, dies war nie so gemeint oder gedacht. Ich bin sehr wohl daran interessiert, mit möglichst vielen guten anderen Musikern zu spielen. Mit José hat sich das einfach ganz natürlich entwickelt. Irgendwann hat es sich so ergeben, dass ich alle meine Recitals mit ihm zusammen gespielt habe. Auch, weil wir uns unglaublich gut verstehen; musikalisch, aber auch menschlich. Das ist schon etwas Einzigartiges: wenn man seinen Berufskollegen gleichzeitig einen besten Freund nennen darf. Es erleichtert natürlich vieles. Man reist ja ständig zusammen. Aber er hätte nichts dagegen, wenn ich mal mit jemand anderem spielen würde.
Was sind Ihre Projekte für die Zukunft?
Ich erweitere ständig mein Repertoire, sowohl solistisch als auch kammermusikalisch. Ich finde immer wieder neue, interessante Werke: Brittens Violinkonzert kannte ich lange Zeit nicht; das ist ein ganz tolles Werk. Dann lerne ich gerade Szymanowskis Violinkonzerte: auch eine fantastische Musik. Vor zwei Jahren war es das Kammerkonzert von Alban Berg, genauso in der Kammermusik.
Wenn Sie mit dem Angebot der Violinkonzerte von Szymanowski zu Veranstaltern kommen – werden Sie mit offenen Armen empfangen oder kommt dann doch die Frage nach den bekannten Violinkonzerten?
Man könnte sich schon ein wenig mehr Mut von Veranstaltern wünschen, auch von Orchestern. Eher bei kleinen, exklusiven Kammermusikreihen kann man Werke spielen, die außerhalb des gängigen Repertoires liegen. Die meisten Orchester sehen dem Schumann Violinkonzert eher skeptisch entgegen auch mit Britten oder Szymanowski bekommt man oft ähnliche Reaktionen. Das ist eigentlich ein bisschen schade.
Inwiefern spielt für Sie die zeitgenössische Musik eine Rolle?
Relativ wenig. Allerdings hat das auch damit zu tun, dass mir einerseits ein bisschen die Zeit dazu gefehlt hat. Und andererseits hege ich eher den Wunsch, dass ein Komponist etwas speziell für mich schreibt. Leider ist es dazu noch nicht gekommen. Denn es gibt natürlich ganz ausgezeichnete zeitgenössische Komponisten: Gubaidulina zum Beispiel oder auch Rihm und Eötvös.
Sind Sie auch interessiert an historischen Aufführungspraktiken, gerade auch vor dem Hintergrund, dass Sie eine so alte Geige spielen?
Als moderne Instrumentalisten haben wir durch die Erforschung historischer Praktiken schon viel Neues erfahren; zumindest hatten wir die Gelegenheit. Nicht alle machen davon Gebrauch. Ich fand es in den letzten Jahren ein bisschen zu extrem, z. B. alles ohne Vibrato zu spielen. Ich bin genauso dagegen, alles unkontrolliert zu vibrieren.. Ich lese heute den Urtext von Bachs Solosonaten auch anders als mit fünfzehn. Allerdings bin ich ein romantisch ausgebildeter Geiger und ich bin eine sehr romantische Person; es wäre nun gegen meinen Charakter, eine sogenannte historische Aufführungspraxis wiederzugeben. Ich versuche, historisch informiert zu spielen. Aber das heißt z.B. nicht: ohne Vibrato, sondern vielmehr, differenziert damit umzugehen. Ich möchte auch nicht auf meine Geige Darmsaiten aufziehen und einen Barockbogen verwenden. Das ist mal ganz interessant, um das Gefühl zu bekommen, aber im Konzertsaal würde ich damit nicht spielen. Die Geige klingt einfach viel besser mit moderner Besaitung. Das ist für mich eine Tatsache.
Das Gespräch führte Dr. Tobias Pfleger.
(06/2009)
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