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Sonntag, 2. April 2023

Photo: Marco Borggreve

Pianist Javier Perianes über die Musik Spaniens und sein Debut beim Lucerne Festival 2011

"Mentalität und Atmosphäre eines Landes sind fester Bestandteil seiner Musik"


Javier Perianes gilt als einer der talentiertesten jungen Pianisten Spaniens. Für das Plattenlabel Harmonia Mundi hat er bislang vier Alben eingespielt. Perianes konzentriert sich in seinem Schaffen vor allem auf spanische Komponisten und die deutsche Romantik. Er entdeckte für uns die Musik von Blasco de Nebra, die schweigsamen Töne der ‚Música Callada‘ von Federico Mompou und nun das eindrucksvolle Klavierwerk von Manuel de Falla. Auf dem Lucerne Festival 2011 debütierte er an der Seite von Zubin Mehta. klassik.com Autor Toni Hildebrandt traf den Pianisten nach dem Konzert im Luzerner KKL und sprach mit ihm über das Paris um 1900, seine spanische Heimat und ein anstehendes Beethoven-Projekt.

Herr Perianes, Sie sind in diesem Jahr mit dem Israel Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Zubin Mehta zum ersten Mal bei dem Lucerne Festival aufgetreten. Manuel de Fallas Sinfonische Impressionen für Klavier und Orchester ‚Noches en los jardines de España‘ standen auf dem Programm.

Ja, das Lucerne Festival ist natürlich eine Art ‚Sancta Sanctorum‘ der Festivalsaison. Sie können sich vorstellen, was es für mich bedeutet hat, dieses Jahr zum ersten Mal in Luzern zu spielen – zudem mit Zubin Mehta und dem erstklassigen Israel Philharmonic Orchestra. Man könnte fast denken, dass es geplant war, weil ich ja zeitgleich mein Album veröffentlicht habe, aber das war nicht so. Für mich hat dieses Jahr einfach alles wunderbar geklappt. Die Zeit in Luzern war zudem sehr angenehm, und ich fühlte mich ruhig, weil wir das Programm zuvor schon sechs Mal in Israel gespielt hatten. Aber natürlich ist nichts wirklich vergleichbar mit Luzern. Es war eine einzigartige Erfahrung.

Haben Sie mit Zubin Mehta schon einmal zusammen gearbeitet?

Ja, im letzten Jahr hatte ich die Gelegenheit, mit ihm in Spanien zu spielen, in Valencia mit dem dortigen Orchester. Zubin Mehta war für einige Wagner-Aufführungen in Spanien, und wir spielten Schumanns Klavierkonzert. Das war unsere erste Zusammenarbeit. Nach Schumann kam dann Manuel De Falla.

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Wie verlief die Zusammenarbeit mit Zubin Mehta in Luzern? Er ist ja nicht nur einer der bedeutendsten Dirigenten seiner Generation, sondern auch eine außergewöhnliche Persönlichkeit.

Genau, er ist natürlich zunächst ein großer Name, aber man muss sicher immer fragen: warum eigentlich? Als ich mit ihm gearbeitet habe, konnte ich einfach alles sofort verstehen. Er ist sehr unkompliziert und bescheiden. Das macht es einem sehr leicht, Vertrauen zu gewinnen. Wir sprachen zum Beispiel viel über die Tempi, und es war immer sehr leicht zu verstehen, was er sich wünscht. Zubin Mehta war auch sehr zuvorkommend, als wir Schumanns Klavierkonzert in Valencia spielten. Er war der beste Dirigent, mit dem ich bislang spielen durfte, weil er auf verblüffende Weise antizipiert, was man macht oder machen wird. Das ist wirklich sehr selten. Im vergangenen Juli in Israel sagte mir Daniel Barenboim noch: ‚Du musst gut aufpassen, er weiß immer, was du tust, bevor du es tust.‘ Genau so war es dann auch.

Es war tatsächlich auch ein sehr eindrucksvolles Konzerterlebnis. Ihr Auftritt mit de Fallas Sinfonischen Impressionen für Klavier und Orchester, aber auch sein ‚Boléro‘. Das Publikum war begeistert. Man hat gespürt, dass es zwischen Zubin Mehta und dem Israel Philharmonic Orchestra einen ganz innigen Dialog gibt. Es war fast ein blindes Verständnis, besonders in Debussys ‚Images‘ für Orchester und den drei Bildern von ‚Ibéria‘. Das KKL in Luzern ist natürlich auch ein wunderbarer Konzertsaal. Die Akustik ist einfach fantastisch.

Es ist unglaublich. Ich verstehe erst jetzt, warum Claudio Abbado den Raum für einige seiner Aufnahmen auswählte. Er ist einfach magisch!

Man verbindet neben Abbado mit dem Lucerne Festival natürlich auch den Namen eines italienischen Pianisten: Maurizio Pollini. War er für Sie ein Vorbild? Hat er eine Rolle gespielt in Ihrer stilistischen Entwicklung?

Ja durchaus, aber natürlich ebenso wie viele andere auch. Und ich muss sagen, ich habe ihn leider nie persönlich kennen gelernt. Ich lernte sehr früh Barenboim kennen, und er war definitiv ein sehr wichtiger Einfluss, auch menschlich. Barenboim war sehr wichtig für mich, und ich verdanke ihm unglaublich viel. Dann gab es Richard Goode, ein amerikanischer Pianist, und natürlich Maria João Pires. Radu Lupu ist ein sehr spezieller Pianist mit einem unverwechselbaren Stil. Natürlich muss ich als Spanier auch Alicia de Larrocha erwähnen! Sie war großartig, nicht nur als Interpretin spanischer Musik. Da muss man nur die Aufnahmen mit Colin Davis und dem London Symphony Orchestra anhören: Mozart, Scarlatti, Mendelssohn, Chopin, selbst Rachmaninow… Sie war einfach großartig, und ich habe viel von ihr gelernt.

Mit Alicia de Larrocha verbinden Sie offensichtlich auch ein starkes Heimatgefühl. Ich finde es sehr sympathisch, wie Sie mit der musikhistorischen Tradition Ihres Landes umgehen. Es gibt bei Ihnen fast ein musikwissenschaftliches Interesse an der Geschichte der spanischen Musik, nicht wahr? Nicht nur an den Interpreten natürlich, sondern primär an den Komponisten und Werken. Ich habe von einem Komponisten sogar erst durch eine Ihrer Aufnahmen für Harmonia Mundi gehört. Sein Name ist Blasco de Nebra – ein echter Geheimtipp.

Ich habe Blasco de Nebra aber auch erst im Alter von 18 oder 19 Jahren für mich entdeckt. Normalerweise spielt man in Spanien als junger Pianist eher Soler oder Scarlatti, aber mein damaliger Lehrer brachte mich auf Nebra. Es ist einfach wunderbare Musik. Es geht nicht primär um historische Ausgrabung.

Haben Sie sich auch mit seiner Biographie auseinandergesetzt? Er spielt ja als Komponist nahezu keine Rolle in der Musikgeschichte.

Ja, er kam ja – wie ich auch – aus dem Süden Spaniens und war Organist in einer Kathedrale. Nebra starb sehr früh im Alter von 34 oder 35 Jahren. Leider ist ein Großteil seiner Musik verschollen. Diese Sonaten machen vielleicht nur fünf bis zehn Prozent seines ganzen Werkes aus.

Sie haben auch Federico Mompou ein Album gewidmet, ebenfalls ein spanischer Komponist, der aber auch eng mit Francis Poulenc, Darius Milhaud und Paul Valéry befreundet war.

Ja, die Musik von Mompou ist letztlich auch sehr französisch.

Mompou lebte in Paris. Spanien und Paris – das ist ja eine wichtige Verbindung für das späte 19. Jahrhundert und die frühe Moderne. Es ist vielleicht der Schlüssel, um die Musik zu verstehen, die Sie im Moment spielen und auch hier in Luzern aufgeführt haben. Albéniz, Mompou, De Falla und dann Debussy und Ravel: Was sie vereint, ist ein Interesse für die iberische Kultur und das Flair der Pariser Metropole. Es gibt das spanische Idiom, die Volksmusik und die Geschichte des Landes. Doch dann eben auch die weltoffene Kunstszene im Paris der Jahrhundertwende. Die Pariser kannten Spanien von der Weltausstellung, und die spanischen Komponisten tauchten in der französischen Metropole in der elitären Kulturszene unter.

Ja, es hängt letztlich sehr eng miteinander zusammen. In Spanien sagen wir oft, Manuel de Falla sei ein spanischer Komponist mit französischen Einflüssen. In Frankreich hörst Du oft genau das Gegenteil. Debussy interessierte sich natürlich sehr für spanische Musik, aber er bereiste kurioserweise nie meine spanische Heimat. Er kannte Spanien fast nur von Postkarten.

Aber einmal war er in Spanien, in San Sebastian.

Gut, das war einmal, aber das war nur ein kurzer Ausflug knapp über die Grenze. Eigentlich war er nie wirklich im Herzen Spaniens. Er kannte die Atmosphäre des Landes zumindest nicht aus eigener Erfahrung. Ravel kannte Spanien hingegen besser. Seine Mutter kam aus dem Baskenland. Man muss jedoch sagen, dass Debussy tatsächlich interessierter an Spanien war. Das Land übte auf ihn eine große Faszination aus.

Bei Manuel de Falla war es ja im Grunde nicht anders. Seine Perspektive war auch eine entfremdete aus Paris.

Genau, de Falla komponierte die ‚Noches en los jardines de España‘ inspiriert von Granada, ohne tatsächlich in Granada gewesen zu sein! Er verbrachte eine Zeit seines Lebens in Granada, aber erst nachdem er das Werk bereits vollendet hatte. Der wichtigste Einfluss waren vielleicht einige Bilder von Santiago Rusiñol, einem katalanischen Maler aus dem Norden Spaniens. De Falla versuchte später in Granada sogar ein ‚kleines Paris‘ zu installieren. Er kannte ja Debussy, Ravel, Franck und natürlich auch Amedeo Modigliani. Zwischen Spanien und Frankreich gab es damals einen sehr fruchtbaren künstlerischen Austausch. Ein Verbindungsglied war sicherlich die Musik.

Ich glaube, das sagt uns auch viel über diese Zeit, über die frühe Moderne, die nationalen Schulen, nicht nur in der Musik. Auch über die bildende Kunst natürlich oder das aufkommende Kino.

Genau, man denke nur an Salvador Dalí oder Luis Buñuel, an das große Kino der Zeit. Noch im letzten Film von Woody Allen, in ‚Midnight in Paris‘, kann man das sehen. Allerdings hat sich das Verhältnis der Künste in unserer Zeit auch entscheidend verändert. Manuel de Falla hatte noch viele Malerfreunde, wie etwa Modigliani. Es waren nicht zwangsläufig Musiker, sondern Maler, Bildhauer oder Philosophen, die ihn inspirierten. Ich glaube, dass der Impressionismus eigentlich die letzte europäische Bewegung war, in der sich alle Künste vereinten und gegenseitig inspirierten. Heute ist das ein wenig anders, es wirkt oft viel spezialisierter. Dabei ist doch eigentlich alles miteinander verbunden.

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Wie hat diese Sichtweise auf die frühe Moderne Ihre persönliche Arbeitsweise beeinflusst?

Auf ganz konkrete Weise. Man muss Goethe und Dante lesen, um Liszt zu spielen! Du musst Hoffmann lesen, um Schumann zu verstehen! Man muss nicht unbedingt nach Granada fahren, um eine Komposition von Manuel de Falla besser zu verstehen, weil er selbst nicht zwangsläufig dort war. Aber dennoch kann es uns helfen, einen persönlichen Zugang zu seiner Musik zu gewinnen. Man wird immer mehr empfinden. Die Alhambra, die Mystik – auch wenn sie stilisiert sein mag –, die Mentalität und Atmosphäre des Landes sind fester Bestandteil seiner Musik. Man kann zwar auch Liszt spielen, ohne Goethe und Dante zu lesen, aber nach einer Lektüre des Faust wird man doch einen anderen philosophischen Zugang zu der Musik gewinnen.

Für Ihre jüngste Einspielung haben Sie auch zahlreiche Nachforschungen betrieben und sind auf den Spuren von Manuel de Falla gewandelt.

Es gibt hierfür einen sehr guten Anlaufpunkt: das Manuel-de-Falla-Archiv in Granada. Es gehört noch der Familie, und man kann dort sehr viele interessante Handschriften und Partituren im Original studieren. In den Entwürfen und Skizzen ist der Einfluss von Debussy zum Teil noch deutlicher zu erkennen als in den Drucken.

Falla orientierte sich an Debussy, aber es gab auch einen Kontrapunkt in dem musikethnologischen Schaffen von Felip Pedrell. Pedrell war ein katalanischer Komponist und Musikhistoriker. Eigentlich war er Autodidakt, aber wir verdanken ihm die Herausgabe zahlreicher Werke, zum Beispiel das Gesamtwerk des spanischen Renaissancekomponisten Tomás Luis de Victoria.

Pedrell war tatsächlich eine sehr merkwürdige Figur in der spanischen Musikgeschichte. Vielleicht kann man seine Bedeutung mit der vergleichen, die Djagilew für Strawinsky hatte. Er war interessiert an allem, aber von ihm blieb fast nichts. Ich weiß eigentlich nicht warum, aber bei Djagilew ist es in gewisser Weise ja ähnlich. Es ist bemerkenswert, dass Sie mich auf Pedrell ansprechen, aber es freut mich auch sehr. Mich hat noch niemand nach ihm gefragt. Er ist eine sehr interessante Figur in der Zeit und wichtig für ein Verständnis der spanischen Musik um 1900.

Pedrell ist unter Gitarristen natürlich bekannt: als Sammler von Stücken, Freund vom Segovia und Pujol, aber auch als Komponist. Natürlich ist auch Manuel de Falla ein fester Bestandteil im Repertoire aller Gitarristen, auch wenn er nur ein Solostück für die Gitarre schrieb. Die ‚Homenaje. Le Tombeau de Claude Debussy‘, wurde ursprünglich für Gitarre komponiert und erst später für Klavier eingerichtet. Hat Sie die spanische Gitarrenmusik oder das Instrument selbst beeinflusst, als Sie de Fallas Werk eingespielt haben?

Im Fall von Manuel de Falla kann ich das ganz klar bejahen. Natürlich! Es war sehr wichtig. Auch in der ‚Fantasia bætica‘, die ja Arthur Rubinstein gewidmet ist, hört man ganz deutlich gitarristische Anklänge. In Spanien nennen wir diese Anschlagtechnik ‚Rasgueado‘. Aber es gibt auch interessante Imitationen von Gesangslinien, die mit dem Flamenco zu tun haben. Bartók gefiel dieser folkloristische Einfluss sehr. Die Gitarre spielt dann auch eine wichtige Rolle für ‚Andaluza‘ in den vier Stücken für Klavier. In den anderen drei Stücken hat die Gitarre für den Kompositionsprozess hingegen keine Rolle gespielt. Da müssten wir eher über den Einfluss von Chopin nachdenken. Aber Falla organisierte in Granada ja auch Flamenco-Wettkämpfe mit zahlreichen Gitarristen und Sängern. Um ehrlich zu sein, mag die Hommage an Debussy ein großartiges Gitarrenwerk sein, für mich funktioniert das Stück trotzdem besser auf dem Klavier. Die Transkription zeigt, dass er sich auf dem Klavier einfach wohler fühlte. Vielleicht ist die Gitarre auch ein Problem für Komponisten, zumindest in der damaligen Zeit.

Ich glaube man kann das historisch sogar sehr gut belegen. Es gab ja entweder Gitarristen, die komponierten, wie etwa Fernando Sor oder Francisco Tárrega, oder eben die großen Komponisten, die dann oft aber nicht das Instrument spielen konnten. Erst im 20. Jahrhundert haben Nichtgitarristen wie Benjamin Britten oder Hans Werner Henze umfangreiche Gitarrenwerke komponiert. Oft mussten die Gitarristen vor der Uraufführung jedoch die Stücke umschreiben, damit sie überhaupt spielbar waren. Der Fingersatz ist ja ein völlig anderer. Er verlangt nach einer eigene Logik. Julian Bream hat vielen Komponisten geholfen, Werke für Gitarre einzurichten.

Julian Bream inspirierte mich sehr, die ‚Homenaje‘ aufzunehmen. Ich habe mir bis heute keine einzige Klaviereinspielung angehört. Die einzige Aufnahme, die ich kannte, war eine Interpretation von Julian Bream. Ich war schlicht schockiert. Julian Bream war schon sehr alt, aber sehr beweglich. Es ist eine fantastische Interpretation.

Julian Bream hat auch einen dreiteiligen Film über die Geschichte der spanischen Gitarrenmusik gedreht…

…ach ja? Das wusste ich nicht. Gitarre und Klavier, Spanien und Paris kommen in der ‚Homenaje‘ eben auf wunderbare Weise in einer Kleinform zusammen. Auch in der ‚Fantasia bætica‘ von 1919 ist das so. Es ist fast eine ‚Liszt‘sche Gitarre‘.

De Falla hatte ja auch eine besondere Vorliebe für Chopin.

Es ist mehr als offensichtlich, dass der frühe de Falla von Chopin inspiriert war. Es gab einen spanischen Dichter, Gerardo Diego, der das sehr präzise in Worte gefasst hat. In den frühen Werken spürst Du ein wenig Chopin an vielen Stellen, natürlich bereits mit einem unverwechselbaren spanischen Einschlag.

Es ist vielleicht ein wenig weit hergeholt, aber der Lehrer seines Lehrers José Tragó war ja noch ein Schüler von Chopin. Tragó hatte 1877 am Pariser Conservatoire in der Klasse des Chopin-Schülers Georges Mathias studiert.

Das könnte sein, aber mir scheint das tatsächlich zu weit entfernt. Ich glaube, es war eher eine innerliche Beziehung zu Chopin. Er liebte einfach dessen Musik. Ich bin mir da intuitiv ganz sicher. Am Ende seines Lebens schrieb Manuel de Falla die ‚Balada de Mallorca‘. Das war eigentlich seine Hommage à Chopin.

De Falla war ja auch ein virtuoser Pianist. Im Booklet Ihrer CD kann man von Wittgensteins berühmter Unterscheidung von Komponisten lesen: Komponisten, die am Klavier oder auf dem Klavier komponieren, solche die mit der Feder denkend komponieren oder solche, die allein mit dem inneren Ohr die Musik ersinnen. Manuel De Falla gehört fraglos zu den Komponisten, die am Klavier komponieren.

Wir haben ja bereits den Einfluss von Debussy angesprochen. Man hört aber auch Wagner, und selbst ein wenig Liszt. Eigentlich kann man (beinahe) alles in seiner Musik finden, wenn man gezielt danach sucht. Das Kuriose bleibt jedoch, dass es ihm dennoch gelang, aus all diesen verschiedenen Einflüssen seinen eigenen, unverwechselbaren Stil zu entwickeln. Es mag oft ein wenig wie Debussy klingen, aber es ist doch immer Manuel de Falla, und es ist spanisch! Oder sagen wir: spanisch und französisch.

Copyright Marco Borggreve

Manuel de Falla hat als Komponist auch zahlreiche Musiker inspiriert, die nicht in der klassischen Tradition standen, sondern freier mit seinen Kompositionen umgingen. Miles Davis hat 1959 für seine ‚Sketches of Spain‘ einen Tanz von de Falla adaptiert. Natürlich wäre auch Paco de Lucia zu nennen, der eine Zeit lang viel de Falla gespielt hat…

…warum nicht, de Falla fühlte sich ja sehr verbunden mit dem Flamenco, besonders als er in Granada lebte. Ich bin überzeugt, er wäre wirklich sehr froh, die Aufnahmen von Paco de Lucia zu hören. Paco hat ja auch eine sehr eindrucksvolle Aufnahme des ‚Concierto de Aranjuez‘ eingespielt. Auch wenn ich sonst Joaquín Rodrigo als Komponisten weniger schätze – das Gitarrenkonzert ist großartig und großartig interpretiert von Paco de Lucia. Rodrigos Klavierkonzert ist eher enttäuschend, und ich habe schon abgelehnt, es zu spielen. Aber zurück zu Manuel de Falla: Es gibt da eigentlich keinen inneren Widerspruch zwischen seinen Kompositionen, dem Flamenco oder anderen populären Musikformen. Es ist eine mögliche Art, diese Musik zu spielen, und das ist gut so. De Falla hat sich immer um die Essenz verschiedener Musikstile bemüht. Bei Albéniz standen die folkloristischen Tänze noch klar und deutlich im Vordergrund. Bei de Falla weiß man nie genau, ist das noch eine Solea oder schon wieder nicht mehr.

Herr Perianes, es steht dennoch zu vermuten, dass mit dem Saisonhöhepunkt in Luzern Ihre Beschäftigung mit dem Werk Fallas vorerst abgeschlossen ist. Welche Projekte werden Sie in der nächsten Zeit angehen? Planen Sie schon das Programm für ein neues Album?

Ja, auf dem nächsten Album werde ich Beethoven spielen. Ich bin Harmonia Mundi sehr dankbar, weil sie mir bislang alle Freiheiten gelassen haben. Wir fingen an mit Federico Mompou, was ein sehr seltsamer Anfang für einen jungen Pianisten war. Danach nahm ich Schubert auf, dann Nebra und de Falla. Nun ist Beethoven an der Reihe.

Was werden Sie von Beethoven spielen?

Das Thema ist eigentlich das ‚moto perpetuo‘ bei Beethoven. Ich werde vier Sonaten aus vier unterschiedlichen Phasen seines Lebens spielen. Sie werden zusammen gehalten durch Beethovens Faszination am ‚moto perpetuo‘.

Wann werden wir die Freude haben, diese interessante Einspielung hören zu können? Schon im nächsten Jahr?

Ja, definitiv. Ich werde sie im Dezember in Berlin aufnehmen. Es ist schon alles geplant. Ich werde Anfang Dezember im Studio sein.

Werden Sie auch wieder zu Konzerten nach Deutschland oder in die Schweiz kommen?

Ich fahre nächste Woche erstmal nach Paris und werde dort ein Konzert spielen und auch zum ersten Mal selbst Mozart dirigieren. Danach geht es schon in die USA. Ich werde in Miami Schumanns Klavierkonzert mit Michael Tilson Thomas aufführen, danach in London noch einmal die ‚Noches en los jardines de España‘ und dann bin ich im Studio in Berlin, bis das Album fertig ist. Mehr ist im Moment noch nicht geplant. Ich werde mich nun vor allem auf Beethoven konzentrieren.

Das Gespräch führte Toni Hildebrandt.
(09/2011)

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