> > > > "Etwas Mainstream muss manchmal sein"
Samstag, 1. April 2023

Photo: Channel Classics

Dejan Lazic hat Lust an der ungewöhnlichen Konfrontation, vor allem in musikalischen Belangen. Aber auch Repertoire-Schlachtrösser befeuern seine Musizierlust.

"Etwas Mainstream muss manchmal sein"


Nicht oft kommt es vor, dass Solisten einer jungen Generation Wesentliches im Bereich des Kernrepertoires ihres Instrumentes zu sagen haben. Wenn Dejan Lazic, gemeinsam mit dem London Philharmonic Orchestra und Kirill Petrenko, das zweite Klavierkonzert Sergej Rachmaninows einspielt, treffen mit dem kroatischen Pianisten und dem russischen Dirigenten gleich zwei gewichtige Vertreter einer jungen Musikergeneration aufeinander, deren Musizieransätze dem ach so populären Werk spannende Seiten abgewinnen können. Darüber hinaus bereichert Lazic den üppigen Tonträgermarkt mit spannenden Konzeptalben, die interessante Seiten scheinbar gegensätzlicher Komponisten in ein helles Licht rücken. klassik.com stellt den Wahl-Münchner nach einem Treffen in der Bayerischen Landeshauptstadt vor.

Sie waren vor einiger Zeit auf einer ausgedehnten Tournee durch China und Japan - was haben Sie dort gespielt?

Mozart-Klavierkonzerte natürlich - und in den Recitals das Programm meiner letzten CD. Also Werke von Bela Bartok und Angelo Scarlatti.

Wie kommt ein solches Programm beim Publikum in Fernost an?

Nun, es ist sicher nicht ganz leichte Kost für das asiatische Publikum. Rachmaninow und Chopin werden immer geliebt. Wenn Sie jedoch Werke aus dem 20. oder gar dem 21. Jahrhundert aufführen, dann treffen Sie sicher nicht nur auf offene Ohren. Der Trick besteht darin, die Programme gut zu mischen. Ich spiele daher im zweiten Teil dann meist auch die Chopin-Sonate oder ein anderes Stück dieses Komponisten. Scarlatti hingegen ist gar kein Problem.

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Sind Sie gerne im asiatischen Raum als Solist unterwegs?

Ja, sehr sogar. Die drei großen Musikmärkte Japan, China und Korea sind für mich immer noch faszinierende Orte. Japan empfinde ich dabei als das vielleicht exotischste Land von den dreien. In China und Korea fühle ich mich sehr schnell zu Hause. Japan hat für mich nie die Aura des Exotischen abgelegt. Es gibt fantastische Säle, eine große Begeisterung für klassische Musik - sogar in der Provinz kommt es vor, dass man nach Recitals eine Stunde oder mehr mit dem Signieren von CDs verbringt. Und das Publikum ist sehr jung. Für eine Meisterklasse in Japan haben sich 450 Studenten angemeldet, und man unterrichtet in einem Saal der Größe des Münchner Gasteigs. In Deutschland geben Sie einen Meisterkurs in einem kleinen Zimmer mit 8 Studenten.

Sie waren für viele Jahre nicht zuletzt als kongenialer Klavierpartner des Cellisten Pieter Wispelwey bekannt. Dann trennten sich Ihre Wege…

Es war mit Pieter Wispelwey eine sehr spannende und fruchtbare Zeit. Wir sind beide starke Musikerpersönlichkeiten, die sehr konsequent Ihre Ziele verfolgen. Das hat sieben Jahre sehr gut zusammen funktioniert - und dann sind wir an einen Punkt gekommen, wo es Zeit für eine Veränderung wurde. Auch meine steigende solistische Tätigkeit überall auf der Welt hat es immer schwieriger gemacht, in der gleichen Enge und Intensität als Duo zusammen zu spielen. Da war eine Trennung nur konsequent.

Sie sind sozusagen als Kammermusiker jetzt frei.

Das kann man vielleicht so sagen. Schon in meiner Zeit als Teenager war mir Kammermusik immer ganz wichtig. Ich habe mit vielen Freunden in ganz unterschiedlichen Besetzungen regelmäßig zusammen musiziert. Ohne einen festen Musikpartner habe ich jetzt wieder etwas mehr die Chance, mit einer Vielzahl befreundeter Musikerkollegen auf Festivals diese Teenagerzeit wieder etwas aufleben zu lassen. Und doch genieße ich die intensive Nachfrage nach mir als Solisten.

Ihre Biografie ist durchaus interessant. Sie wurden in Jugoslawien geboren, wuchsen aber in Österreich auf…

Richtig - geboren wurde ich in Zagreb im damaligen Jugoslawien. Aufgewachsen bin ich später jedoch in Salzburg, wohin meine Eltern kurz vor der politischen Wende ausgewandert waren. Allerdings waren wir bis zu meinem 11ten Lebensjahr in Zagreb.

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Und warum wurde es Salzburg?

Eigentlich hat dieser Entschluss zunächst nicht viel mit der Stadt zu tun. Seit ich 10 war, habe ich jeden Sommer das Bartok-Festival in Ungarn besucht, bin dort mit vielen wichtigen Lehrern und Musikern in Kontakt gekommen, habe Unterreicht erhalte und Konzerte gespielt. Hier habe ich u.a. mit Zoltan Kocsis und Peter Eötvös arbeiten können. Dort habe ich auch meinen späteren Lehrer am Salzburger Mozarteum, Imre Rohmann, kennen und schätzen gelernt. Ich wollte nach diesen Sommerkursen unbedingt bei ihm weiter studieren. Zunächst bin ich von Zagreb aus zweimal im Monat mit dem Zug nach Salzburg zum Unterricht gefahren. Als ich 12 war, haben wir dann entschieden, als Familie ganz nach Salzburg zu ziehen. Meine Eltern haben das also vor allem mir zuliebe gemacht.

Ihre Eltern müssen das große Talent also früh erkannt und als förderungswürdig erachtet haben. Sind beide selbst Musiker?

Zugegeben, ja, beide Eltern sind Musiker. Meine Mutter war Pianistin und hat zu Hause sehr viel unterrichtet. Ich war ein sehr eifersüchtiger Sohn - eifersüchtig auf die Schüler, mit denen sie so viel Zeit verbrachte. Deshalb wollte ich unbedingt Klavier spielen und entsprechend auch besser sein wollte als die anderen Kinder. Meinen Eltern haben mich nie zum Musizieren gedrängt, nie Druck auf mich ausgeübt oder ausüben müssen. Dieser Enthusiasmus hat sich erstaunlicher Weise auch über meine Teenagerzeit hinaus erhalten. Und mein Vater ist Klarinettist. Ich habe demnach auch Klarinette gelernt und komponiert - alles als Kind und Jugendlicher. Man hat mich früh als Wunderkind bezeichnet.

Blieb bei so viel Musik auch noch genügend Raum für Dinge, die man als Jugendlicher sonst noch so macht?

Natürlich blieb auch Zeit für andere schöne Dinge. Ich war ein leidenschaftlicher Fußballer, habe viel Zeit mit meinen Schulfreunden verbracht oder aber auch Musik mit Freunden gemacht. Das war für mich immer nur Vergnügen. Es ist doch ganz einfach: Sie stehen um 8 Uhr auf, üben zwei und eine halbe Stunde Klavier, dann eine Stunde Klarinette und haben danach Freizeit. Um halb eins ist der Musikpflichtteil des Tages erledigt und Sie sind ein freier Jugendlicher - zumindest an den schulfreien Wochenenden. Mein Lehrer hat mir schon sehr früh vermittelt, dass es nicht auf die Übezeit sonder die Übeffektivität ankommt.

Übt man in diesem jungen Alter schon Musik oder geht es eben doch vor allem um das Legen technischer Grundlagen?

Ich war immer davon überzeugt, neben der Technik, die nun einmal die Basis für meinen Beruf ist, vor allem Musik zu üben. Doch wenn ich jetzt zurück schaue, war das wohl ein Irrtum. Erst mit 26 hatte ich wirklich den Eindruck zu verstehen, was ich da eigentlich mache. In den letzten 4 Jahren habe ich erst gemerkt, was es heißt, ein Werk zu durchdringen - bewusst Musik zu gestalten. Natürlich macht man schon als Teenager intuitiv vieles richtig, aber wirklich verstanden hatte ich es erst viel später. Interessanter weise war das auch der Moment, als meine Karriere plötzlich richtig in Gang kam.

Nachdem Sie einige Platten vorgelegt haben, die sich vor allem mit wichtigen Standardwerken der Klaviermusik befassten, kann man derzeit, neben der neuen Einspielung des zweiten Konzerts von Rachmaninow, eine dreiteilige Konzeptreihe erleben - ‚Liaisons‘ genannt. Teil eins kombinierte Werke Scarlattis mit denen von Bartok. Wie wird es weiter gehen?

Bartok und Scarlatti zu vereinen war sicher nicht allzu gewöhnlich. Die zweite Ausgabe der Reihe wird auf den ersten Blick etwas gewöhnlicher - früher Schumann ‚Papillons’ op. 2 kombiniert mit dem späten Schumann ‚Waldscenen’ op. 82 und Werken des ganz späten Brahms. Und die dritte CD wird dann C.P.E Bach mit Benjamin Britten zusammenführen. Hier treffen dann Sturm und Drang auf postmoderne Verkopftheit. Bei Britten fasziniert mich vor allem die Architektur seiner Kompositionen.

Doch vor der Schumann-Brahms Einspielung kommt dieser Tage die Live-Aufnahme des zweiten Klavierkonzerts von Rachmaninow auf den Markt…

Etwas Mainstream muss manchmal eben doch sein. Es war für mich eine tolle Erfahrung mit diesem fantastischen Orchester aus London (dem London Philharmonic Orchestra - Anm. d. R.) und Kirill Petrenko zu spielen. Diese große Energie, die von diesem Orchester und von Kirill ausgeht, ist nicht alltäglich. Ich bin fest davon überzeugt, dass uns mit dieser Aufnahme etwas Besonderes gelungen ist.

Stehen Sie der kroatischen klassischen Musik-Szene heute noch sehr nahe?

Nicht so sehr. Ich versuche zwar etwas den Kontakt zu halten, aber es ist nicht so einfach. Meine Eltern sind nach meinem 16. Geburtstag zurück nach Zagreb gezogen und unterrichten dort auch wieder; ich selbst spiele nicht mehr so oft in Kroatien. Dafür bin ich Slowenien sehr präsent. Die Szene dort ist zwar ein klein wenig anders, jedoch aus meiner Sicht besser entwickelt aus bei uns daheim. Zagreb hat zwei große Sinfonieorchester, mit denen ich früher oft aufgetreten bin. Ansonsten finden Sie noch ein paar Festivals, bspw. in Dubrovnik. Aber es wird noch einige Zeit dauern, bis sich ein breites klassisches Musikleben in Kroatien wieder gebildet hat.

Sind dies noch kulturelle Wunden, die der Krieg in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts?

Ich denke schon. Ich habe den Krieg nicht direkt erlebt, da ich in der dieser Zeit in Salzburg war. Und bei meinen gelegentlichen Reisen nach Zagreb konnte man vom Krieg dort nicht so viel mitbekommen. Auch heute noch ist vor allem das Verhältnis zwischen Serben und Kroaten angespannt. Ich selbst komme aus einer multi-nationalen Familie und spiele auch regelmäßig mit dem Sinfonieorchester in Belgrad - einem ganz fantastischen Klangkörper.

Was ist aus dem Komponieren geworden - haben Sie dafür noch Zeit?

Ja, ich komponiere natürlich noch. Als ich mit Anfang zwanzig mich zwischen Klarinette und Klavier entscheiden musste, hab ich das Klavier genommen, auch weil ich das Komponieren nicht aufgeben wollte. Vor kurzem hatte ein Klavierzyklus von mir ‚Hommage a Schumann‘ im Amsterdamer Concertgebouw Uraufführung. Ich schreibe Transkriptionen, komponiere Kadenzen für Konzerte - bspw. für 10 späte Mozart-Konzerte. Auch ein Streichquartett, das ich Rostropowitsch gewidmet habe, ist entstanden. Nach wie vor ist das Komponieren für mich ein wichtiger Bestandteil meines musikalischen Tuns.

Sie bevorzugen eher die kleine musikalische Form?

Das kann man sicher so sagen. Kammermusik ist für mich die derzeit interessanteste Gattung als Komponist. Stilistisch bin ich wohl in einer Traditionslinie mit Bartok, Schostakowitsch und Ligeti zu sehen. Rhythmus, Folklore, Tanz und Volkslied sind wichtige Einflüsse in meinen Kompositionen, die zumeist tonal verankert sind. Auch Lied spielt eine gewisse Rolle. Vielleicht gelingt es mir ja einmal eine CD mit eigenen Kompositionen zu produzieren.

Verträgt sich Ihre gestiegene internationale Popularität mit einem hoffentlich gesunden Privatleben?

Erstaunlich gut. Meine Freundin ist ebenfalls Musikerin. Dadurch haben wir beide sehr viel zu tun und reisen oft. Ich habe sogar den Eindruck, dass die viele Reiserei die Beziehung frisch hält und verhindert, dass man in eine Art Gewohnheitstrott kommt. Man freut sich plötzlich aufeinander.

Das Gespräch führte Frank Bayer.
(02/2009)

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