Der Dirigent Thomas Dausgaard fühlt sich in Alter und Neuer Musik, in Dänemark und Schweden zu Hause
Ohne Berührungsängste
Der dänische Dirigent Thomas Dausgaard ist einer der weithin anerkannten jüngeren Dirigenten auf dem internationalen Parkett. Seit langer Zeit dem Dänischen Nationalen Rundfunksinfonieorchester verbunden, ist er seit 2004 dessen Chefdirigent. Erst vor kurzem verlängerte er seinen Vertrag bis 2009/10. Neben der Tätigkeit mit dem großen Klangkörper ist er seit zehn Jahren Leiter des Schwedischen Kammerorchesters, das heute als eines der führenden Kammerorchester Europas gelten darf. Daneben widmete sich Dausgaard seit seiner Studienzeit einer intensiven Zusammenarbeit mit verschiedenen Orchestern rund um die Welt. Dennoch scheint er seine dänischen Wurzeln nie vergessen zu haben, auch wenn es ihn als Studenten ins Ausland zog. klassik.com sprach mit ihm über seine Studienzeit, die Arbeit mit zwei Orchestern und seine Liebe zu Schumanns Zweiter Sinfonie.
Carl Nielsens langer Schatten
Im Gegensatz zu vielen anderen skandinavischen Musikern und Dirigenten blieb Thomas Dausgaard nicht während seiner gesamten Ausbildung im eigenen Lande. Was den gebürtigen Kopenhagener nach vier Jahren am dortigen Konservatorium ans Royal College of Music nach London zog, war vor allem der Eindruck, frische Inspiration von außen zu benötigen. Dausgaard erzählt, der wohl Ausschlag gebende Grund für seine weiteren Studien im Ausland war das - selbst Anfang der 1980er Jahre - immer noch von Carl Nielsen dominierte dänische - und das heißt vor allem - Kopenhagener Musikleben. Angefangen von seinem ersten Klavierlehrer bis zu seinem Onkel waren viele Musiker Schüler des dänischen Nationalkomponisten Nielsen. Die Kopenhagener Musikkultur wurde nicht nur musikalisch vom Werk Nielsens bestimmt, sondern vor allem auch im Bereich der Musikausbildung. Neben einigen befreundeten Dirigenten, die es ebenfalls in die englische Hauptstadt zog, war es für Dausgaard nahe liegend, den Engländer Norman del Mar, damals Chefdirigent des Sinfonieorchesters in Århus, zu kontaktieren. Mehrere Ursachen führten somit zu seiner „Landflucht“, nicht zuletzt der Eindruck, am Kopenhagener Konservatorium nicht mehr weiter zu kommen.
Neue Musik und alte Musik gleichberechtigt nebeneinander
War die Musikausbildung in Dänemark in hohem Maße bestimmt von skandinavischer Musik, so konnte Thomas Dausgaard in London viel Neues kennen lernen. „Ich hatte ein großes Bedürfnis, ein wenig Abstand zur skandinavischen Musik zu bekommen. Ich habe zuhause wirklich genug davon gehört und wollte etwas anderes, neues kennen lernen.“ Erst als er nach einigen Jahren das Dänische Nationale Rundfunksinfonieorchester bei einem Gastspiel in London hörte, wurde er sich bewusst, selbst ein Teil der Nielsen-Tradition zu sein, ob er es nun wollte oder nicht. Nach dem Abstandnehmen näherte er sich wieder Schritt für Schritt der Musik seiner skandinavischen Heimat und lernte sie von neuem zu schätzen. In London wurde auch der Grundstein für sein vielfältiges Engagement zwischen Alter und Neuer Musik gelegt. Heute verfügt Dausgaard über eine ungewöhnliche stilistische Breite, sicherlich nicht zuletzt wegen der breit gefächerten Ausbildung in Kopenhagen und London.
Die Liebe zur zeitgenössischen Musik rührt wohl, so berichtet Dausgaard, von eigenen kompositorischen Versuchen her. „Mein Ausgangspunkt war, dass ich früher selbst komponiert habe. Deswegen wollte ich stets in Kontakt mit dem bleiben, was in der Gegenwart passiert.“ Auch wenn der Zündfunke zu eigenen Kompositionen von seiner großen Begeisterung für Beethoven ausging, so war das Interesse an der musikalischen Gegenwart doch stets auch im Hinblick auf das eigene Komponieren vorhanden. Heute gehören Alte und zeitgenössische Musik für Dausgaard gleichberechtigt nebeneinander zu seinem umfassenden Musikverständnis. Vorziehen kann und will er keine von beiden.
Ein Däne in Schweden
Auch wenn Schweden und Dänen gemäß den nationalen Stereotypen nicht die allerbesten Freunde sind, ist Dausgaard seit 1997 Leiter des Schwedische Kammerorchesters. Grundidee der Zusammenarbeit war, ein Ensemble zu schaffen, um sich der Klangsprache der Wiener Klassik, allen voran Beethoven, adäquat nähern zu können. Mittlerweile hat sich das Repertoire des Ensembles über die Romantik bis zur Moderne erweitert. Im Gegensatz zu seiner Tätigkeit beim traditionsreichen Dänischen Nationalen Rundfunksinfonieorchester ist er hier Teil eines im Entstehen, Wachsen und Entwickeln begriffenen Projekts. Das ist ein ganz anderer Arbeitsprozess, erzählt er, als die Tätigkeit im Sinfonieorchester, welches er etwa seit 15 Jahren regelmäßig dirigiert und mit dem durch kontinuierliche Arbeit ein enges Verhältnis entstand. Das Schwedische Kammerorchester ist dagegen ein ganz junges Projekt, bei dem es Dausgaard darauf ankommt, einen Dialog mit den Musikern zu eröffnen, um einen regen Ideenaustausch anzuregen. Diese Arbeitsweise wirkt auch wieder auf sein Arbeiten mit dem Sinfonieorchester zurück, so dass sich beide Arbeitsfelder befruchten. Er selbst, verrät er, brauche beide Welten: das Sinfonieorchester und das Kammerorchester. Auch in Bezug auf das Repertoire lässt er seine Arbeit mit dem Rundfunksinfonieorchester von seinen Erfahrungen mit der kleineren Besetzung profitieren. Neben einer möglichst großen stilistischen Breite gehören für ihn Werke der Wiener Klassik zu dem Kern der Sinfonieorchesterprogramme, um auch diese Sprache mit dem großen Orchester zu beherrschen.
Liebe zu Schumann
Angesprochen auf die häufige Aufführung von Schumanns Zweiter Sinfonie mit verschiedenen Orchestern, erzählt Dausgaard, dass dieses Werk schlichtweg zu seinen Lieblingsstücken zählt. „Ich kann mir keinen schöneren langsamen Satz vorstellen als den dieser Sinfonie. Ich habe ein ganz enges Verhältnis zu dem Werk, ich liebe es, deshalb habe ich es oft aufgeführt.“ Erst vor kurzem erschien eine Einspielung von Schumanns Zweiter Sinfonie C-Dur mit Thomas Dausgaard und dem Schwedischen Kammerorchester. Hintergrund dieser Produktion war, das Stück zu interpretieren als wäre es Kammermusik, mit einem sehr transparenten Klang und dem Versuch eines engen Dialogs zwischen den Instrumenten - jedoch nicht um des Dialogs willen, sondern um die kammermusikalische Faktur deutlich zu machen. Das versucht er zwar auch, wenn er das Stück mit dem Radiosinfonieorchester spielt, aber da sind die Voraussetzungen ganz andere. Aber auch hier zieht er keine Trennlinie in seinem Betätigungsfeld und spielt diese Sinfonie mit dem einen wie dem anderen Ensemble gleich gern, auch wenn ihn das klangliche Resultat der kammermusikalischen Herangehensweise mehr überzeugt.
Türen öffnen, Blicke frei geben
Eine Offenbarung und ein großartiges Erlebnis war es für Dausgaard und seine Musiker, als das Schwedische Kammerorchester bei einem Musikfestival alle Schumann-Sinfonien spielten: Mit reduzierter Besetzung gab es auf einmal nicht mehr die Balanceprobleme, die dem großen Sinfonieorchester stets Schwierigkeiten bereiteten und die auch dazu führten, lange Zeit Schumanns Instrumentierung als unausgeglichen und ungeschickt gelten zu lassen. Im Rahmen des „Open Doors“-Projekts des Schwedischen Kammerorchesters zusammen mit dem schwedischen Label BIS erschien bisher neben der Zweiten auch Schumanns Vierte Sinfonie in der Originalversion. Dausgaard berichtet, dass er die ursprüngliche Fassung wegen ihrer mehr kammermusikalischen Faktur sehr schätzt; auch die Kontrapunktik sei reicher als in der revidierten Version, was in der Arbeit mit dem Kammerorchester deutlicher herausgearbeitet werden kann. Ziel des „Open Doors“-Projekts ist es, neue Türen zu öffnen, neue Zugangswege zu bekanntem Repertoire zu erschließen. Geplant sind Aufnahmen von Schubert, Dvořak, Bruckner und anderen romantischen Sinfonikern. Sibelius bleibt in diesem Projekt zuerst einmal außen vor, auch wenn es höchst interessant ist, Sibelius in kleiner Besetzung zu spielen, wie Dausgaard erzählt.
Auf Tour durch Deutschland
In Kürze werden Thomas Dausgaard und das Schwedische Kammerorchester mit viel Schumann im Gepäck durch Europe reisen und auch in Deutschland und der Schweiz zu hören sein. Eine schöne Gelegenheit also, die Schumann-Interpretationen dieses hoch interessanten und beredten Dirigenten kennen zu lernen, sollte man sich nicht entgehen lassen. Die Termine: Tonhalle Zürich (5. März), Bietigheim-Bissingen (8. März), Frauenkirche Dresden (10. März), Konzerthaus Berlin (12. März), Regensburg (13. März), Prinzregententheater München (14.März), Erlangen (15.März).
Das Gespräch führte Dr. Tobias Pfleger.
(02/2007)
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