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Musikzeitschriften im Portrait: Österreichische Musikzeitschrift
Jacques offenbach: Hoffmanns Erzählungen
Entstehungsgeschichte und derzeitige Quellenlage
von Heinz Heinzelmann, aus: Österreichische Musikzeitschrift 7/2003
Les Contes d'Hoffmann bilden im Weltrepertoire der erfolgreichsten Musiktheaterwerke einen wahrhaft aufregenden Sonderfall.
Es gibt unvollendet hinterlassene Opern, die postum aufführbar gemacht wurden, man denke nur an Chowantschtschina, Turandot
oder Lulu. Aber nur bei den Contes d'Hoffmann lässt sich der Anteil der Vollender nicht säuberlich von dem des eigentlichen
Schöpfers abgrenzen. Noch schlimmer, diese Vollender oder Bearbeiter haben oft,
freiwillig oder unfreiwillig, den Zugang zu den originalen Quellen verstellt.
Es gibt nicht wenige Opern, die ihren Weg ins Weltrepertoire in postumen Bearbeitungen fanden, wie L'Incoronazione di Poppea,
Così fan tutte, Idomeneo, Boris Godunow, Carmen. Inzwischen aber liegen alle in philologisch korrekten Ausgaben vor und die
Bühnenpraxis bedient sich der Originaltexte auch dann, wenn sie Adaptionen und Regiefassungen für nötig hält. Hoffmanns Erzählungen
jedoch konnten infolge einer desolaten Quellenlage bis vor kurzem überhaupt nicht originalgetreu aufgeführt werden, und selbst
jetzt setzt sich vielerorts die alte Praxis fort, dass gerade dieses Werk zur freien Beute für den Zugriff der Inszenierungsteams
wird.
Oder sollten wirklich - wie Konservatisten meinen - erst die nachträglichen Bearbeiter für den Verlag Choudens aus dem unfertigen
Torso eines seiner Aufgabe nicht völlig gewachsenen Komponisten die Erfolgsoper destilliert haben, die noch in verkorksten und
entstellenden Aufführungen triumphieren, zumindest faszinieren kann? Verdient das beunruhigende Werk nicht gerade deshalb eine
genaue Prüfung und Optimierung der editorischen Situation?
Quellen, neu gefunden, erst erschlossen
In den letzten Jahren und Jahrzehnten hat sich die bisher desolate Quellenlage fast wie durch ein Wunder verbessert. Aus Privatbesitz
kamen umfangreiche und unschätzbare Konvolute von musikalischen Manuskripten in die öffentliche Hand oder zur Veröffentlichung,
fast alle autograph oder von den dem Komponisten zuarbeitenden Kopisten, teilweise auch von Ernest Guiraud, dem postumen Mit-Autor.
1941 ersteigerte die Bibliothèque de l'Opéra die Druckvorlage zur ersten Partiturausgabe des Antonia-Aktes (und des "Nachspiels"),
die im Wesentlichen aus Autographen Offenbachs besteht. Antonio de Almeida, der bekannte Offenbach-Forscher und -dirigent, entdeckte
im Besitz des Offenbach-Enkels Cusset einen ganzen Bestand von Skizzen und die Druckvorlage zum Giulietta-Akt (die infolge der
zahlreichen Umarbeitungen kaum autographes Material enthält), dazu wichtige Libretto-Manuskripte Barbiers. Diese "Cusset-Manuskripte"
standen Fritz Oeser bei seiner Ausgabe (1977) zur Verfügung.
1984 wurde bei Sothebys ein weiterer Bestand versteigert und von der Frederick R. Koch-Foundation erworben. Zwei vollständige,
bisher unbekannte Nummern und zahlreiche andere Autographe von ausgeschiedenen Stellen verdoppelten unser Wissen von Offenbachs
Komposition und bildeten die Basis einer neuen Ausgabe von Michael Kaye. Es handelt sich um Unterlagen, die der Direktor der Oper
Monte-Carlo, Raoul Gunsbourg, oder einer seiner Mitarbeiter 1904 bei der Vorbereitung einer Aufführung benutzte. Gunsbourg behielt
sie; sie wurden - was wie ein Wunder erscheint - mit seinem Nachlass in dem ihm gehörenden Schloss Cormatin in Burgund gefunden
und von Antonio de Almeida in ihrem Wert erkannt. 1993 wurde aus gleicher Quelle das Autograph des Finales zum Giulietta-Akt
angeboten.
Es wurde von Yves Josse erworben, der Jean-Christophe Keck mit der Edition
beauftragte. Eine Veröffentlichung wurde nach dem Tod von Josse nicht realisiert. 1998 erwarb der Musikverlag Schott eine Kopie
dieses Autographs und veröffentlichte sie im Rahmen der bei ihm als Aufführungsmaterial verlegten Kaye-Ausgabe.
Diese fast explosionsartige Vermehrung unseres Wissens über die Musik, die Offenbach für seine Contes d'Hoffmann vorsah, hätte
jedoch noch keine Sicherheit über die Gestalt der gesamten Oper geliefert. Eine Opéra comique besteht nicht nur aus den
Musiknummern. Mehrere der jetzt gut belegten Nummern widersprachen sich, ja schlosssen sich gegenseitig aus. Der intendierte
Handlungsablauf und damit die Sinngebung der Oper, selbst ihre Dramaturgie waren nicht genau zu erschließen. Diese Unsicherheit
beendete eine eigentlich seit Jahrzehnten öffentlich zugängliche, aber nie konsultierte Quelle. 1987 fand ich sie in den Pariser
Archives Nationales: das "Zensurlibretto". Akt IV und V mit ihren besonders wichtigen Informationen veröffentlichte ich 1988.
Die Titelseite trägt den von Carvalho unterschriebenen Vermerk "à jouer au théâtre de l'Opéra comique 5 janvier 1881" und links
oben den amtlichen Vermerk "6 janv 1881" sowie "2 février 81". Der Untertitel lautet "Drame lyrique". Das Datum vom 2. Februar
1881 (wohl einer zweiten Erlaubnis) entspricht der Voraufführung vom 1. Februar mit ihren gewaltigen Strichen und Umstellungen.
Glücklicherweise wurde bei der Zensur das ausführlichere Libretto nicht durch das neue ersetzt.
Diese Quelle dokumentiert, in welcher Form man Hoffmanns Erzählungen am 5. Januar 1881 geprobt und zur Aufführung vorgesehen
hatte. Sie gibt also wie eine Momentaufnahme die dramaturgische Gestalt der Oper wieder, wie Offenbach sie bei seinem Tod kurz
nach Probenbeginn am 5. Oktober 1880 hinterlassen hatte und wie sie inzwischen von seinen Nachlassverwaltern und den Repräsentanten
des Theaters aufführbar gemacht worden war. Dass sie diese Situation stichhaltig belegt, ergab schon der Vergleich mit dem
vorhandenen musikalischen Material. Vollends bestätigt wurde ihre Schlüsselrolle durch den späteren Fund des Giulietta-Finales
mit genau dem Text des Zensurlibrettos. (17 Seiten mit Dokumenten und Bildern)
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