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Dienstag, 30. Mai 2023

[‚Don't call me Maestra']

Musikzeitschriften im Portrait: Vivavoce

‚Don't call me Maestra'

Über alte Mythen und neue Förderungsmöglichkeiten

von Constanze Holze, aus: VivaVoce Nr. 62

(ungefähr 6 Seiten)

Berufsbild: "Dirigentin/Kapellmeisterin".
So einfach könnte es sein - man übernehme dabei die bestehende Klassifizierung der Arbeitsämter und wandle sie in ihre weibliche Form um. Wenn aber tatsächlich eine Künstlerin dieser Spezialisierung eine Arbeitsstelle sucht, so ist der Versuch auf diesem Wege von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die Vermittlungschancen stehen schlecht. Und dass das keineswegs nur der wirtschaftlichen Lage geschuldet ist, die Orchester und Bühnen derzeit hart trifft, bedarf keiner langen Erklärungen. Denn keine Position im klassischen Musikbetrieb ist mit historischem Ballast und mythenbeladenen Vorstellungen so überhäuft wie die des "Ersten" am Pult.

Womit wir bereits bei einem Punkt sind, der Frauen den Stock in der Hand so schwer werden lässt: die Tradition. Es ist sattsam bekannt: Unser Musikbetrieb ist ein Museum. Das gilt für das übliche Repertoire wie für die Strukturen, in denen hier Musik organisiert und an das Publikum gebracht wird. Orchester und Musiktheater mögen ihn zumeist, den genialischen Taktstockschwinger, den Bezwinger der Klanggewalten, den Typus des allgewaltigen "Maestros". Ganze Generationen von Orchestermusikern haben hier zur Mythenbildung beigetragen und Episoden in Anekdoten gefasst. Sie sollen an dieser Stelle nicht wiederholt werden, weil sie auf ein Rollenbild rekurrieren, das man getrost als überholt bezeichnen darf - und von dem sich heutige KünstlerInnen bewusst abzusetzen versuchen. Ob Wilhelm Furtwängler, Sir Thomas Beecham oder Arturo Toscanini (von Herbert von Karajan ganz zu schweigen), für sie alle war eine Frau am Pult kaum ernsthaft vorstellbar - allenfalls als interessante Kuriosität. Es ist jedoch überhaupt nicht nötig, allzu weit in der Historie zurückzuschauen, auch unter den Orchesterchefs dieser Tage halten sich Vorurteile noch immer. Selbst die alte Mottenkiste vorgeblicher physiologischer und psychologischer "Nachteile" wird immer wieder mal geöffnet, als müsse eine Frau mit der Energie und ehernen Kampfeslust eines Feldwebels ausgestattet sein, um die Massen eines Mahlerschen oder (schlimmer noch!) Wagnerschen Orchesterapparates mit sicherer Hand zu führen. Entsprechend selten sind die Wagner-Dirigentinnen zu finden. Berühmteste Expertin auf diesem musikalischen Terrain ist zweifelsohne Simone Young, derzeitige Chefin der Oper im australischen Sydney und hierzulande regelmäßige Gastdirigentin in größeren Musikstädten, zuletzt in Hamburg. Sie ist selbst unter den wenigen international wirklich bekannten Dirigentinnen sicher die große Ausnahme. Ihre Auftritte werden von der Boulevard-Presse mittlerweise ebenso kommentiert wie von den Fachzeitschriften für das Klassik-Publikum. Selbst BILD nennt sie in gewohnter Manier schon mal "die beste Dirigentin der Welt - wunderschön und weltberühmt". Immerhin fällt der Rekurs auf ihre attraktive Erscheinung inzwischen meist weniger offensiv aus als dies zu Zeiten einer Hortense von Gelmini noch gang und gäbe war. Unverhüllter Sexismus ist heutzutage nicht mehr en vogue. Vor allem als Operndirigentin hat Young sich im Bewusstsein der musikalischen Öffentlichkeit einen festen Platz erobert, den sie durch zunehmende Aktivitäten im Bereich der Orchestermusik erweitert. Es kann nicht verwundern, dass sie es kaum noch hören mag, immer und überall als "erste Frau" gefeiert zu werden. Das findet sie "nicht so lustig", wie sie einem ausgewiesenen Kenner der Materie, dem Journalisten Stefan Siegert, bei einem der inzwischen praktisch unzähligen Interviews berichtet. Doch so sehr sie dieses Kompliment auch müde lächeln lassen mag, vielleicht unterschätzt sie die Wirkung ihrer Auftritte. Es geht nicht um schmeichelhafte Superlative, sondern um Vorbilder. Insofern werden Frauen, die es in diesem harten Geschäft "zu etwas gebracht" haben, wirklich gebraucht.

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