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Donnerstag, 30. November 2023

[‚Don't call me Maestra']

Musikzeitschriften im Portrait: Vivavoce

‚Don't call me Maestra'

Über alte Mythen und neue Förderungsmöglichkeiten

von Constanze Holze, aus: VivaVoce Nr. 62

Seite 3

Dies teilt sie im Übrigen mit ihrer deutschen Kollegin Romely Pfund, der es ohnehin nicht in den Sinn käme, die Frage "Karriere oder Familie" zu stellen. Das ist nicht nur ein Überbleibsel ihrer "DDR-Vergangenheit", in der die berufstätige Mutter statt der Ausnahme die Regel war, sondern eher ein Zeichen für Organisationsgeschick und Disziplin. Ohne die geht es auch im Beruf der Dirigentin nicht. Lange Zeit Deutschlands einzige Generalmusikdirektorin bei den Bergischen Symphonikern, hat Romely Pfund inzwischen Gesellschaft bekommen. Catherine Rückwardt, die mit jener Titelzeile "Die Jungs teilen den Kuchen unter sich auf" als Kapellmeisterin an der Frankfurter Oper einst Furore machte, feiert am Mainzer Staatstheater regelrechte Triumphe. Sie tritt ihre zweite Spielzeit an und hat dem Haus die Aufmerksamkeit der Medien nicht nur gewonnen, sondern durch hochinteressante Inszenierungen auch gesichert. Neben ihrer Weiblichkeit ist das ein Merkmal, das verbindet: Abkehr vom gewohnten Trott, der Blick in die Zuschauerreihen der Theater. Rückwardts Intendanz kann sich über ein überdurchschnittlich volles Haus freuen. Und das heißt im Praxistest: Wer einmal da war, kehrt offensichtlich auch gern wieder. Mit Medienrummel allein ist das nicht zu erklären. Es mutet alles andere als zufällig an, dass Romely Pfund mit ihren Symphonikern vom Deutschen Musikverlegerverband für das "Beste[...] Konzertprogramm der Saison 2001/02" ausgezeichnet wurde. Sie ist sich für eine volkstümlich angehauchte "Balkannacht" keineswegs zu schade, wenn denn an geeigneter Stelle auch Schönbergs "Überlebender aus Warschau" seinen Platz hat. Gut gemischte Programme ziehen Publikum - und vielleicht lässt es sich ja sogar als ein Vorteil begreifen, dass Frauen eben nicht ins gewohnte Schema passen - es also auch nicht zwingend zu erfüllen brauchen. Man muss sie nur lassen.

Um wenigstens einigen aus der Menge der vielen hochbegabten Dirigierstudentinnen diese Chance zu geben, setzt ein bundesweit einmaliges Förderprojekt auf einjährige Praxiserfahrung. Unter der Obhut von Romely Pfund und im Zusammenwirken mit der Orchesterakademie der Bergischen Symphoniker wird jährlich ein Wettbewerb durchgeführt, in dem sich eine Künstlerin qualifizieren kann. Wer das Finale für sich entscheidet, hat Gelegenheit eine volle Saison den Alltag eines Orchesters kennenzulernen. Eigene Konzerte, Programmplanung, aber auch der organisatorische Alltag stehen hier im Mittelpunkt der Ausbildung. Mit der ersten Stipendiatin hatte das Bergische Dirigentinnenforum gleich einen Glücksgriff getan - Silke Löhr leitet gegenwärtig Chöre und das Orchester der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität und ist für dieses Jahr am Teo-Otto-Theater ausgesprochen dankbar. Vielseitigkeit und Effektivität bescheinigt sie der Zusammenarbeit mit Romely Pfund, Offenheit und Entgegenkommen dem Orchester. Ähnlich sieht es ihre Nachfolgerin Maria Makraki, die den Wert einer längeren Zusammenarbeit besonders hervorhebt. Einmalige Konzertprojekte, wie sie für die Gastspiel-Dirigate ja die Regel sind, geben wenig Möglichkeit, sich künstlerisch zu profilieren und auch zu entwickeln. Eine gute Basis und Breite sind für das erreichen eines Standards unverzichtbar, der dann auch die Gewähr für inspirierteund künstlerisch souveräne Interpretationen bietet. Das Überwinden jenes Momentes vor dem Orchester, in dem das Eis bricht, gelingt nur auf fundierter handwerklicher Basis - und selbst dann nicht in jedem Fall. Kommunikation ist ebenso wichtig. Gerade auf diesem Gebiet, den ‚soft skills' schreibt man Frauen bekanntlich besondere Fähigkeiten zu. Also eher ein Nachweis der besonderen Eignung für das Dirigieren? Marieddy Rossetto, dritte Stipendiatin des Dirigentinnenforums zeigt sich eher skeptisch, wenn sie meint, es dauere "bestimmt noch 30 Jahre, bis man sich daran gewöhnt hat", dass Frauen diesen Beruf ausüben. Andererseits beschreibt sie den Mangel an Vorbildern zugleich als Chance für die eigene freie Entwicklung. Dies sollte reichen, um dem Schubladendenken - nicht nur in Bezug auf Dirigentinnen - wirksam entgegenzutreten. Die Förderung durch das Dirigentinnenforum tritt mit dieser Saison in die vierte Runde und hatte mehr Bewerberinnen als je zuvor. Siegerin ist in diesem Jahr Tanja Goldstein, die bereits auf einige Erfolge verweisen kann. Zugleich wird deutlich: Förderung braucht Zeit. Vielleicht nicht die 30 Jahre, die Rossetto befürchtet, auf alle Fälle aber mehr als einige wenige Saisons.

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