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Mittwoch, 27. September 2023

[‚Don't call me Maestra']

Musikzeitschriften im Portrait: Vivavoce

‚Don't call me Maestra'

Über alte Mythen und neue Förderungsmöglichkeiten

von Constanze Holze, aus: VivaVoce Nr. 62

Seite 2

Wenn eine junge Dirigentin - während der Vorbereitung auf eine professionelle Laufbahn - nach ihrem Karriereziel gefragt - antwortet, sie strebe an, einmal zweite oder erste Kapellmeisterin zu werden, so lässt dies aufmerken. Kapellmeisterin also - aber warum nicht gleich GMD - oder ganz verkürzt "Opernchefin"? Selbst für dieses Ziel meint die von der Presse interviewte Studentin, müsse sie "als Frau besser sein als ein Mann". Mit dieser Einschätzung dürfte sieRecht behalten. Künstlerisches Selbstbewusstsein auf der einen Seite und pragmatische Selbstbeschneidung auf der anderen? Besagte Dirigentin hat inzwischen eine erste Stelle auf der langen Leiter hin zum vordersten Pult bekommen - und es ist ihr zu wünschen, dass es nicht dabei bleibt. Um weiter zu kommen, sollte sie den Blick wahrscheinlich weniger auf ihre männliche Konkurrenz richten, sondern sich für positive Vorbilder entscheiden, die es sehr wohl gibt. Nur tauchen sie in der öffentlichen Wahrnehmung viel zu wenig auf. Neben den "ganz Großen" - wie Marin Alsop, die einem breiten Publikum auch durch eine rege Einspieltätigkeit insbesondere für das Label Naxos bekannter wird oder Eve Queler, der ausgemachten Opernspezialistin, beleben insbesondere in der zeitgenössischen Musik hochqualifizierte Frauen das musikalische Geschäft.

Nirgends wird der Typus des herrschenden "Maestros" weniger geschätzt und gewünscht als in den Spezialgebieten: Moderne und Alte Musik. Kaum überraschend: Im Bereich der zeitgenössischen Musik findet sich die Komponistin in Personalunion mit der Dirigentin. Reine Autoritätsfragen werden für gewöhnlich schneller abgehandelt als im Stadttheater-Betrieb, denn hier geht es zuallererst um Können. Carmen Maria Cârneci gibt in der Mailänder Scala den Ton an und dirigiert ihre eigene Oper "Giacometti" in Zürich, Konstantia Gourzi gründete das Ensemble ‚attacca berlin', mit dem sie vorwiegend zeitgenössische Musik aufführte und ist heute in Frankfurt mit Werken wie "Mykene" in einem Abo-Konzert des Forums Neue Musik zu erleben. Dass dabei die Werke männlicher Kollegen nicht zu kurz kommen, versteht sich, doch umgekehrt ist dies nach wie vor noch nicht ganz so selbstverständlich. "Es ist nicht mein Ziel, männlich zu werden", hat sie in einem Interview mit der Luxemburgischen Zeitschrift "pizzicato" einmal bekräftigt und auf die Unterschiede in der jeweiligen Haltung auf dem Podium verwiesen. Ohnehin führt die Suche nach dem "kleinen Unterschied" in der künstlerischen Umsetzung leicht ins Leere oder hinein ins Klischee. Als spezifisch weiblich geltende Eigenschaften wie Einfühlungsvermögen oder ein nicht-autoritärer, sondern eher kollegial gehaltener Umgangston sind für viele demokratischer geführte Ensembles der Neuen Musik geradezu eine Bedingung des künstlerischen Arbeitens. Wer sich hier gebärdet wie ein Alleinherrscher, dem entgleiten MusikerInnen wie Musik. Grund genug für die These, dass ein avancierteres Repertoire im Ganzen auch eine Chance für den qualifizierten Nachwuchs darstellen könnte. Wobei nicht alte Mythen durch neue ersetzt werden sollen: Oft genug sind es gerade kleinere Häuser, die fähigen jungen Frauen die Möglichkeit eröffnen, sich ein Repertoire anzudirigieren. Nicht auszudenken, was geschieht, wenn die ehemals blühende und vielfältige Orchesterlandschaft - insbesondere im Bereich der neuen Bundesländer - durch die gegenwärtigen Sparkolonnen ausgetrocknet und eingedampft wird. Im Verlauf des Projektes "Dirigentinnen-Reader" des Archivs Frau und Musik, Frankfurt a.M., das sich das Ziel gesetzt hat, eine Informationslücke zumindest teilweise zu schließen, hat sich gezeigt, dass der Nachwuchs in den Startlöchern seine Chance sucht. Nicht allein die Zahl der Dirigentinnen ab Jahrgang 1970 und jünger überraschte, sondern auch ihre bereits erworbene - oftmals erstaunlich hohe - Qualifikation. Abgesehen von den ganz Jungen ist die Zahl der Dirigentinnen überhaupt beträchtlich. Es hat den Anschein, als griffen hier die gleichen Karrierehindernisse wie im allgemeinen gesellschaftlichen Leben - nur greifen sie hier noch gründlicher durch. Ein unstetes Leben zwischen saisonalen Engagements verträgt sich schlecht mit Familie. Eine längere Pause im künstlerischen Prozess, "Leerzeiten" in der künstlerischen Vita bedeuten schnell das Aus oder Abschieben in die zweite Reihe. Insofern ist einer der besten Karrierebausteine für eine Dirigentin ein Partner, der die Verwerfungen eines so harten und von immensem Konkurrenzdruck geprägten Geschäfts mitträgt und Klischees ebenso zuwiderhandelt wie sie selbst. Dass "Dirigentin-Sein" nicht auch den Verzicht auf menschliche Wärme in dieser Art bedeutet, auch hierfür bietet Simone Young (gewollt oder nicht) ein schlagendes Beispiel - zwei Kinder zieht sie groß.

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