Ich machte damals anfänglich alles einfach nur aus dem Gefühl: Ich will singen und sonst nichts. Ich erinnere mich
noch, wie ich da auf die Bühne kam. Ein Riesending für meine Verhältnisse! Ein verstimmtes Klavier - auch in
Bayreuth - und einer, der darauf dementsprechend spielte. Aber ich war so stabil, da konnte mir nichts passieren. Ich
sang also, und der Wieland saß unten im Zuschauerraum. Dann stand er auf und sagte: "Sie sind engagiert." Er
sagte nicht, warum und wieso. Erst später sagte er mir den Grund: Ich habe ihm damals gefallen. Ich war damals
sehr schlank, noch ausgehungert vom Krieg, und mein "Katzengesicht" habe ihn interessiert, denn er wollte keine
hehre Kundry haben, sondern eine menschliche. Er hat einmal gesagt: "Ich will keine Kostüme haben. Ich möchte
nur, dass man mir die Protagonisten bedeckt." Er orientierte sich sehr an den griechischen Mythen. Und da hatte ich
das Glück hineinzupassen. Er war der Initiator der neuen Zeit. Er sagte das oft: "Ich will die neue Zeit einleiten." Er
erfand alles mögliche, eine neue Beleuchtungstechnik, die schräge Bühne. Ich erinnere mich an eine
"Parsifal"-Inszenierung, wo er nur mit Licht arbeitete. Er ließ einen Rundhorizont aufziehen und mit Licht Säulen
darauf projizieren. Und wenn dann abends die Beleuchtung komplett war, dann war es der schönste Dom, den man
sich denken kann.
Das Orchester:
Wieland Wagner prägte das Nachkriegs-Bayreuth. Was für ein Mensch war er?
Mödl:
Das bin ich oft gefragt worden. Aber ich konnte nie eine erschöpfende Antwort geben. Er war übersensibel, weil er
eben ein Künstler war. Es gab nichts, was einen an seine Geheimnisse führte. Eine richtige Beziehung zu anderen
Menschen gab es bei ihm nie. Er war nie böse oder verärgert, wenn man etwas falsch machte. Er konnte einem
wunderbar erklären, was er wollte. Aber vormachen konnte er es nicht. Er hatte keinen Bewegungscharme. Er kam
immer auf den Punkt, der für die Szene wichtig war. Komischerweise hörte er auf, wenn er Leute hatte, die das, was
er nicht konnte, auch nicht konnten. Dann dachte er, dass er das ändern müsse. Er hatte zum Beispiel einmal einen
holländischen Kurvenal. Wenn der lief, dann hat er immer beide Arme gleichzeitig vor und zurück genommen. Das
störte Wagner so furchtbar. Ich saß damals im Zuschauerraum und beobachtete ihn. Er wusste gar nicht mehr, was
er machen sollte. Plötzlich hatte er eine Idee. Er stand auf, rief nach der Requisite und sagte: "Bringen Sie mir ein
Schwert." Und dann nahm er das Schwert, ging auf die Bühne, ging zu ihm hin und sagte: "Wissen Sie, ich suche
schon seit langem nach einem Emblem für die Treue des Kurvenal. Nehmen Sie das Schwert und halten Sie es so
schräg vor die Brust." Der Sänger pendelte nie wieder mit den Armen, weil er ja nicht konnte. Das war Wieland
Wagner.
Das Orchester:
Wieland Wagner hatte es ja sicher nicht leicht mit der Etablierung von Neubayreuth, denn es lebte ja noch
Winifred Wagner.
Mödl:
Nun ja, das kann schon sein, denn die Frauen in Bayreuth spielen ja immer eine große Rolle, bis zum heutigen Tag.
Und das wollte Wieland nicht. Er wollte einfach nicht, dass Frauen wieder so einen Einfluss haben wie Cosima,
seine Großmutter. Er wehrte sich so dagegen, dass er seiner Mutter verboten hat, die Proben zu besuchen oder
überhaupt am Hügel zu erscheinen. Und es gab ja auch massig Auseinandersetzungen. Aber interessant bleibt
doch, dass immer die angeheirateten Frauen so eine unglaubliche Rolle spielen wollen. Bis heute.
Das Orchester:
Frau Mödl, welche Erinnerungen haben Sie an Ihre frühen Jahre in Bayreuth?