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Sonntag, 26. März 2023

[Gruselmusik]

Musikzeitschriften im Portrait: Das Orchester

Gruselmusik

Abseitiges und Bedrohliches als Thema von Kompositionen

von Günter Buhles, aus: Das Orchester 11/99

Seite 2

Mit Monteverdi hat alles begonnen
Wie weit ist bei der Suche nach Darstellungen des Abseitig-Rätselhaften in der Musik zurückzuschauen? Wobei es natürlich nicht darum gehen kann, auch in jedem Fall "Romantisches" ausfindig zu machen. Am Anfang steht gewiss - wie überhaupt in der Oper - Claudio Monteverdi mit seinem Orfeo ("Favola in musica"), der ersten Oper großen Stils, die er 1607 für den Herzog von Mantua geliefert hat. Dass Eurydike mitten in einer Zeit des Glücks mit Orfeo von einer giftigen Schlange gebissen wird und stirbt und dass der Titelheld ihr zur Suche und Rettung in die Unterwelt folgt, dies ist Signum für den Willen des Renaissance-Musikers, dem Hörer und Seher mehr als einfach eine Geschichte zu erzählen. Es geht ihm um Erregung und Erschütterung, um Bewegung und Katharsis, auch durch Schilderung von Angst und Schrecken. Allerdings ist bei Monteverdi die Orchesterbegleitung, selbst wenn es instrumentale Ritornelle elegischer Art und "sinfonische" Zwischenspiele gibt, noch nicht eigentlich an illustrativer Darstellung orientiert. Es sind die Gesangspartien, zum Teil auch die homofonen und polyfonen Chöre, in welchen das Wichtigste gesagt wird. Das ist bei Monteverdi gerade das Neuartige: Die Personen treten als Individuen ins Zentrum. Und ihr Ausdruck, ihre Emotionen haben die dramatischen Hintergründe und psychischen Abgründe zu transportieren. Die Rede ist von einer "musica affetuosa".3 Gerade die auch für uns Heutige noch eindrucksvolle Orpheus-Partie nimmt den Hörer durch seine Identifikation mit dem Helden ins Erleben hinein.

Glucks Reformoper und der Grusel des Orpheus
Ohne die Tragkraft des vokalen Ausdrucks zu mindern, ja mit dem Willen sie noch zu verstärken, wird bei Orpheus und Eurydike aus dem Jahr 1762 von Christoph Willibald Gluck, dem Meister der auf gesteigerte Lebendigkeit abzielenden sogenannten Reformoper, die Bedeutung des Orchesters größer und damit auch die illustrative Wirkung des ganzen Werks breiter. So wirkt die Ouvertüre zwar noch festlich und damit eher indifferent, zwar gibt sie sich zu Beginn vital, ja geradezu brillant, doch in den Moll-Passagen deutet sie unverkennbar Bedrohung und Tragik an. Sobald der Chor bei "Oh, wenn in diesen dunklen Hainen" nach lyrisch-elegischem Orchestervorspiel sehr gedämpft einsetzt, ist die Gegenwart des Todes in der Unterwelt atmosphärisch-auratisch spürbar. In dem wiederholten "Eurydike!"-Ruf des Helden - die Pause dazwischen unterstreicht seine Not - hat das Publikum Teil an dessen Angst und Verzweiflung. Und beim Tanz der Furien an der Schwelle des Tartarus erlebt der Opernbesucher ein, nein: das frühe Beispiel einer instrumentalen Gruselmusik. In diesem reinen Orchestersatz aus wiederholten, bedrohlich abwärts laufenden Linien im Kontrast mit gezackten Aufwärtsbewegungen, unterbrochen durch längere Noten, wird mit toller Dramaturgie die Ahnung von Schrecken erzeugt. Für den Hörer des 18. Jahrhunderts war es gewiss mehr als nur eine Ahnung!

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