![[Gruselmusik]](dasorchester/logo.jpg)
Musikzeitschriften im Portrait: Das Orchester
Gruselmusik
Abseitiges und Bedrohliches als Thema von Kompositionen
von Günter Buhles, aus: Das Orchester 11/99
Seite 2
Mit Monteverdi hat alles begonnen
Wie weit ist bei der Suche nach Darstellungen des Abseitig-Rätselhaften in
der Musik zurückzuschauen? Wobei es natürlich nicht darum gehen kann, auch
in jedem Fall "Romantisches" ausfindig zu machen. Am Anfang steht gewiss -
wie überhaupt in der Oper - Claudio Monteverdi mit seinem Orfeo ("Favola
in musica"), der ersten Oper großen Stils, die er 1607 für den Herzog von
Mantua geliefert hat. Dass Eurydike mitten in einer Zeit des Glücks mit
Orfeo von einer giftigen Schlange gebissen wird und stirbt und dass der
Titelheld ihr zur Suche und Rettung in die Unterwelt folgt, dies ist
Signum für den Willen des Renaissance-Musikers, dem Hörer und Seher mehr
als einfach eine Geschichte zu erzählen. Es geht ihm um Erregung und
Erschütterung, um Bewegung und Katharsis, auch durch Schilderung von Angst
und Schrecken. Allerdings ist bei Monteverdi die Orchesterbegleitung,
selbst wenn es instrumentale Ritornelle elegischer Art und "sinfonische"
Zwischenspiele gibt, noch nicht eigentlich an illustrativer Darstellung
orientiert. Es sind die Gesangspartien, zum Teil auch die homofonen und
polyfonen Chöre, in welchen das Wichtigste gesagt wird. Das ist bei
Monteverdi gerade das Neuartige: Die Personen treten als Individuen ins
Zentrum. Und ihr Ausdruck, ihre Emotionen haben die dramatischen
Hintergründe und psychischen Abgründe zu transportieren. Die Rede ist von
einer "musica affetuosa".3 Gerade die auch für uns Heutige noch
eindrucksvolle Orpheus-Partie nimmt den Hörer durch seine Identifikation
mit dem Helden ins Erleben hinein.
Glucks Reformoper und der Grusel des Orpheus
Ohne die Tragkraft des vokalen Ausdrucks zu mindern, ja mit dem Willen sie
noch zu verstärken, wird bei Orpheus und Eurydike aus dem Jahr 1762 von
Christoph Willibald Gluck, dem Meister der auf gesteigerte Lebendigkeit
abzielenden sogenannten Reformoper, die Bedeutung des Orchesters größer
und damit auch die illustrative Wirkung des ganzen Werks breiter. So wirkt
die Ouvertüre zwar noch festlich und damit eher indifferent, zwar gibt sie
sich zu Beginn vital, ja geradezu brillant, doch in den Moll-Passagen
deutet sie unverkennbar Bedrohung und Tragik an. Sobald der Chor bei "Oh,
wenn in diesen dunklen Hainen" nach lyrisch-elegischem Orchestervorspiel
sehr gedämpft einsetzt, ist die Gegenwart des Todes in der Unterwelt
atmosphärisch-auratisch spürbar. In dem wiederholten "Eurydike!"-Ruf des
Helden - die Pause dazwischen unterstreicht seine Not - hat das Publikum
Teil an dessen Angst und Verzweiflung. Und beim Tanz der Furien an der
Schwelle des Tartarus erlebt der Opernbesucher ein, nein: das frühe
Beispiel einer instrumentalen Gruselmusik. In diesem reinen Orchestersatz
aus wiederholten, bedrohlich abwärts laufenden Linien im Kontrast mit
gezackten Aufwärtsbewegungen, unterbrochen durch längere Noten, wird mit
toller Dramaturgie die Ahnung von Schrecken erzeugt. Für den Hörer des 18.
Jahrhunderts war es gewiss mehr als nur eine Ahnung!
Portrait

"Bei der großen Musik ist es eine Frage auf Leben und Tod."
Der Pianist Herbert Schuch im Gespräch mit klassik.com.
Sponsored Links
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen