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Mittwoch, 27. September 2023

[Mozarts Skizzen]

Musikzeitschriften im Portrait: Acta Mozartiana

Mozarts Skizzen

von Ulrich Konrad, aus: Acta Mozartiana Heft 3/4 Dezember 1998

Seite 3

Wir werfen zunächst einen kurzen Blick auf die eben erwähnte erste Dokumentengruppe, um ahnen zu können, wie der Mythos entstanden ist. Anschließend sollen Mozarts Skizzen mit wenigen Strichen charakterisiert werden.

In der Zeit, als Mozart noch lebte, scheint sich für seine Arbeitsweise niemand interessiert zu haben. Warum auch? Daß ein Komponist schnell und viel arbeitete, war die Regel. Sich um Schreibtischvorgänge zu kümmern, lag den Zeitgenossen fern, abgesehen davon, daß kaum jemand sich die Indiskretion des ,Über die Schulter Schauens' erlauben durfte. Auch nach Mozarts Tod gab es wichtigere Dinge zu bedenken. Als Abbé Maximilian Stadler, ein Wiener Bekannter der Mozarts, und Georg Nikolaus Nissen, der spätere zweite Gatte Constanze Mozarts, in den Sommermonaten 1798 und 1799 den Noten-Nachlaß durchsahen und ordneten, warfen sie selbstverständlich alles in ihren Augen Wertlose weg. Nach den Worten Constanzes war es viel, was "gänzlicher Unbrauchbarkeit wegen vernichtet worden ist."6 Um diese Zeit herum setzten aber auch nachhaltige Bemühungen ein, Mozarts Bedeutung im öffentlichen Bewußtsein zu heben. Wir dürfen nicht vergessen: Mozart starb als zwar bekannter, nicht aber als unumstritten berühmter Komponist. Immer wieder erhoben sich neben lobenden auch kritische Stimmen, die etwa Mozarts Gedankenfülle der Unübersichtlichkeit zeihten, seine Instrumentation in den Opern überladen nannten oder seine Harmonik generell unnötig schwierig fanden.7 Auch der Mensch Mozart blieb von Vorwürfen nicht frei; seine angeblich ungebundene Lebensart und seine unordentlichen häuslichen Verhältnisse wurden bemängelt.

Angesichts solcher Einschränkungen fühlte sich als einer der ersten Friedrich Rochlitz auf den Plan gerufen. Er hatte 1798 in Leipzig die Redaktion der Allgemeinen musikalischen Zeitung übernommen, des fortan führenden deutschsprachigen Musikperiodikums. Eine Maxime des in der Zeitschrift waltenden Auffassung war, vereinfacht ausgedrückt, daß Musik nur dann eine dem Menschen würdig zu erachtende Kunst sei, wenn sie seine sittlichen Kräfte stärke. Musik hatte eine moralisch reine Kunst zu sein. Damit ging die ,Genialisierung' des Komponisten einher. Seine schöpferische Kraft war Ausdruck überweltlichen Wirkens, göttlicher Gnade. Der gottbegnadete, inspirierte Künstler aber mußte zwangsläufig auch ein guter Mensch sein. Im Blick auf Mozart bedurfte es also zweier Nachweise, einmal der unfaßbar hohen Begabung und dann der moralischen Integrität. Uns interessiert hier nur das Erste. Rochlitz erkannte genau, daß ein breites Publikum von der hohen Qualität der Mozartschen Werke, und somit von der Genialität ihres Verfassers, nur schwer mit scharfsinnigen musiktheoretischen Analysen, sondern viel eher mit Wunderberichten zu überzeugen war. Nichts beeindruckt Menschen mehr als Nachrichten über Dinge, die sie ohnehin, selbst nach Erklärung, nur schwer begreifen können. Wie ein Komponist Noten aufschreibt und sich dabei vorzustellen vermag, wie das Geschriebene klingt, ist auch heute noch dem Laien vielfach ein Rätsel. Was aber soll man erst denken, wenn ein Mann wie Mozart angeblich in einer Stunde eine große Violinsonate im Kopf komponiert, nur die Violinstimme aufschreibt und dann in einem Konzert auswendig begleitet, ohne sein Stück jemals zuvor gehört zu haben? Solche Anekdoten streute Rochlitz ins Publikum. Er brauchte noch nicht einmal vorsätzlich zu lügen - es genügte das geschickte Arrangement von Dichtung und Wahrheit, von Fakten und Fiktion. Über die Entstehung der Violinsonate B-Dur KV 454, um das gemeinte Beispiel zu erläutern, berichtet Mozart selbst nur flüchtig in einem Brief an den Vater.8 Trägt man jedoch alle verbürgten Fakten zusammen und studiert Mozarts Autograph, so stellt man fest: Der Komponist hat an der Sonate mindestens sieben Tage, wenn nicht mehr, arbeiten können (und auch gearbeitet), er hat im ersten Satz von 159 Takten seines Klavierparts 93, im zweiten 56 von 116 und im dritten 111 von 269 unterschiedlich vollständig skizziert und eingetragen.9 Daß er dabei zusätzlich am Instrument probiert hat, darf als sicher gelten, wissen wir doch aus mehreren Briefen Mozarts, daß er ohne Klavier nicht habe komponieren können oder wollen. Doch davon wußte die Öffentlichkeit nichts.

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