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Musikzeitschriften im Portrait: Österreichische Musikzeitschrift
MUSIKZEIT–Rezensionen
Sabine Reiter (HG.): Dieter Kaufmann "Ich gehe im Himmel der Pfützen"
von Karlheinz Roschitz, aus: Österreichische Musikzeitschrift 09/2010
Buchrezensionen signalisieren mehr als nur ‚Topp‘ oder ‚Flopp‘. Fachkenner ordnen neue Publikationen nach den inhaltlichen Kriterien von wissenschaftlicher Erkenntnis / der Einarbeitung des Forschungsstandes sowie in der Form nach Vermittlungsqualität / Benutzerfreundlichkeit. So wurden seit Gründung 1946 in dieser Publikation die Fähigkeiten der Fachleuten mit den Interessen der Leser vereint und insbesondere seit 1976 dank der Betreuung von Univ.-Prof. Manfred Wagner konsequent aufgebaut und systematisch durch Themen-Fokus, Kurzkritiken, tabellarischen Überblicke bzw. MUSIKZEITtipps als Service der Redaktion insgesamt noch ergänzt. Durch die so entstandene Marktführerschaft im deutsprachigen Raum wurde ein eigener Band Reg-ist-er als Nachschlagewerk aller Buchrezensionen erstellt. Im Jahr 2000 umfasste er ca. 2000 Musikpublikationen. Der Fokus liegt auf der Musik aus Mitteleuropa, aber erstreckt sich auch zu fremdsprachige Publikationen. Als Muster die aktuelle Rezension:Sabine Reiter (HG.): Dieter Kaufmann „Ich gehe im Himmel der Pfützen“.
(Komponisten unserer Zeit Bd. 30. Wien, Verlag Lafite Musikzeitedition 2010. Mit CD „Die Reise ins Paradies“ nach Musils Mann ohne Eigenschaften, 320 S. 48 €) Er ist ein Überraschungs- und Zauberkünstler, ein „Maschinist“ und Abenteurer der Konkreten Musik, der mit den verschiedensten Musikbereichen ein Leben lang jongliert und Musik stets im weitest möglichen Zusammenhang gesehen hat. Bereits in der Einleitung ihrer eindrucksvollen monographischen Materialsammlung weist Herausgeberin Sabine Reiter auf Kaufmanns „ganzheitliches“ Bild von Musik, auf seine Techniken der kunstvollen Vernetzung vielfältiger Bereiche und auf sein (Denk-)Prinzip der Zusammenschau hin: Musik und Kirche, Musik und Politik, Musik und Ideologie, Musik über Musik, die Eroberung des weiten Feldes der Elektroakustik, der Kaufmann von Jugend auf in seinem Schaffen eng verbunden war, und besonders die „Entdeckung“ der akusmatischen Kunst, aber auch die Auseinandersetzung mit der Form der „alten“ Oper und die Suche nach neuen Formen des Musiktheaters ... das alles sind Facetten seines umfangreichen Œuvres, denen Sabine Reiter, Kaufmann selbst, aber auch Kaufmanns Kollege als Universitätsprofessor, Hartmut Krones, ein Beobachter und „Weggefährte“, in kritischen Beiträgen nachgespürt haben. Der Schlüssel zu diesen Werkbereichen wie zu den Produktionen des international erfolgreichen K & K Experimentalstudios des Komponisten ist dabei das vollständige Werkverzeichnis: 123 Kompositionen Kaufmanns tragen dabei Opuszahlen; eine Reihe zwischen etwa 1958 und 2002 komponierter Stücke, die für verschiedenste Anlässe und Gelegenheiten wie den Carinthischen Sommer, den Moskauer Herbst, zum 70. Geburtstag seines Lehrers Gottfried von Einem oder als Bühnen-, Film- und Hörspielmusiken entstanden, sind ohne Opuszahlen. Kaufmann als Medienkünstler stellt das umfangreiche diskographische Verzeichnis vor. Und um sich im Labyrinth von Kaufmanns vielfältigen theoretischen Überlegungen zu „musique concrète“ und „akusmatischer Kunst“ zurecht zu finden, sollte man in seinen Basis-Aufsätzen und hinzugefügten kritischen Kommentarzitaten nachlesen, die die einzelnen Kapitel dieses Lesebuchs, einer beispielhaft genau gemachten Studie, erhellend ergänzen, so etwa Carl Dahlhaus’ analytischen Beitrag zu Kaufmanns Volksoper (nach Gert F. Jonkes Hinterhältigkeit der Windmaschinen, 1978). Es ist sozusagen eine Garantie für Genauigkeit und Präzision der Darstellung von Leben und Werk Dieter Kaufmanns, dass Sabine Reiter zuletzt dem Komponisten selbst, den engagiert mitarbeitenden Mitgliedern seiner Familie, vor allem seiner Frau Gunda König, und der Verlegerin Marion Diederichs-Lafite sehr persönlich dankt: Sie alle haben die verwendeten Materialien genau zugeordnet, gesichtet, analysiert und sich bemüht, Dieter Kaufmann, diesen „Aktivposten im Spektrum der österreichischen Gegenwartsmusik“ in seiner Energie, ja Besessenheit darzustellen. Denn der Überraschungs- und Zauberkünstler, Maschinist und Abenteurer ist – so Sabine Reiter – auch Dirigent, Regisseur, Veranstalter, Organisator, Initiator – wer wollte seinen in der Wiener „Alten Schmiede“ gestalteten, traditionsreichen Festivalzyklus „Elektronischer Frühling“ vergessen! – und obendrein Lehrer, Literat, Kurator, Radiomitarbeiter, Präsident, Feuilletonist, (Kultur-)Politiker, Musiker, Sänger, Darsteller, Dekan, Ehemann und Familienvater. Seine Stärke ist seine Freude, Erreichtes, auch in seinen Kompositionen, unablässig zu hinterfragen und voll auf die „Widerständigkeit“ gegen vorherrschende Dogmen zu setzen – egal ob das seiner Karriere förderlich war oder nicht. „Er findet mit seinen ungewöhnlichen Besetzungen und unkonventionellen Stücken nur schwer einen Verlag, und als er endlich bei Schott ist, gibt es auch schon Unstimmigkeiten über den Opernstoff, dem Kaufmann sich widmen will.“ Diese Haltung führt ihn, vom Erlebnis der Pariser Studentenrevolution 1968 ausgehend, in seinem Werk in eine politisch engagierte Richtung. 1987 bis 1993 wird er sogar Grün-Politiker im Gemeinderat von Feldkirchen in Kärnten. Davon ausgehend, verfolgt das Buch die verschiedenen Entwicklungsstränge in Kaufmanns Denken und Arbeiten. Von den Lehrjahren bei Karl Schiske und Gottfried von Einem in Wien und bei Olivier Messiaen und René Leibowitz in Paris über Schlüsselwerke wie Evocation (nach Ingeborg Bachmann) zum großen Abenteuer der Elektroakustik, das er bei Pierre Schaeffer und François Bayle, in der „konkreten Musik“ und der „Geburt der akusmatischen Kunst aus dem Geiste der Musik“ erfährt. Alle seine vielfältigen, vielschichtigen Werke, ihre Tendenzen und Hintergründe oder seine Erfahrungen als Musiktheater-Schöpfer (K & K Experimentaltheater) auch nur zu erwähnen, ist unmöglich, ebenso wie seine vielen Haltungen, die er in fast fünfzig Jahren durchläuft und die in Werken wie Volksoper ihren Höhepunkt erfahren: Carl Dahlhaus siedelte das Werk zwischen „musikalisch-dramatischer Avanciertheit und politischem Engagement an ...“ als einen Versuch, die These zu widerlegen, dass „entweder das Engagement die Musik oder umgekehrt die Musik das Engagement erstickt“. Ein Satz, der für vieles im Œuvre wie im Denken Dieter Kaufmanns steht. Hans Weigel hatte Recht wenn er Kaufmann schrieb: „Sie sind ein großer Komponist. Sie sind nicht mehr Avantgarde. Sie sind Garde!“
Portrait

"Man muss das Ziel kennen, bevor man zur ersten Probe erscheint."
Der Pianist und Organist Aurel Davidiuk im Gespräch mit klassik.com.
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