
Dialog für Pianist und Manager, erster Teil
KV 482
Aron Sayed am 13.08.2007 um 19:02 Uhr
KV 482
Hinter der Bühne eines großen Konzertsaals, im Warteraum für die Künstler. Der weltberühmte, alternde Pianist Roland Seidenbach und sein junger Manager Goldmaul warten auf das Signal zum Konzertbeginn. Im holzverkleideten Raum befindet sich ein Flügel. Rechts die Tür zum Konzertsaal, links die Tür zum Backstage- Bereich. Nach hinten ein kleiner, nicht sichtbarer Waschraum.
Man hört den Beginn des dritten Satzes aus Mozarts Klavierkonzert Nr. 22 in Es Dur, KV. 482. Die Figuren rühren sich nicht und hören zu, ohne irgendeine Regung zu verraten.. Seidenfeld, im Frack und mit einer brennenden Zigarette in der Hand, steht neben dem Flügel, Goldmaul, teuer wie geschmackvoll gekleidet, sitzt rechts an der Wand auf einem Stuhl. Plötzlich endet die Musik wie abgeschnitten.
Seidenbach: (umherlaufend) Ach geh! Mozart liegt mir nicht so wie andere Komponisten. Das behaupten sie zumindest! Diese verdammten Aasgeier!
Goldmaul: Beruhige dich, nur weil es zum ersten Mal Mozart ist.
Seidenbach: Aber das erste Mal im Konzert!
Goldmaul: Falls es dir jetzt zu früh ist, dann können wir zuerst eine DVD aufnehmen, man muss immer mit der Zeit gehen.
Seidenbach: So ein Unsinn!! Ich verzichte auf ihre Erwartungen, die es mir schwer machen sollen. Schon bei meiner ersten Live-Aufnahme haben sie gegen mich gearbeitet!
Goldmaul: Das bildest du dir doch ein.
Seidenbach: Ich hatte mich vorher informiert, die konnten mir gar nix! Und dann verschiebt einer „versehentlich“ das Mikro für die tiefen Saiten, das hat die ganze Aufnahme versaut!
Goldmaul: Du solltest dich etwas zügeln, bitte. Nicht auszudenken, falls ein Phonoreportreporter mithört, so dick sind die Wände hier keineswegs. Außerdem, warum hast du denn damals nichts gesagt?
Seidenbach: Phonoreportreporter! Findest du so etwas angesichts meiner angespannten Verfassung etwa witzig?! Ich hab es doch erst gemerkt, als die CD schon draußen war! Und DVDs sind schon wieder veraltet. Man müsste mich mindestens am Zoll festhalten, oder was ähnliches. (gerät ins Grübeln) Drogen... Drogen wären ein mögliches Thema, das einem Sympathie einbringen könnte,... leichte Drogen natürlich.
Goldmaul: Dafür ist dein Publikums- und Kundenkreis aber zu alt, so etwas würden die nicht verstehen. Wir verlören Einnahmen!
Seidenbach: (höhnt) Verlören, verlören! Achte lieber auf deine albernen Konjunktive! Wie lange bist du nun mein Manager? Wenn du deine Aufgabe richtig erledigen würdest, an meinem Ruhm und meiner Karriere zu arbeiten, dann fiele dir ein, dass die Hälfte meiner Käufer sowieso seit einigen Jahren nach und nach wegstirbt, und dieser Prozess neigt sich bereits seinem Ende zu, weißt du, was ich meine!? Aber das ist ja eine überflüssige Frage, nicht wahr? Junge Käufer und junges Publikum müssen von mir überzeugt sein. Folglich sind Drogen durchaus eine Alternative.
Goldmaul: Du bist ein ziemlicher Zyniker, so kannte ich dich noch gar nicht. (überlegt) ...Wir könnten dich tatsächlich am tschechischen Zoll aufgrund von Drogenbesitz für ein paar Stunden festhalten lassen. Dein übernächster Auftritt findet ja schließlich in Prag statt. So etwas zu inszenieren wäre nicht schwierig, ich kenne die Zuständigen.
Seidenbach: Nein, der Zoll wäre zu viel. Das gibt nur schlechtes Image. Ich brauche keine öffentliche Bloßstellung, die Nachricht sollte amüsant und sympathisch wirken, bloß ein kurzes Aufsehen-errregen für nebenbei, das man in guter Erinnerung behält.
Goldmaul: Auch schlechte Nachrichten über dich sind gute Nachrichten, doch das bringt mich auf eine Idee… (wird unterbrochen)
Servicekraft: (ist von links eingetreten) Noch zehn Minuten, der Herr.
(Goldmaul nickt ihr zu, während Seidenfeld sie ignoriert)
Goldmaul: …wir nehmen ein kurzes Tonband mit einem Interview von dir auf. Oder nein, besser! ein Paparazi klaut dein altes Tagebuch während ein Empfangs bei dir Zuhause stattfindet. Darin entdeckt er einen Eintrag, der deinen ersten Marihuanarausch beschreibt. Das brauchst du nicht mal selbst zu schreiben. Das Tagebuch landet bei irgendeinem liberalen Blatt oder Männermagazin. Es wäre nach dem Erscheinen auch eine charmant-freche Stellungnahme von dir vorstellbar, ein, höchstens zwei Sätze, wie: „In meiner Jugend war´ s noch billiger“, und drunter steht: Millionenpianist Seidenbach über seine Erfahrungen in den Siebzigern.
Seidenbach: (freudig) Die Idee gefällt mir. Für wann setzen wir diesen Empfang an?
Goldmaul: Nach dem Konzert in Prag. Für dein Tagebuch benutzen wir einige Skizzen aus deiner Biographie und erweitern sie schnell um den besagten Absatz, ist überhaupt kein Problem.
Seidenbach: Der Mann gefällt mir! (klopft ihm spielerisch-anerkennend auf die Schultern) Sehr schön. ( Leiser) Hast du was mit?
Goldmaul: Natürlich, ich bin Geschäftsmann. (reicht ihm ein kleines, mit weißem Pulver gefülltes Plastikbeutelchen) Aber geh damit nach drüben, falls jemand reinkommt.
Seidenbach: (Sich in den Waschraum begebend, auf das Thema aus Mozarts Klarinettenkonzert, erster Satz, singend ) Mo-zart, ich wa-a-a-rt auf dich…
Goldmaul: (Lauter) Ich versteh deine Ängste übrigens nur zu einem geringen Teil, denn technisch hat er doch nie und nimmer wirkliche Schwierigkeiten aufzuweisen: Ein paar Läufe beidhändig, dankbar in den Fingern liegende Melodien in der Rechten, gängige Dreiklangsbegleitung in der Linken.
Seidenbach: Das ist längst nicht alles. Weißt du, was er für Risiken birgt! Ich muss historisch klingen, hast du schon mal was von „historischer Aufführungspraxis“ gehört?
Goldmaul: Natürlich, ich hab diese Bewegung zwecks Marktankurblung in die Gänge gebracht, aber dann spiel halt weniger Legato, nimm noch ein bisschen die Füße vom Pedal…
Seidenbach: Und die Form zu meistern! Mozart muss in einem Atemzug gesungen werden, am besten gleich den ganzen Satz. Höchsten im zweiten Ritornell lässt sich ein wenig verschnaufen. „Bloß nicht den Faden verlieren“, hat mein alter Professor gesagt…
Goldmaul: Deine Kritiker jubeln seitdem du angefangen hast zu spielen. Es gibt keinerlei Grund zur Sorge.
Seidenbach: Weiß du denn nicht, wie wichtig Mozart für einen Pianisten ist?! Misslingt dir der Mozart, dann kannst du selbst den Rotwein auf deinen Wrack gekippt, denn sauber bekommst du ihn ab diesem Tag deiner öffentlichen Bloßstellung sowieso nie wieder. Es bedeutet einen großen Makel, die Fähigkeit nicht zu besitzen, Mozart gut spielen zu können, dann ist man nur noch halb so genial! (spöttisch zitierend) Sogar Kühe geben mehr Milch, und Pflanzen wachsen besser, wenn sie Mozart hören!
Goldmaul: Zu deiner Beruhigung: Diese Gerüchte haben sowohl Humanisten als auch Musikproduzenten und Typen wie ich aus verschiedenen Gründen in der Welt verstreut.
Seidenbach: Das weiß aber ja niemand, die glauben das! Am Ende ist es deine Schuld, wenn Mozart mich in den Ruin treibt, weil das mit dem Es-Dur Konzert deine Idee war.
Goldmaul: Ach was! Das Konzert wird laufen wie geschmiert, es ist nahezu perfekt. Ich hab bei den Proben zugehört und den Musikern ins Gesicht gesehen.
Seidenbach: Und? Rede weiter! Was hast du in ihren Gesichtern gesehen? ( Lautes Schniefen)
Goldmaul: (Zischt ) Leiser! (wieder normal) Das was man eben immer bei Mozart zu sehen kriegt: Entzücken, Versonnenheit, Grinsen, außer bei den Celli und den Kontrabässen.
Seidenbach: (Lacht und schnieft erneut, genauso laut) Hauptsache, sie kriegen ihr Gehalt.
Goldmaul: (Nickt) Für so viel Geld bei so wenig Arbeit sollten diese Schnorrerbässe dankbar sein.
Seidenbach: (Wiederkommend kichernd) Schnorrerbässe, der war gut. Wie viel Zeit haben wir noch?
Goldmaul: Du hast noch (sieht auf die Uhr) drei, nein zwei Minuten.
Seidenbach: (Horcht an der Tür zum Konzertsaal) Ich höre kein einziges Geräusch.
Goldmaul: Dann sind die Wände doch dicker als ich dachte.
Seidenbach: (Richtet sich wieder auf und blickt ergriffen) Ich liebe dieses Gefühl am Schluss, wenn sich die Musik noch einmal aufbäumt bevor sie verlischt, es gleicht einem abstrakten Rasen, wie einem Flug mitten durch explodierende Sterne.
Goldmaul: Wow! (Murmelt), durch einen explodierenden Stern… (normal) Jetzt weiß ich, was ich heute Abend nach der Party tun werde. Tschaikowsky b- moll auf ein wenig Acid.
Seidenbach: Klingt gut. Sollte ich mal ausprobieren.
Goldmaul: Komm nachher noch mit.
Seidenbach: Nicht schlecht, zuerst KV 482 im großen Saal vor 5000 Leuten, der Paparazi-Tagebuch-Empfang und nebenbei auf Tschaikowsky abflashen!
Goldmaul: (Räuspert sich) Du solltest dir mal über deine Wortwahl als Pianist Anfang 40 Gedanken machen, „Auf Tschaikowsky abflashen“…
Seidenbach: Ich bin ein Künstler, mein junges Publikum muss das merken.
Goldmaul: Hörst du? Die Leute fangen schon an zu klatschen.
Seidenbach: Ich lasse mir prinzipiell vor dem ersten Auftritt doppelt so lange Zeit, wie jeder andere.
Goldmaul: Dagegen habe ich nichts einzuwenden, man darf dir den „Stress“ allerdings nicht ansehen.
Seidenbach: (Beruhigt sich selbst) Ruhig, ganz ruhig, das weiße Pulver hat geholfen. Du hast das schon tausendmal gemacht und du wirst es wieder tun. Und erfolgreich sein. Ich kann den Erfolg spüren…(Verlässt den Raum durch die Tür zum Konzertsaal).
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