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Montag, 27. März 2023

Aron Sayed

Robert Bressons ´Au Hasard Balthazar´

Schubert als Esel

Aron Sayed am 16.10.2009 um 11:12 Uhr


Ich muss gestehen, dass es mir seit dem ersten Anschauen von Robert Bressons ´Au Hasard Balthazar´ (Zum Beispiel Balthasar) vor einigen Wochen unmöglich ist, das Andantino aus Franz Schuberts Klaviersonate A-Dur DV. 959 zu hören, ohne dabei den Esel Balthazar aus eben dem gleichnamigen Film von 1966 vor dem inneren Auge erscheinen zu sehen. Um dieses seltsame Phänomen loszuwerden, sollen hier einige Gedanken zu dieser merkwürdigen Verbindung niedergetippt werden, frei nach dem Ausspruch, was einmal ungefähr verstanden wurde, muss einen nicht mehr beschäftigen.

Bressons Spielfilm handelt vom Leidensweg des Esels von seiner Taufe durch die Kinder Marie und Jacques bis zu seinem Tod inmitten einer Schafherde, gewissermaßen zu einer Art ‚Lamm Gottes’ verwandelt und zum Heiligen verklärt. In der langen Zeit dazwischen benutzen ihn die Menschen unter anderem als Lastesel, Kutschentier und Zirkusattraktion. Besonders der Schmuggler Gérard und der Verbrecher Arnold misshandeln die Kreatur dabei wiederholt auf verschiedenste Weise, während Marie ihm durch sein Leben hindurch beisteht, dabei aber selbst vielerlei Qualen erfährt. Am Schluss stirbt auch sie, nachdem Gérards Bande sie vergewaltigt und nackt in einer Hütte hat liegen lassen. Balthazar aber wird, von Gérard bei einem illegalen Grenzübertritt als Lastenträger benutzt, von einer Polizeipatrouille angeschossen und verendet. Faszinierend an dieser ziemlich mitleidserregenden Geschichte ist nun nicht nur, dass es sich bei dem Protagonisten um einen Esel handelt – das funktioniert übrigens ausgezeichnet, Jean-Luc Godard meinte, jeder, der diesen Film sehe, werde absolut erstaunt sein, da er wahrhaftig die Welt in anderthalb Stunden sei –, sondern vor allem die Filmmusik, die Balthazar immer wieder und ausschließlich begleitet, das Geschehen kommentierend: das Andantino aus Schuberts später A-Dur Klaviersonate mit seinem an die Stimmungen der ´Winterreise´ erinnernden Thema in fis-Moll. Schon im Vorspann des Films wird die Koppelung von Schuberts Musik an den Esel deutlich gemacht: der sehr aufgewühlte, für seine Zeit unerhört dissonante B-Teil des Andantinos – Alfred Brendel sprach einmal von ´Paroxysmus´ in Bezug auf diesen Abschnitt – wird auf dem Höhepunkt durch Balthasars Jaulen plötzlich für einige Sekunden unterbrochen, anschließend läuft die Musik weiter. Zunächst mag das irritieren, ja sogar respektlos gegenüber Schuberts Musik wirken. Ist diese wunderschöne Klaviersonate etwa gleichzusetzen mit Eselslauten? Doch was am Anfang vielleicht unverschämt klingt, gewinnt im Handlungsverlauf mehr und mehr an Plausibilität und entpuppt sich im Nachhinein als formaler Kunstgriff, der den gesamten Films quasi in der Nussschale vorwegnimmt. Bressons Einsatz des Schubert-Andantinos funktioniert meiner Ansicht nämlich durch eine gezielte Semantisierung, die er ihr unterzieht. Das heißt, die Musik wird mit einer bestimmten Bedeutung aufgeladen, hier mittels Rückgriff auf einen bestimmten Topos der Schubert-Rezeption, den von seiner Musik als Ausdruck des Leidens.

Die Person Schubert gilt im öffentlichen Bewusstsein noch heute als zu Lebzeiten verkanntes, in Armut verstorbenes Genie (tatsächlich bleiben bei seinem Tod in den Wiener Zeitungen die Nachrufe aus). Als 13tes von 16 Kindern wächst er als Sohn eines Pfarrschullehrers und einer ehemaligen Köchin auf. Nach Abbruch der Schullaufbahn am Wiener Konvikt geht er seinem Vater als Gehilfe zur Hand. Die Versuche, sich als Komponist zu etablieren oder als Kapellmeister sein Brot zu verdienen, scheitern. Auf die Unterstützung Anderer angewiesen, lebt er ab 1816 überwiegend in den Wohnungen seiner Künstler- und Literaten-Freunde und komponiert und komponiert, dabei immer wieder von Krankheit und Zweifeln heimgesucht. Nur langsam wächst seine Bekanntheit als Komponist, mittlerweile zeigen auch die Verleger mehr Interesse an seinen Werken. Die A-Dur Sonate entsteht 1828, im Jahr seines Todes. Schubert wird 31.

Diese wenigen Sätze zur Biographie stellen natürlich eine starke Reduzierung dar, aber diese Andeutungen sollen ausreichen, um zu zeigen, worin sich die allgemeine Vorstellung von Schuberts Leben als einer Art Leidensweg gründet. Eine Vorstellung, die, legitim oder nicht, oft zur Deutung seiner Kompositionen herangezogen wurde. Und auch wenn es eine Reduzierung aufs Emotionale ist: es gibt wohl kaum jemanden, der das Andantino aus der A-Dur Sonate nicht als traurige, vielleicht sogar todtraurige Musik empfinden würde, egal ob er um das Leben des Komponisten bzw. die Stereotypen dazu weiß oder nicht. Hier setzt nun ´Au Hasard Balthazar´ an. Ein Film, der wie gesagt vom Leidensweg eines Esels handelt. Worin auch ein Risiko liegt, denn der Zuschauer kann sich immer entscheiden, dass ihn Balthazar nichts angeht, schließlich handelt es sich ja ‚bloß’ um einen Esel, ein Tier (für einen tierliebenden Menschen, wie mich, ist das natürlich kein Argument, trotzdem muss es hier genannt werden), das übrigens zu keinem Zeitpunkt des Films irgendwie vermenschlicht wird: „Bressons Esel bleibt ein Esel, den ganzen Film hindurch, und dies verleiht Au Hasard Balthazar jene ungeheure Kraft: Balthazar kann sich gegen nichts verteidigen und so bestehen die bedrückendsten Momente seines kaum mehr als ‚leise’ zu bezeichnenden Widerstandes lediglich aus denen, in welchen er schlichtweg stehen bleibt, in denen die Peitsche seines Herrn vergebens auf ihn eindrischt“ (Janis El-Bira auf filmzentrale.com). Insofern kann man den Einsatz des ‚traurigen’, ‚niederdrückenden’ Andantinos auch als eine auf die Erzeugung von Gefühlen, von Mitleid gerichtete Strategie deuten, als ein Auf-sicher-gehen, damit die beabsichtige Wirkung auf jeden Fall zustande kommt, so wie ja eine der Hauptfunktionen von Musik im Film eine wirkungsästhetische ist: die Verstärkung der Evokation von Emotionen in bestimmten Szenen. Darin aber die alleinige Funktion von Schuberts Andantino in ´Au Hasard Balthazar´ zu sehen, wäre meiner Ansicht nach falsch, dafür sind die Analogien zwischen der Leidens-Musik Schuberts und dem Leidens-Weg Balthazars und Schuberts zu groß. Denn sowohl Schubert als auch der Esel können trotz aller Unterschiede auf einer abstrakteren Ebene als ‚unschuldige’ Wesen betrachtet werden, die der Lauf der Welt zugrunde gerichtet hat. Das Andantino aus der A-Dur Sonate bildet in Bresson Film dann den selbstverfassten, klingenden Kommentar dazu, der sich ständig wiederholt, im Kreise dreht, wie eine von einer Leier gedrehte Melodie. Schaut man wieder auf den Vorspann, in dem der wilde dissonante Ausbruch des B-Teils (ff) im Klavier von Balthazars Eselsschreien unterbrochen wird, könnte man die beiden akustischen Elemente sogar als prinzipiell gleichwertig, weil gleichbedeutend, ansehen, als Aufschrei. Mehr noch: man könnte behaupten, in letzter Konsequenz schlägt Schuberts Musik als Leidensausdruck im extremsten Moment um in den Aufschrei der Kreatur. Dies gezeigt zu haben, wäre dann im Blick auf Schuberts Musik die produktive Leistung von ´Au Hasard Balthazar´.


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