
Der Geiger Sergey Khatchatryan über Bach, Rennautos und die weibliche Konkurrenz
"Natürlich war ich schonmal auf dem Hockenheimring in der Nordschleife!"
Kevin Clarke am 19.03.2009 um 15:24 Uhr
Ich hatte kürzlich das Vergnügen, den jungen, aus Armenien stammenden Geiger Sergey Khachatryan zu sprechen, während er in der Schweiz seine neue CD mit Solo-Sonaten von Bach aufnahm (fürs Label naive). Da ich seine Antworten zu Rennautos, Tischtennis und der weiblichen Konkurrenz sehr unterhaltsam fand, möchte ich die gern mit der Allgemeinheit teilen...
Sie spielen seit Ihrem 6. Lebensjahr Geige – und treten heute in den bedeutendsten Konzertsälen der Welt von New York bis London und München mit den besten Orchestern und Dirigenten auf. Was machen Sie eigentlich, wenn Sie nicht Geige spielen?
Ich habe eine Vorliebe für Geschwindigkeit – Autos liegen mir besonders. Es gab mal eine Zeit, da habe ich ernsthaft überlegt, Rennfahrer zu werden. Als Kind nahm mein Vater mich oft mit zu Gokart-Rennen. Da sagte einer der Trainer, nachdem er gesehen hatte, wie ich fahre: „Warum bringen Sie Ihren Sohn nicht zu einem Verein? Er hat Potenzial.“Das sah mein Vater natürlich auch. Da er aber selbst Musiker ist, wollte er lieber, dass ich diese Richtung einschlage...
Was für einen Wagen fahren Sie heute?
Ich habe seit 2008 einen Subaru Rallye GRX STI. Damit fahre ich meistens in den Bergen umher. Natürlich war ich damit schon mal auf dem Hockenheim Ring, in der Nordschleife, und im Nürburgring. Aber viel Zeit habe ich für so was im Moment nicht, was schade ist, denn es ist ein aufwändiges Hobby. Wenn ich nicht fahre, schraube ich viel an meinen Autos rum... und frisiere sie.
Wie schnell fahren Sie mit dem Subaru?
Spitze ist 280 km/h.
Gibt’s eine Musik, die besonders zum Schnellfahren passt?
Also, ich würde da Klassik ausschließen. (lacht) Ich höre ja auch gern anderes und bin da sehr offen, angefangen von Rap bis Hip-Hop. Im Auto gibt mir das noch so einen extra Adrenalin-Kick.
Welche Musik würden Sie für den Kick empfehlen?
Das kommt drauf an, wie schnell man fahren will. (lacht)
Über 250 km/h...
Das Problem ist, da hört man im Auto sowieso nichts mehr.
Okay, sagen wir 200 km/h?
Ich mag Tupac sehr. Vielleicht nicht unbedingt um den Adrenalin-Pegel hoch zu kriegen, aber das ist die Musik, was ich am liebsten im Auto höre.
Was tun Sie sonst so in Ihrer Freizeit?
Ich liebe Partys und Tanzen. Das ist meine zweite große Leidenschaft. Und wenn’s um Sport geht, spiele ich leidenschaftlich gern Tischtennis.
Ist das eine besonders ‚armenische’ Sportart?
Nein, sicher nicht, denn da spielt das fast niemand. (lacht) Ich weiß gar nicht mehr, wann und wie ich damit angefangen habe. Tischtennis hat auch viel mit Schnelligkeit zu tun. Es kommt aufs Reaktionsvermögen an, das liegt mir. Kurze Zeit war ich auch in einem Verein und habe einige Grundtechniken gelernt. Aber wie das bei mir immer so ist... ich bin da nicht lange geblieben. Etwas regelmäßig zu machen liegt mir nicht, das klappt nie. (Außer Geige spielen.) Das hat auch mit meinem Terminkalender zu tun. Wenn man viel unterwegs ist, kann man nicht jede Woche am gleichen Tag in einem Verein aktiv sein.
Gefällt Ihnen das viele Reisen von Konzert zu Konzert?
Natürlich ist es manchmal physisch ermüdend. Und manchmal hängt es mir auch zum Halse raus, ehrlich gesagt. Aber Reisen, um Städte zu sehen, andere Kulturen zu erleben, finde ich super.
Reisen Sie irgendwohin besonders gern?
Nach Frankreich, speziell nach Paris. Das ist meine Lieblingsstadt, neben Rom.
Würden Sie da leben wollen?
Nein. Ich vergleiche das immer mit Schokolade: Die kann man auch nicht immer essen, ohne dass einem schlecht wird, genauso wie ich nicht immer in diesen Traumstädten leben könnte.
Stargeiger heute sind meist sexy junge Frauen – wie Janine Jansen oder Julia Fischer. Wie gehen sie mit der Konkurrenz im tiefen Dekolleté um?
Ich gehe damit überhaupt nicht um. (lacht) Mein Ziel war niemals, Karriere zu machen. Natürlich ist es toll, dass ich heute eine erstklassige Karriere habe und in den tollsten Sälen der Welt spielen darf, mit den besten Orchestern. Wunderbar. Aber: An erster Stelle steht für mich das Musizieren an sich. Solche Vermarktungsstrategien interessieren mich nicht.
Können musizierende Männer nicht auch als Sexsymbol verkauft werden?
(lacht) Warum nicht? Ich würde das aber nicht so machen wollen. Karrieretechnisch gesprochen bleibe ich deswegen vielleicht ein bisschen zurück, aber da für mich – wie gesagt – Karriere nicht an erster Stelle steht, ist das kein Problem. Für mich ist Musik ist etwas Heiliges. Sie als eine Art Showbizz Zirkus zu verkaufen, was heute oft gemacht wird, ist für mich keine Option.
Ihr nächstes Projekt ist – schwer seriös – eine Gesamtaufnahme von Bachs Sonaten und Partiten. Wieso ausgerechnet Bach?
In den 18 Jahren, die ich jetzt mit der Geige lebe, hat sich mein Musikgeschmack oft verändert... ich bin erwachsener geworden und habe auch ein bisschen Lebenserfahrung gesammelt, und es gab viel Rotation, was meine Lieblingsstücke und Lieblingskomponisten angeht. Aber J. S. Bach ist mir komischerweise von Anfang an nahe gewesen und geblieben. Vielleicht kann man ihn in einer Sonderkategorie einordnen? Das heißt nicht, dass ich andere Komponisten weniger lieben würde – im Moment heißen meine Favoriten Beethoven und Schostakowitsch – aber Bach hält irgendwie all den ‚Schmutz’ weg, den wir heute in der Welt um uns rum haben, und er reinigt die Seele – metaphorisch gesprochen. Man kann schon sagen, dass ich eine besondere Beziehung zu ihm habe, und ich hatte auch immer ziemlich individuelle Ansichten, wie man seine Sonaten und Partiten spielen sollte. Seit 2008 habe ich sie regelmäßig in meinen Konzertprogrammen – das führte zu dem Entschluss, sie nun auch aufzunehmen. Obwohl, das Adagio aus Bachs 1. Partita habe ich schon beim Wettbewerb in Cardiff 2002 als Zugabe gespielt und damit damals bei der Presse viel Lob bekommen.
Sie leben seit Ihrem 7. Lebensjahr in Deutschland. Gefällt’s Ihnen hier?
Für meinen Beruf ist Deutschland eines der tollsten Länder, die’s gibt – wegen des überreichen Angebots in Sachen Musik. Wenn man bedenkt, wie viele Komponisten aus Deutschland stammen... dann weiß ich, dass ich hier richtig bin.
Sind Sie als Ausländer in der Bundesrepublik gut aufgenommen worden?
Ich hatte keinerlei Schwierigkeiten, glücklicherweise. Mein Vater dagegen hatte es schwerer, Fuß zu fassen. Er kam 1991 ohne uns hierher und musste sich alleine zurecht finden. Er hat ein Jahr lang darüber nachgedacht, ob er nicht doch nach Armenien zurückkehren sollte... unser Land steckte damals in einer schweren Krise, es gab kein Wasser, keinen Strom, nichts. Mein Vater fand dann in Deutschland Freunde, die ihm halfen – Armenier und Deutsche. Sie haben ihm geraten zu bleiben. Als der Rest der Familie 1993 nach kam, waren die Startprobleme bereits überwunden. Mein Vater hat den klassischen (und unangenehmen) Prozess „Fremder in einem neuen Land“ auf sich genommen und ihn uns dadurch erspart.
Sprachen Sie Deutsch, als Sie 1993 ankamen?
Nein, nur ein bisschen Englisch. Aber meine ältere Schwester und ich haben das ziemlich schnell in der Schule in Frankfurt gelernt. Kinder haben da weniger Probleme, als Erwachsene...
Hatten Ihre Familie Kontakt zur armenischen Gemeinde in Deutschland?
Damals gab es in Deutschland nicht besonders viele armenische Familien, man konnte sie quasi an einer Hand abzählen. (lacht) Aber mit den wenigen, die da waren, hatten wir Kontakt, ja. Das war für uns wie eine „Annäherung an die Heimat“.
Haben Sie die Heimat vermisst?
Ja, eigentlich schon. Meine ganze Mentalität ist bis heute stark armenisch geblieben. Es gibt ja Leute, die sich anpassen und verändern... in die deutsche Mentalität hineinwachsen. Meine Schwester und ich wurden sehr armenisch erzogen und haben uns das bewahrt.
Was ist denn typisch ‚armenisch’?
Das ist schwer in Worte zu fassen, es gibt viele Details... beispielsweise die Familienverbundenheit. Das ist etwas, was in Europa heute fast weg ist. Für uns Armenier ist es aber selbstverständlich. Ich habe nach wie vor einen engen Kontakt zu meiner Familie, wie leben alle in einem Haus in Eschborn bei Frankfurt zusammen. Das ist für uns ganz normal. Mein Vater arbeitet dort seit Jahren in einer Musikschule. Und es ist nach wie vor meine home base. Da ich eh im Moment viel reise, ist es fast egal, wo ich wohne. Hauptsache ich komme bequem zu einem Flughafen.
Lag jemals Leistungsdruck auf Ihnen?
Nein. Mein Vater ist ja nicht nach Deutschland gekommen, damit wir Kinder Karriere machen. Er kam her, weil er und meine Mutter selbst Musiker sind. Er reiste damals wegen eines Bach-Wettbewerbs nach Saarbrücken. Erst danach hat er sich entschieden, in Deutschland zu bleiben. - Als ich mit sechs Jahren anfing, Geigenunterricht zu nehmen, haben meine Eltern nie gesagt, ich müsste professioneller Geiger werden. Insgeheim war das vielleicht ihr Wunsch, da sie selbst Musiker sind. Aber es ist für Kinder in Armenien völlig normal, ein Instrument lernen, das gehört quasi zur allgemeinen Entwicklung dazu. Da meine Schwester schon Klavier spielte, somit also bereits drei Pianisten in unserem Haus waren, wurde für mich ein anderes Instrument gesucht...
Sie treten oft mit Ihrer Schwester Lusine zusammen auf. Ist das eine besonders intensive Form des Musizierens?
Heute ist es oft so, dass man zu einem Konzert anreist, zwei, drei Proben hat, mit Künstlern arbeitet, die man kaum kennt, und dann gleich auf der Bühne vor Publikum spielen muss. Meistens muss man bei solchen Konzerten stark improvisieren. Das ist nicht so mein Ding. Mit meiner Schwester kann ich viel zuhause arbeiten, wann immer ich will und wir beide dazu Lust haben. Daraus ergibt sich eine große Harmonie und Vertrautheit mit dem anderen. Ich brauche meine Schwester auf der Bühne überhaupt nicht anzugucken: Sie fühlt instinktiv, was ich machen will und folgt mir bzw. andersrum.
Reisen Sie noch viel nach Armenien?
Ich habe da schon eine gewisse Verantwortung, finde ich. Die Erfolge, die ich in Europa erzielt habe, will ich auch mit meinem Land teilen. Deshalb trete ich jedes Jahr einmal in Armenien auf.
Die armenische Botschaft macht auf ihrer offiziellen Website Werbung für Sie – als musikalischer „Vertreter des Landes“.
Das ist natürlich toll, ja! (lacht) Es macht mich auch stolz. Aber ich versuche, mir das nicht zu Kopf steigen zu lassen. Denn wenn man immer denkt, dass man selbst super sei, dann kann man nicht mehr weiter wachsen. Und ich bin erst 24. Da soll ja noch einiges kommen...
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