
Eine Glosse
Beethoven-Sinfonien
Aron Sayed am 12.02.2009 um 19:13 Uhr
Jetzt mal ehrlich: Wer braucht schon die Beethoven-Sinfonien? Zugegeben: findet in der ersten Sinfonie in C-Dur noch die wunderschön anzuhörende Auseinandersetzung mit den zu Überwindenden Mozart und Haydn statt, und hat die zweite Sinfonie in D-Dur im ersten Satz ein grandioses, gewissermaßen swingendes Hauptthema, so gehen bereits mit der dritten Sinfonie in Es-Dur, die einer Bewohnerin des Sanatoriums Berghof den schönen Beinamen ´Erotica´ verdankt, die Probleme los. Denn dem Wiener Komponisten aus Bonn hat es hier ganz offensichtlich nicht gereicht, dem Publikum gleich zu Beginn den dritten Tutti-Schlag vorzuenthalten, und ihm so eine Nase zu drehen, es hat ihm nicht gereicht, mitten in der Durchführung des ersten Satzes plötzlich ein neues Thema zu bringen, und es hat ihm nicht gereicht, die Coda dieses ersten Satzes über die Maßen auszudehnen und damit eine weitere Nase zu drehen. Nein, der Bonner Wiener hat sich sogar erdreistest, sein sinfonisches Opus dem Weltgeist zu Pferde zu widmen, nur um es sich dann aus politischen Gründen wieder anders zu überlegen, womit er eine Anekdote erschuf, die inzwischen seit Jahrhunderten in Programmheften, Musikkritiken und anderen unpolitischen Texten herumgeistert. Um mit Strawinsky zu fragen: Was spielt es für eine Rolle, ob die dritte Sinfonie inspiriert war von Bonaparte dem Republikaner oder Napoleon dem Imperator? Es ist nur die Musik, die zählt. Amen. Aber wie bereits gesagt, mit Beethovens op. 55 gehen die Probleme erst los. Denn da gibt es ja noch die vierte Sinfonie in B-Dur, doch eigentlich müsste man diese Feststellung eher als Frage formulieren. Gibt es Beethovens Vierte überhaupt? Wir übergehen dieses Problem einfach und kommen zum unvermeidlichen Schicksal, denn über die Fünfte kann man sich viel leichter und viel besser aufregen. Beethovens c-Moll Sinfonie ist das Opfer einer grundsätzlichen Überschätzung, da ihre einzige Originalität zugleich in dem liegt, was sie, das heißt, vor allem den ersten Satz, furchtbar platt und darum so massenwirksam macht: Sie, das heißt er, besteht fast nur aus Wiederholungen. In Beethovens Wahl der kompositorischen Strategie der Wiederholung vor allem rhythmischer Motive aber liegt eben seine geniale Voraussicht in die Zukunft der menschlichen Abstumpfung. Da er dank seiner Genialität wusste, dass die Menschheit dank hier nicht näher ausgeführter global wirksamer Prozesse im 20. und 21. Jahrhundert immer mehr verdummen würde, bestand sein oft zitierter Satz vom ´neuen Weg´, den er als Komponist einschlagen wollte, darin, so leicht einprägsame Werke wie möglich zu schaffen, damit ihm der Nachruhm gesichert sei. Und er hatte Erfolg: das unauslöschliche Fortleben des Klopfmotivs in Anrufbeantwortern, Klingeltönen und Konzertsälen sowie auf Tonträgern feiert, wie jeder weiß, bis heute seine Triumphe. Was das brachial-plakative Finale der Fünften angeht, sei hier nun Michael Gielen zitiert. Nach dessen Meinung ist ´das Finale der Fünften imperiale Gebärde und auftrumpfende Affirmation; nicht den Gewalten zum Trotz, sondern selber gewalttätig, aus der Begeisterung des Marsfeldes fortstürmend zu den Schlachtfeldern´ (Zitat aus: Unbedingt Musik. Frankfurt/M. 2005. S. 214). Kommen wir zur Sechsten in F-Dur. Sie spielt irgendwo auf dem Land. Da wo´ s schön ist eben. In der sogenannten ´Pastorale´ macht Beethoven, sich wiederholend, die Wiederholung zum Prinzip. Wer einmal auf die ´Empfindungen´ achtet, ´welche bei der Ankunft auf dem Lande im Menschen erwachen´, stellt fest, dass diese zu weiten Teilen einzig aus einem sich gemütlich reproduzierenden Drehmotiv bestehen, das mal lauter und dann wieder leiser wird (Wer es nachprüfen will: Takt 16-29, 155-238 ... Mist! Na gut, so oft kommt es in Wahrheit gar nicht vor, aber immer noch oft genug!). Auf jeden Fall ist der ´Hirtengesang´ am Schluss der ´Pastorale´, zu dem Beethoven seit dem Finale der Fünften originellerweise nicht mehr kommt, so idyllisch, so ´dankbar an die Gottheit´ gerichtet, so ´wohltätig´, dass der Konzertbesuchende ständig auf die Uhr schauen muss vor soviel musikalisch eingängiger ´Idylle´. Apropos Wiederholung: in der Siebten in A-Dur treibt es Beethoven damit im Kopfsatz vorläufig auf die Spitze! Wie ein Neurotiker prügelt der Bonner Komponist hier ein armes, unschuldiges, klitzekleines rhythmisches Motiv, bestehend aus punktierter Achtel-Sechzehntel-Achtel, derart penetrant in den Satz hinein, dass es in nicht weniger als insgesamt 239 von 388 Takten vorzufinden ist (Wer sich wundert, dass der Kopfsatz aus op. 92 auf einmal nur noch 388, und nicht mehr 450 Takte hat, der sei darauf verwiesen, dass die Introduktion weggelassen wurde)!! Und in den darauf folgenden Sätzen sieht es nicht besser aus. Das Finale als ´Apotheose des Tanzes´? Wohl eher eine Apotheose des Stampfens. In der Achten ist Beethoven dann ausnahmsweise nicht nur neurotisch auf Repetitionen bedacht, sondern gibt sich zur Abwechslung, bevor es in der Neunten dann ganz ernst und feierlich wird, mal als Scherzkeks, als Frechdachs sozusagen. Was die d-Moll Sinfonie angeht, die mit ihrer aufdringlichen Freude!-Inszenierung an Sylvester und Neujahr und auch sonst in die Konzertsäle platzt, so fühlte sich anscheinend schon Thomas Mann davon so gestört, dass er extra einen gesamten Musikroman schrieb, damit dessen Protagonist diese Neunte wieder zurücknehmen konnte. Zum Finale der Neunten sei ein weiteres Mal Michael Gielen zitiert: „Mir kam dieses Jubel- und Feierstück immer ein wenig suspekt vor [...] Die Reprise (6/8 vor dem Andante ´Seid umschlungen...´) klingt nach Verzweiflungsschrei statt nach einem Jubellied, und nach dem wahrlich erhabenen Maestoso ´Tochter aus Elysium´ kurz vor dem Schluss ist das dithyrambische Ende leeres Getöse. Es ist der falsche Text! Der Triumph der Reaktion (sprich: Metternich) verhindert die Äußerung der wahren, der verdrängten Gedanken und das macht den Missbrauch von Beethovens Neunter zum Feierstück für Führers Geburtstag erst möglich. Danach war das Stück nicht mehr zu retten. Oder? Seien sie ehrlich. Trotz der ersten drei Sätze war es immer eine Lüge“ (Unbedingt Musik. S. 210-211).
Und überhaupt: Hätte wenigstens Beethoven anstatt dieser komischen späten Streichquartette samt geräuschvoller Riesenfuge noch einige Sinfonien mehr komponiert als nur neun! Von mir aus 15, ist doch eine schöne Zahl. Die Auswirkungen auf die Beethoven-Nachfolge in Gestalt von Schubert, Mendelssohn, Schumann, Brahms, Berlioz, Liszt, Wagner, Bruckner, Mahler, Schönberg, Leverkühn und einigen anderen wären nicht auszudenken gewesen. Wahrscheinlich gäbe es von Mendelssohn, Schumann und Brahms dann nicht lumpige vier bzw. fünf, sondern mindestens acht oder mehr Sinfonien, dann hätte man sich den ganzen musikgeschichtlichen Komplex der ´Neudeutschen´ wahrscheinlich sparen können, weil Wagner auf die These, dass Beethoven mit dem Chorfinale der Neunten (das dieser ja übrigens bereits in der Chorfantasie op. 80 erfunden hatte, aber was soll´ s) die Gattung Sinfonie aufgehoben habe, gar nicht gekommen wäre, und dann wären uns seine ewig langen, schnarchigen Opern, Musikdramen und Bühnenweihfestspiele (von letzterem gibt es zwar nur eins, aber egal) erspart geblieben, genau so wie Liszts lärmende Tondichtungen, die eh nur aus Pauken- und Beckenschlägen, chromatischen Läufen und ein zwei hübschen Melodien bestehen. Dann hätten wir auch diesen Ärger mit den umstrittenen Rekonstruktionen von Mahlers Zehnter und dem Finale von Bruckners Neunter nicht mehr, die wären einfach fertig komponiert worden. Überhaupt hätte man dann insgesamt mehr von der Musikgeschichte. Und überhaupt!
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